Table Of ContentHenning Kaufmann
Rhythmische Phänomene
der Erdo berfläche
Mit 15 Abbildungen
Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn, Akt.-Ges.
Braunschweig 1929
Alle Rechte vorbehalten
Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1929
ISBN 978-3-663-04079-8 ISBN 978-3-663-05525-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-05525-9
Vorwort
"Ein entschiedenes Aperl'ü ist wie
eine inokulierte Krankheit anzusehen:
man wird sie nicht los, bis sie durch-
gekämpft ist." Goethe.
Das vorliegende Werk wendet sich ebenso an den Geographen und
Geologen wie an den Physiker und Hydrotechniker. Darüber hinaus
wendet es sich an all die Kreise der Gebildeten, die einer philosophisch
vertieften Behandlung naturwissenschaftlicher Probleme Interesse ent
gegenbringen. Die Keimzelle des Werkes waren zwei Referate, die der
Verfasser als Schüler von Geheimrat Prof. Dr. Philippson im Geographi
schen Institut der Universität Bonn 1921/22 gehalten hat über: "die
Theorie der Flußmäander" und über "die Reibung als gestaltender
Faktor". . Die Grundanschauungen des Werkes lagen bereits damals
in groben Umrissen fest, sie wurden in der Folgezeit nur schärfer
und differenzierter herausgearbeitet und ihr Anwendungsbereich er
weitert. Wegen starker beruflicher Inanspruchnahme des Verfassers und
sonstiger innerer und äußerer Hemmnisse zog sich die Fertigstellung des
Werkes ungewöhnlich lange hin. Auch in der vorliegenden Form bleibt
es noch ein "Versuch". Der Zweck des "Versuches" ist erfüllt, wenn
er zu weiterer Forschung anregt, wenn er die morphologischen Probleme
aus ihrer unfruchtbaren Isolierung und ihrer resignierten Stagnation
herausreißt und wieder in frischen Fluß bringt, wenn er einer künftigen,
mit den Methoden der physikalischen Ohemie arbeitenden "a 11-
gemeinen physikalischen Morphologie" die Wege weist.
Um überhaupt zu einem Abschluß zu kommen, mußte die seit 1924 er
schienene Liter a t u r noch fast ganz unberücksichtigt bleiben, wenn
sie auch vom Verfasser zum Teil bereits bibliographisch erfaßt wurde.
Wegen Raumersparnis wird von dem Kapitel "Kausalproblem" nur
die Zusammenfassung gebracht. - Zur ersten Orientierung über den
Inhalt des Vorliegenden dienen neben der vorangestellten "Einleitung"
die "Zusammenfassungen" am Schlusse der einzelnen Kapitel,
bsd. im "Kritischen Teil". Eine stilistische Eigentümlichkeit sind
wohl die zahlreich in den Text eingestreuten wörtlich angeführten
IIr
Autorenstellen. Es hätte nicht sehr viel Mühe gekostet, diese
Stellen durch entsprechende eigene Formulierungen zu ersetzen, jeden
falls hätte dies den Eindruck der Selbständigkeit in vorteilhafter Weise
erhöht. Wir gaben jedoch einer verhältnismäßigen äußeren Unselb
ständigkeit der Form bei innerer Selbständigkeit der Gedankenführung
den Vorzug, da die ständige Beziehung auf die verschiedensten, vonein
ander unabhängigen, Gewährsmänner die vorgetragenen Anschauungen
ihres subjektiv~n Charakters und ihrer gelegentlich befremdenden Neu
artigkeit entkleidet und die objektive Auswertung der Beobachtungstatc
sachen besser verbürgt. Wo im Text Auwrenstellen ganz oder teilweise
im Sperrdruck erscheinen, was sich bei der gewählten Zitier- und
Gliederungsmethode nicht immer vermeiden ließ, stammt die Sperrung
stets von mir. Da sie nirgends den Sinn berührt, durfte davon abgesehen
werden, sie in jedem Falle als solche zu kennzeichnen.
Elberfeld, Weihnacht€ll 1928.
Dr. Henning Kaufmann.
Druekfehlel'bel'iehtigung.
