Table Of ContentAlte Geschichte.
M.Vipsanius Agrippa
Eine Monographie
Inaugural-Dissertation
zur Erlangung der Doktorwürde
der Hohen Philosophischen Fakultät
der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau
vorgelegt von
Rudolf Daniel
aus Breslau.
Promotion: 26. Juli 1933.
1933
M. und H. Marcus, Breslau.
Referent: Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. E. Kornemann
Korreferent: Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. W. Kroll
Gedruckt mit Genehmigung der Philosophischen
Fakultät der Schlesischen Friedrich - Wilhelms - Universität
zu Breslau.
Tag der mündlichen Prüfung: 16. Dezember 1931.
Dem Andenken
meines unvergeßlichen Vaiers!
Inhaltsübersicht
Seite
Vorwort VII
Rahmenerzählung 1
Agrippas Stellung als Offizier 39
Agrippas technische Begabung 41
Agrippas Beschäftigung mit der Wissenschaft . . 50
Agrippas politische Laufbahn 57
Agrippas Freundschaft mit Augustus . . .. 74
Agrippas Privatleben 80
Agrippas Privatbesitz 80
Charakteristik Agrippas 82
Zeittafel 83
Sammlung der Inschriften 85
Sammlung der Münzen 101
Ausgaben der hauptsächlich benutzten Quellen . . 111
Literaturverzeichnis 112
Index 117
Vorwort.
„Eine dem heutigen Stande der wissenschaftlichen For
schung entsprechende Gesamtdarstellung der römischen
Kaiserzeit besitzen wir nicht." Dieser Satz Kornemanns in
„Die römische Kaiserzeit" bei Gercke-Norden III 23, S. 174 ist
in seinem vollen Umfange gültig. Richtig ist es daher auch,
wenn Kornemann a.a.O. S. 175 sagt: „Wer tiefer dringen will,
muß zu den Monographien über einzelne Kaiser oder Zeit
abschnitte greifen, in denen die Fortschritte der Forschung am
deutlichsten zu Tage treten." So will auch die vorliegende
Arbeit einen Beitrag zur Geschichte der römischen Kaiserzeit
geben.
Im Mittelpunkt der Arbeit steht ein Mensch aus der
„Geschichte der Zweiten", d. h. aus der Reihe derjenigen
Männer, deren Bedeutung nach außen nie recht in die Er
scheinung getreten ist, und die doch maßgebenden Einfluß
auf die Entwicklung der Dinge genommen haben. Es ist
M. Vipsanius Agrippa, der Erste aus der langen Reihe der
„Zweiten" der römischen Kaiserzeit.
Das Ziel einer Monographie drückt treffend Goethe in
der Einleitung zu „Dichtung und Wahrheit" aus: „Dieses
scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Men
schen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen und zu zei
gen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn
begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht
daran gebildet, und wie er sie — wieder nach außen abge
spiegelt". Es gilt also, einen Menschen zu verstehen. Jeder
Mensch aber ist ein Glied seiner Zeit und nur aus dem
Geschichtsmoment, in dem er lebt, zu begreifen; in ganz
besonderem Maße ist das bei einer den Lauf der Geschichte
maßgeblich beeinflussenden, mitten im Leben stehenden
Persönlichkeit, wie es Agrippa war, der Fall. So mußte ver
sucht werden, Agrippa in diese schwer zu erfassende Zeit
einzubeziehen: Es ist dies der Beginn einer neuen Welt-
V»
epoche, in der die Begründer von drei neuen, nunmehr die
Welt bestimmenden Mächten lebten: Augustus, Jesus und
Arminius.
Die Arbeit zerfällt in eine Rahmenerzählung, die einen
chronologischen Abriß des Lebens gibt, und in Einzeldar
stellungen, in denen Agrippas vielseitige Fähigkeiten im Zu
sammenhange betrachtet werden. Das Ziel ist eine möglichst
lückenlose, kritische Verwertung der aus der Antike stam
menden Quellen über Agrippa, d. h. der Literatur, der In
schriften, Münzen und Papyri, sowie ^er modernen Litera
tur über die Zeit des Augustus. Am Ende der Arbeit sind
die Inschriften und Münzen zusammengestellt.
VIII
Rahmenerzählung.
M. Vipsanius Agrippa wurde im Jahre 691 a. u. c., das
ist 63 v. Chr., wahrscheinlich in Rom1) geboren. Das Geburts
jahr läßt sich aus zwei Stellen erschließen2): Aus Cassius
Dio geht hervor, daß er im Jahre 12 v. Chr. gestorben ist;
ferner steht bei Plinius, daß er 51 Jahre alt geworden ist.
