Table Of ContentLEHRBUCH
DER
••
G-YNAKOLOGIE
VON
DR. RUD. TH. v. JASCHKE UND DR. O. PANKOW
PROFESSOR UND DIREKTOR DER PROFERSOR UND DIREKTOR DER
UNlVERSlTATS-FRAUENKLlN lK UNIVERSlTATS-FRAUENKLINIK
IN GIESSEN IN FREIBURG L BR.
FDNFTE AUFLAGE
MIT 383 ZUM TElL FARBIGEN
ABBILDUNGEN
BERLIN
VERLAG VON JULIUS SPRINGER
1933
ISBN-13: 978-3-642-98529-4 e-ISBN-13: 978-3-642-99343-5
DOl: 10.1007/978-3-642-99343-5
ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER
UBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN.
COPYRIGHT 1933 BY JULIUS SPRINGER IN BERLIN.
Reprint of the original edition 1933
V orwort zur ffinften AuHage.
Da die vorhergehende Auflage eine Doppelauflage von 8000 Exemplaren
war, sind fast 9 Jahre vergangen, ehe diese Neuauflage herauskommt. Ent
sprechend diesem langen Zwischenraum haben wir uns veranlaBt gesehen, das
Werk einer griindlichen Umarbeitung in allen Kapiteln zu unterziehen. Manche
Kapitel und Abschnitte sind fast ganz neu dargestellt. Uberall waren wir
bemiiht, die neuen Arbeiten zu beriicksichtigen, soweit uns ihre Ergebnisse
gesichert genug erschienen. Rein didaktische Riicksichten leiteten UllS, wenn
wir die fUr die Praxis wichtigen Kapitel ausfiihrlich behandelten, andere, mehr
den Spezialisten interessierende Fragen und ungeklarte Probleme nur kurz
beriihrten. Diese Gesichtspunkte waren auch fUr die Auswahl der Abbildungen
maBgebend, von denen der groBte Teil neu gezeichnet ist. Ebenso ist eine
Anzahl neuer Bilder hinzugekommen.
Entsprechend dem Lehrbuchcharakter haben wir bewuBt auf eine Dar
steHung aHer nur fUr den Spezialisten in Frage kommenden Operationsmethoden
verzichtet und uns begniigt, die Prinzipien der operativen Therapie kurz dar
zustellen. Das erschien uns urn so richtiger, als fUr den Operateur ausgezeichnete
Werke zur Verfiigung stehen und eine auf wenige Methoden beschrankte Dar
stellung wertlos gewesen ware. Nur so war es auch moglich, eine nennenswerte
Vermehrung des Umfanges des Buches zu vermeiden.
GroBtes Gewicht legten wir darauf, iiberall den Zusammenhang mit der
Gesamtmedizin aufzuzeigen und vor einseitigem Spezialistentum zu bewahren.
Gerade dadurch hoffen wir das Andenken an unsere groBen Lehrer ALFONS
VON ROSTHORN und BERNHARD KRONIG lebendig zu erhalten, deren hohe Auf
fassung des arztlichen Berufes und weitblickende Einstellung zu den Problemen
unseres Faches wir in unserer eigenen Schule besonders zu pflegen bemiiht sind.
GieBen und Freiburg, im September 1932.
v. JASCHKE, PANKOW.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Einleitung (R. TH. v. JASCHKE) .... 1
Allgemeine Gynakologie.
I. Anatomie des weibIichen Genitalapparates und seiner Nachbar-
organe (R. TH. v. JASCHKE) . . . . . . . . . . . . . . . 4
1. Die auBeren Geschlechtsteile (Vulva, Pudendum muliebre) 4
2. Die Scheide (Vagina, Kolpos). . . 10
3. Die Gebarmutter (Uterus) . . . . 13
Die Ligamente der Gebarmutter 18
Stiitzapparate des Uterus . . . 19
4. Die Eileiter (Tubae Falloppii) '. . 22
5. Die Eierstocke (Ovaria) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
6. Dem Genitale benachbarte Teile des uropoetischen Systems und Darmkanals 25
7. Das Beckenbindegewebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
8. Blut-, LymphgefaBe und Nerven des weiblichen Genitalapparates 33
II. Entwicklungsgeschichte (R. TH. v. JASCHKE) 37
1. Entwicklung der Harndriise 37
2. Entwicklung der Keimdriise . . . . . . . . 40
3. Entwicklung des Sinus urogenitalis . . . . . 46
III. Die Physiologie des Weibes (R. TH. v. JASCHKE) 50
1. Das Weib bis zur Pubertat 53
2. Das geschlechtsreife Weib . . . . . . . . . . 54
Die Menstruation. . . . . . . . . . . . . 57
Innersekretorische Tatigkeit der Sexualdriisen 66
4. Das Klimakterium und die Menopause 75
IV. Die Hygiene und Diatetik des Weibes (R. TH. v. JASCHKE) 82
V. Die kranke Frau (R. TH. v. JASCHKE) 92
1. Storungen der Menstruation . . . . 109
2. Storungen der Sekretion . . . . . . 125
3. Beschwerden . . . . . . . . . . . 130
VI. Allgemeine gynakologische Diagnostik (R. TH. v. JASCHKE) 143
1. Die Anamnese (Krankenexamen) . . . . . . . . . . . . . . 143
2. Die gynakologische Untersuchung ohne Anwendung von Instrumenten 146
a) Das Untersuchungslager . . . . . . 147
b) Die auBere und innere Untersuchung 147
c) Kombinierte Untersuchung 149
d) Mastdarmuntersuchung . . . . . . 151
3. Die Untersuchung mit Instrumenten . . . . . . . . 153
4. Die Antisepsis bei der gynakologischen Untersuchung . 160
5. Die mikroskopisch-diagnostische Untersuchung . . . . 161
6. Die Narkose (0. PANKOW)' . . . . . . . . . . . . . 162
VII. Allgemeine gynakologische Therapie (0. PANKOW) 171
1. Hydrotherapie ..... 171
2. Die Tamponbehandlung 180
3. Massage ...... . 182
4. Elektrische Behandlung. 189
Inhaltsverzeichnis. v
Seite
a) Diathermie, galvanisch.faradische Behandlung, elektrische Massage 189
b) Elektroendothermie (Elektrokoagulation). 195
5. Strahlentherapie. . . . . . . . . . . . . .. ......,.. 196
a) Rontgenstrahlen. . . . . . . . . . . . .. ......... 196
Zur Applikationstechnik der Rontgenstrahlen S. 209. - Hautschadi·
gungen S.21O. - Schadigungen der Nachbarorgane S.213. - Keirn·
schadigungen durch Rontgenstrahlen S. 214. - Allgemeine Schadigungen
des Gesamtorganismus S.217. - Technik und Indikation S.218. -
Kastrationsbestrahlung bei Myomen und Metropathien S. 219. - Tern·
porare Kastration S. 222. - Entziindliche Adnexerkrankungen S. 223. -
Die Genital· und Peritonealtuberkulose S. 225. - Weitere Indikationen
der Rontgentherapie S. 226.