Seite 31, Zeile 3 von unten lies: dynamische; Seite 85, Zeile 10 von
oben lies: Atmosphäre; Seite 86, Zeile 8 von oben lies: tiefen Querprofil ;
Seite 90, Zeile 12 von unten lies: frühen Stadien; Seite 95, Zeile 10 von
oben lies: zurückgezogen; Seite 100, Zeile 22 von oben lies: abends, haupt
sächlich ... ; Seite 107, Zeile 14 von oben lies: Materials; Seite 117, Zeile 11
von unten lies: sind die Ringe; Seite 119, Zeile 1 von oben lies: beim Struktur
boden beteiligt; Seite 129, Zeile 6 von unten lies: (Psammologie) als; Seite 160,
Zeile 12 von oben lies: des erreurs; S. 185, Zeile 17 von unten lies: alle Aus
sicht; S. 198, Zeile 15 von unten lies: Im Gegensatz znr; Seite 210, Zeile 15
von unten lies: Scott Russell; Seite 227, Zeile 3 von unten lies: haftete;
Seite 229, Zeile 19 von oben lies: der engen; Seite 263, Zeile 3 von oben
lies: langg estreckten ; Seite 310, Zeile 4 von unten lies: untereinander; Seite 313,
Zeile 11 von oben lies: die Strandwälle.
An verschiedenen Stellen des Buches lies: wave statt wawe!
IV
Inhaltsübersicht
Seite
Einleitung 1
A. Dar s tell end e r T eiL
I. Rippelmarken und Dünen 6
II. Schienenriffeln 33
III. Wasserwellen. . . 39
IV. Strandspitzen . . . 58
V. Das Flußnetz. . . 65
VI. Die einzelne Flußadel' 73
VII. Der Fließvorgang . . . . . . . . . . . .. . 79
VIII. Gerade Flußläufe mit Geschiebebewegung und mäandrierende Fluß-
läufe ......... 85
IX. Büßerschnee . . . . . . . . . . . 98
X. Strukturboden und Texturboden . . 113
B. K ri t i s c her T eil.
XI. Stoff und Form in der Morphologie . 129
XII. Mechanisierung und Geometrisiel'ung . 140
XIII. "Entwicklung"? . . . . 167
XIV. "Selbstverstärkung" ./ . . 180
XV. Mäanderthoorien. . . . . 206
XVI. Rhythmus und Periodizität . 225
XVII. Selektion . . . . . . . 240
XVIII. Selbstdifferenzierung ..... . 248
XIX. Zur Physik der rhythmischen Phänomene. . . . . . . . . 263
XX. Der Formenschatz der geophysischen Phänomene mit Selbstdifferen-
zierung . . . . . . . . . . 278
XXI. Die kausal· analytische Methode. 314
XXII. Das Kausalproblem . 318
Literaturnachweise 325
Personenregister 341
Sachregister . 345
v
Einleitung.
Vorliegende Arbeit stellt es sich zur Aufgabe. die allen morpho
logischen Phänomenen gemeinsamen G run d pro b 1 e me zu erörtern
und namentlich mit Hilfe physikalischer und naturphilosophischer Me
thoden und Blickrichtungen eine weitere Klärung dieser Grundprobleme
herbeizuführen. Als der theoretischen Klärung besonders bedürftig
erscheinen gewisse Kleinformen der Erdoberfläche, die wir unter dem
Begriff der' r h yth m i s ch en P h ä n 0 m e ne' zusammenfassen. Die
von uns gewagte 'synoptische' und vergleichende Behandlung dieser
Phänomene ist nicht nur in methodisch-heuristischer Hinsicht zweck
mäßig, sondern ist auch objektiv gerechtfertigt durch die Übereinstim
mung des sich in ihnen allen abspielenden physikalischen Geschehens.
Es läßt sich zeigen, daß alle diese Oberflächenformen das Ergebnis von
Vorgängen sind, die sich bei zwei in Relativbewegung zueinander be
findlichen Medien an ihrer gemeinsamen Berührungsfläche abspielen.
Hieraus folgt, daß die Theorie jedes einzelnen Phänomens aufgebaut
werden muß auf den Anschauungen der Physik über die Natur der
Re i b u n g s vor g ä n g e.
Bei diesem Vorgehen stößt man jedoch sogleich auf große
Schwierigkeiten, denn es stellt sich heraus, daß die Reibung zwischen
körnigen oder flüssigen Medien p h y s i kaI i s c h sehr wenig untersucht
bzw. geklärt ist und daß namentlich die bei unseren Phänomenen be
sonders augenfälligen formalen und materiellen Umlagerungen in der
Grenzschicht bisher kaum eine theoretische Beachtung gefunden haben.
Der bisher nur den organischen Naturwissenschaften geläufige Gedanke
der 'Selbstdifferenzierung' wird von uns nunmehr auf sog.