Er stammt aus einem unbekannten Geschlecht. Sein Vater
hieß Lucius, wie viele Inschriften und Münzen beweisen3);
Seneca4) führt einmal aus, daß oft Kinder ihren Eltern mehr
geben als umgekehrt. So habe Agrippa infolge seines Ruhmes
seinem Vater mehr getan als sein Vater ihm. Vielleicht
kannte Seneca nicht einmal den Namen des Vaters, da er
über ihn sagt: „Pater M. Agrippae ne post Agrippam quidem
notus". Der Beiname Agrippa wird bei Gellius5)» Plinius6),
Solinus7) und Servius8) erklärt als aegre partus; diese Krank
heit wird übereinstimmend auf einen Fehler bei der Geburt
zurückgeführt. Alle, die Agrippa heißen, sollen nämlich zu
erst mit den Füßen anstatt mit dem Kopf geboren sein. Das
commentum Einsidlense9) sagt „daß diejenigen Agrippa
heißen, die unter großen Schmerzen geboren sind".
Da die Cognomina innerhalb der einzelnen Geschlechter
*) Nicolaus Damascenus: Bios Kaicapo«; bei Jacoby F. Gr. Hist.
II A. S. 393 Nr. 127, VII. Aus der Tatsache, daß beide Männer
schon in der Jugend befreundet gewesen sind, kann man wohl
schließen, daß Agrippa auch in Rom geboren wurde.
2) Cassius Dio S. 4, 28; Plinius 7, 8, 46 aus der naturalis
historia, wie alle folgenden Zitate aus Plinius.
3) I. Nr. 21, 22 der Inschriftensammlung am Ende der Arbeit;
wie alle folgenden Nummern unter I. — MNr. 60 der Münzsamm
lung am Ende der Arbeit, wie alle folgenden Nummern unter M.
*) de beneficiis III, 32,4.
5) 16, 16.
°) 7, 45/46.
7) 1, 65/66 ed. Mommsen.
8) Zu Vergils Aeneis 8, 682.
ö) in Donati Artem Minorem in Gramm. Lat. ed. Keil suppL
239/1819.
1
erblich waren10), so ist natürlich mit dieser Erklärung, deren
Wert hier nicht zu prüfen ist, nicht gesagt, daß sie sich auf
unseren Agrippa bezieht; Plinius und Solinus stellen aller
dings fälschlicherweise diese Beziehung her und führen sogar
das unglückliche Leben, das Agrippa z. B. infolge des Ehe
bruchs seiner Gemahlin Iulia geführt haben soll, auf diese
Tatsache zurück.
In demselben Jahre 63 v. Chr. wurde auch C. Octavius,
der spätere Kaiser Augustus geboren11)- Diese beiden, die
später die Geschicke Roms und damit die der damaligen
Welt so entschieden beeinflußt haben, müssen auch schon
in frühester Jugend freundschaftlich verkehrt haben12). Wo
her dieser innige Verkehr herrührte, ist unbekannt. Die
Vermutung Frandsens13), daß der Vater des M. Agrippa,
mit Namen L. Vipsanius Atticus, Lehrer der Rhetorik ge
wesen ist und auch den jungen Octavian unterrichtet hat,
ist eine bloße Hypothese, und sie ist von Weichert14) wider
legt worden. Sicher ist, daß Agrippa seinen Freund nach
Apollonia begleitete, wohin Caesar seinen Großneffen, den
er inzwischen adoptiert hatte, zwecks militärischer Ausbil
dung im Jahre 45 geschickt hatte. Dort besuchten beide, wie
Sueton erzählt15), einmal die Sternwarte eines Astrologen,
der Agrippa eine so glänzende Zukunft voraussagte, daß
Octavian sich weigerte, sich weissagen zu lassen, weil er
eine größere doch nicht erhoffen konnte. Als er aber doch
sein Geburtsdatum angab, verneigte sich sofort der Astro
loge Theogenes vor ihm. Diese Erzählung dürfte wohl kaum
auf historischer Wahrheit beruhen, sondern sie entspricht
dem gewaltigen Aberglauben, der sich schon in den ersten
Jahrhunderten der Kaiserzeit in weitem Maße ausgebreitet
hat16).
10) R. E. IV s. v. „Cognomen" p. 225.
A1) Sueton, Divus Augustus 5.
12) Nicolaus Damascenus: Bioc Katjapo- bei Jacoby F. Gr. Hist.
II A. S. 393 Nr. 127, VII.
13) M. Vispanius Agrippa. Altona 1836 p. 226 ff.
14) In Imp. Caes. Aug. scr. reliquiae p. 83; auf diese Wider
legung macht Gardthausen „Augustus und seine Zeit", Leipz. 1891
II S. 409 No. 5 aufmerksam.
15) Divus Augustus 94.
16) Ueber die Astrologie in der Kaiserzeit siehe: „Astrologie"
in R. E. II. Bd. 1896 p. 1817 ff. Ludwig Friedländer 10. Aufl. von
Georg Wissowa: Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in
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