'physikalische Systeme' angewandt. "Tir waren also bei unseren Unter
suchungen vor die Aufgabe gestellt, auf dem Wege der vorsichtigen, aber
konsequent durchgreifenden Analyse eines verhältnismäßig reichhaltigen
Beobachtungsmaterials zu physikalischen Erkenntnissen vorzudringen,
gleichgültig, ob diese Erkenntnisse uns von dem augenblicklichen Stande
der Physik bestätigt wurden oder nicht. Es galt unter Auswertung der
in allen naturwissenschaftlichen Teilgebieten mannigfach verstreuten
Literatur die bisherigen theoretischen Lösungsversuche zusammenzu-
I
stellen, sie nachzuprüfen und weiterzuführen, in der Hoffnung, daß
durch die Einkreisung des gesamten Fragekomplexes von den ver
schiedensten Seiten her dieser, wenn nicht 'erjagt' und 'erlegt', so doch
'gestellt' wird wie das Wild rings von Treibern und Hunden. Den
letzten Schritt wird nach wie vor der Physiker tun müssen. Auf dem
Gebiete der sog. 'Geophysik' hat er schon die Erdoberfläche als den
großartigen Experimentiertisch der Natur verwerten gelernt. Was
liegt näher, als nunmehr auch an die morphologischen Phänomene mit
denselben physikalischen Methoden heranzutreten, mit der Aussicht auf
neue Ergebnisse, die mit Hilfe des üblichen Kleinexperimentes nur
schwer oder gar nicht zu erlangen sind! Dieser künftigen 'p h y s i k a -
li s c h e n Mol' P hol 0 g i e' soHen unsere Ausführungen die Wege ebnen.
Unsere Darlegungen bauen sich (aus objektiven oder subjektiven
Gründen) oft nur auf spärlichem Materiale auf; sie sind oft mehr der
programmatische Versuch einer neuen Betrachtungsweise als die ab
schließende Zusammenfassung der bisherigen Forschung. Es ist deshalb
auch nicht möglich, die Ergebnisse der Arbeit hier in lehrbuchartiger
Verkürzung und Vel'einfachung vorwegzunehmen. Auch die Abgrenzung
des Gültigkeitsbereiches unserer neuen Betrachtungsweise kann erst ge
legentlich der Einzelbesprechungen vorgenommen werden. Um in das
Wesentliche unserer Gedankengänge einzuführen, beschränken wir uns
deshalb darauf, es in der Form einiger Leitsätze zu bringen, deren anti
thetische Zuspitzung das Neue sogleich hervortreten läßt.
a) Zwang oder Freiheit?
Formen können einem Medium aufgezwungen werden, wobei
sich dieses relativ passiv verhält. Die Gesamtformung ist dann einfach
die Summe der lokalen Teilformungen. Untersehiede der Form sind
hier der getreue Abdruck von entsprechenden Unterschieden der Ein
wirkung. ('Abhängige Differenzierung'.) Der Gesamtvorgang kann
hier aufgefaßt werden als ein Mosaik von Einzelvorgängen von rein geo
metrischer Verteilung und Naehbarschaft. Der Vorgang und die re
sultierende Form können als erklärt gelten, wenn sie sich auf lokale
Faktoren zurückführen lassen. Die Verteilung und Anordnung über
größere Bereiche hin kann als gleichgültig gelten.
Anders ist es, wenn das Medium, das die Einwirkung erfährt,
innerhalb eines größeren Bereiches ein in sich dynamisch zusammen
hängendes p h y s i kali s c h e s S y s t e m bildet. Es ist eine Eigentüm
lichkeit dieser physikalischen Systeme oder "physischen Gestalten"
(Wolfgang Köhler), daß sie auf Einwirkungen von außen stets in
emer fr eie n, ei gen g e set z I ich e n Weise reagieren. Es sind Ge-
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bilde von spezifischer Einheit nach innen und relativer Unabhängigkeit
nach außen. Nur die Gesamtbedingung wird von außen gegeben, die
Ausbreitung des Gestaltmaterials in örtliche 'Momente' und der ganze
Verlauf des gestalteten Gesamtprozesses dagegen regelt sich nach einer
autonomen Gesetzlichkeit. Das Geschehen in ausgedehnten physi
kalischen Systemen wird nicht bis ins Einzelne von außen geleitet,
sondern es ordnet sich selbst, es bildet ohne alle besonderen Einzel
vorrichtungen in sich eine strenge systembedingte Raumordnung aus.
Die 'Momente' einer solchen Struktur tragen sich in der spezifischen
Gruppierung, das physische Material ist nicht nur 'verteilt'.
Ist diese Eigenstruktur oder freie Raumordnung in sich differen
ziert, so ist auch diese Differenzierung von örtlichen Faktoren weit.
gehend unabhängig, sie ist ebenfalls 'spontan', d. h. systembedingt, sie
läßt sich deshalb als 'S e I b s t d i f f ,e ren 'Z i er u n g' bezeichnen. Ein
solches 'freies' und 'gestaltmäßiges' Geschehen nennen wir 'rhythmisch',
besonders wenn es, wie gesagt, in sich gesetzmäßig differenziert ist.
Unsere Fassung des Begriffes 'R h y t h mus' ist also kausal-dynamisch.
nicht deskriptiv-formal; er ist nicht, wie üblich, lediglich ein Sammel
name für regelmäßige Wiederholungen jeglicher Art in Raum und Zeit.
Da die einzelnen 'Momente' des Rhythmus sich gegenseitig im Ganzen
tragen, sich nicht einfach linear aneinanderreihen, ist er seinem Cha
rakter nach mehr räumlich-simultan als zeitlich-sukzessiv.
Die bisherigen morphologischen Theorien wissen nichts von der
Möglichkeit 'freier Gestaltungen', sie rechnen nur mit 'gezwungenen
Formungen'. Unsere Aufgabe sehen wir deshalb in einer Befl'eiung der
'Gestalt' aus der Zwangsjacke der lokal-kausalen 'Formung'. Dem Phy
siker ist bereits die Unterscheidung in 'freie' und 'erzwungene'
Sc h w i n gun gen geläufig. Der Geograph unterscheidet bereits
zwischen den "g e z w u n gen e n" D ü n e n, "die sich an ein sichtbares
Hindernis anschließen und in ihrer Gestalt und Größe von dem Hinder
nis abhängen", und den "freien" D ün en, "die kein sichtbares Hinder
nis als Ursache unmittelbar erkennen lassen". (Philippson II, 2. 1924.
p. 272 f.) Auch hat man bereits die Notwendigkeit einer Sonderung
der durch differenzierende äußere Faktoren "aufgezwungenen"
M ä a nd e r von den unabhängig von äußeren Hindernissen gebildeten
"f re i e n" M ä an der n erkannt. Der mit kolloidchemischen Methoden
arbeitende Biologe unterscheidet zwischen "ä u ß e ren Rh y t h m e n"
und "inneren Rhythmen". Jene kommen durch rhythmische Be
einflussungen seitens der Außenwelt :zustande, diese entwickeln sich olme
rhythmische Beeinflussungen von außen. Die Gelatineversuche von
E. Küster (Über rhythmische Strukturen im Pflanzenreich. Die Natur
wissenschaften 2.1914. p.73ff.) zeigen uns, "in welcher Weise em
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anfangs homogenes Medium rhythmische Differenzierungen annehmen
kann, ohne daß die Außenwelt diesen Rhythmus durch rhythmischen
Wechsel irgendwelcher Bedingungen induzierte". Die Mitwirkung der
Außenwelt beschränkt sich vielmehr auf die Herbeiführung der gün
stigen Bedingungskonstellation.
b) Zufall oder Gesetz?
Der Fortschritt der Naturwissenschaften besteht in der zunehmen
den Erschließung des kosmischen Teiles der Wirklichkeit. Gelingt uns
der N aclJ.weis, daß die auf dem Wege der Selbstdifferenzierung eines
physikalischen Systems entstandene Formenmannigfaltigkeit einer ein
fachen physikalischen Gesetzmäßigkeit gehorcht, so haben wir diese
Bereiche dem 'Zufall' abgerungen. Die Verteilung und Anordnung der
Formen, die Regelmäßigkeit des Formenmusters erscheint dann nicht
mehr als das Werk 'zufälliger' Störungen oder unwesentlicher Anfangs
differenzen, die 'kleinen Hindernisse' haben dann aufgehört, in der mor
phologischen Theorienbildung als die entscheidende 'Anfangsursache'
zu fungieren. Es ist dann nicht mehr nötig, das verschwommene 'Ent
wicklungsprinzip' oder das 'Selbstverstärkungsprinzip' zu Hilfe zu
nehmen, um das Anwachsen dieser Anfangsdifferenzen zu den resul
tierenden Volldifferenzen verständliclJ. zu machen, beides Prinzipien,
die ledigliclJ. aussagen, daß etwas Kleines im Laufe der Zeit anwächst,
und die nichts aussagen über das Maß und die Form dieses Anwachsens
und die dieses als 'lokal bedingt', d. h. als 'zufällig' bestehen lassen.
Vielmehr berechtigt uns die gewonnene Einsicht in das Wesen der
physikalischen Systeme dazu, hier an die Stelle der vielen lok ale n
ode r ö r t li c h be s ehr ä n k te nUr s ach e n , deren Auswirkung ein
zeln zu verfolgen wäre, jeweils eine einzige s y s t e m ha f te 0 der aus
ge b r e i t e t e Urs ach e treten zu lassen.
c) Kausalität oder Finalität?
Daraus, daß sich der 'lokalen' Ursache die 'systemhafte' Ursache
zur Seite stellen läßt, geht schon hervor, daß es verschiedene Formen
der 'Kausalität' gibt, die ihren objektiven Grund in den empirisclJ.en
Verhältnissen finden. Auch in anderer Hinsicht gilt es, die willkürliche
mechanistische Verengung des Kausalbegriffes zu vermeiden. Der me
chanische 'Vorgangstypus' der Bewegung von starren Körpern und der
Bewegungsübertragung durch Druck und Stoß darf nicht zum Urbilde
alles kausalen Geschehens erhoben werden. Er versagt namentlich in den
Fällen, wo die 'Wirkung' nicht einfach aus der 'Ursache' abzuleiten
ist, sondern einen relative i gen g e set z li c he n Verlauf nimmt. Diese
Fälle werden adäquater dargestellt durch die Unterscheidung einer
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'äußeren Ursache' und einer 'inneren Ursache', d. h. von
gleichgewichtsstörenden äußeren Einwirkungen einerseits und von
gleichgewichtsschaffenden, eigengesetzlichen Beantwortungen dieser Ein
wirkungen anderseits. Insofern sich also die kau s ale Betrachtungs
weise vorzugsweise rückwärtsblickend den mechanischen Bedingtheiten,
also den 'äußeren Ursachen' zuwendet, bedarf sie als Ergänzung der
f in ale n Betrachtungsweise, die sich vorwärtsschauend den 'inneren
Ursachen' zuwendet, also den Vorgängen, die die erfolgte Änderung
des Gleichgewichtszustandes wieder rückgängig zu machen suchen. Wäh
rend also das Kausalprinzip den bedingenden Ursachen nachgeht, sucht
das Finalprinzip die R ich tun g und den End e rf 0 I g des Geschehens
festzustellen. Die Richtung jedes Geschehens zeigt einen Fortschritt
zu stabilen Zuständen. Das Prinzip der "Tendenz zur Sta
b i li t ä t" ist somit das allgemeinste Geschehensgesetz schlechthin. Es
zeigt uns alles Geschehen als ein Gerichtetes. (J. Petzoldt.) Die Auf
gabe der kausalen Analyse unserer Phänomene ist also eine doppelte: sie
hat einerseits die äußeren kausalen Bedingtheiten, die 'Ursachen' im
engeren Sinne, festzustellen, anderseits die Richtung des Geschehens
ablaufs mit Hilfe von Stabilitätsbetrachtungen zu ermitteln.
'Innere' und deutlich 'gerichtete' Geschehensabläufe sind namentlich di,e
E las t i z i t ä t s b ewe gun gen und die R e i b u n g s b ewe gun gen.
Elastizität läßt sich (nach W eyrauch) definieren als das Streben (sic!)
der Körper, gewisse durch äußere Kräfte hervorgerufene Deformationen
rückgängig zu machen, oder auch die Fähigkeit (sic!) zur Wiederher
stellung der ursprünglichen Gruppierung der Teile nach Entfernung der
äußeren Kräfte. Entsprechend ist 'Reibung' der äußere oder innere Gleit
widerstand der Materie gegen relative Verschiebungen ihrer Teilchen, ein
'gerichteter' Widerstand, der nicht nur in Be weg u n g sv erz ö g e
run gen, sondern .zugleich noch in formalen und strukturellen Um
lag e run gen zum Ausdruck kommt. Wir sehen also, daß die Fest
stellung einer 'Tendenz' der Materie sehr wohl im Bereiche der üb
lichen physikalischen Anschauungen liegt, wenigstens soweit durch sie
die Richtung des Geschehens auf gewisse stabile Zustände hin an
gegeben werden soll. -
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