b) Radioaktive Substanzen ...................... 229
Schadigungen der Haut· und Schleimhaute S.234. - Schadigungen
der Nachbarorgane S. 234. - Schadigungen des Gesamtorganismus S. 235.
Technik und Indikation S. 235. - Die Strahlentherapie des Carcinoms
S. 236.
6. Lichttherapie . 238
7. Hormontherapie 240
a) Ovarium .. 242
a) Follikelhormon . 242
fJ) Das Corpus luteum·Hormon . 246
b) Hypophysenvorderlappen. 247
Die spezieIIe Hormontherapie . 253
Die Pathologie und Therapie der weiblichen Gcschlechtsorgane.
I. Die Krankheiten der Vulva (R. TH. v. JASCHKE) 263
1. Entwicklungsfehler. . . . . . . . . 263
2. Die Entziindungen der Vulva. . . . 270
3. Pruritus vulvae (Vulvitis pruriginosa) 272
4. Die Kraurosis vulvae. . . . 275
5. Die Verletzungen der Vulva 278
6. Dammrisse . . . . . . . . 280
7. Die Geschwiilste und geschwulstahnlichen Veranderungen der Vulva 283
a) Papillome (spitze Kondylome der Vulva) 283
b) Elephantiasis vulvae. . . 284
c) Cysten. . . . . . . . . 285
d) Fibrome und Lipome . . 287
c) Das Carcinom der Vulva 289
f) Sarkome der Vulva . . . 293
Anhang: Hernien im Bereiche der Vulva. 293
II. Die Krankheiten der Vagina (R. TH. v. JASCHKE) 294
1. Entwicklungsfehler. . . . . . . . . . . . 294
2. Die Entziindungen der Scheidenschleimhaut. Kolpitis 295
3. Der Vaginismus . . . . . . . . . . . . . . . . 301
4. Die Verletzungen der Scheide ........ . 303
a) Die puerperalen Harngenitalfisteln (Urinfisteln) 304
b) Scheidendarmfisteln . . . 314
5. Die Geschwiilste der Vagina . 315
I. Epit heliale Geschwiilste 315
A. Gutartige Geschwiilste 315
1. Papillome . . . . . 315
2. Adenome ..... 316
B. Bosartige Geschwiilste. 317
Das Carcinom der Vagina . 317
II. Bindesubstanzgeschwiilste 322
1. Fibrome und Fibromyome 322
2. Sarkome 322
III. Cysten der Scheide 323
6. Fremdkorper in der Scheide 324
VI Inhaltsverzeichnis.
Seite
III. Die Krankheiten der Blase und Harnriihre (0. PANKOW) 325
1. Entwicklungsfehler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
2. Die Untersuchungsmethoden bei Erkrankungen der unteren Harnwege 327
3. Die Entzundung der Blase. Cystitis. Blasenkatarrh. Blasentuberkulose 333
4. Cystitis colli (Cystitis trigoni) . 343
5. Die Blasenschwache . 345
6. Geschwulste der Blase . . . 347
7. Fremdkiirper . . . . . . . 348
8. Krankheiten del' Harnriihre 349
IV. Die Krankheiten des Uterus 351
1. Entwicklungsfehler des Uterus (R. TH. v. JASCHKE) 351
a) Doppelbildungen mit rudimentarer Entwicklung des ganzen Systems
heider Seiten. . . . . . . . . . . . . . . . . 352
b) Asymmetrische Doppelbildungen mit Systemdefekten. 353
c) Inkomplette symmetrische Doppelbildungen . . 354
d) Der Uterus hat sich im extrauterinen Leben ungenugend entwickelt.
Hypoplasie des Uterus. . . . . . . . . . . 357
2. Die Gynatresien (R. TH. v. JASCHKE) ..... 358
a) Die Gynatresien bei einfachem Genitalkanal 359
b) Die Gynatresien bei doppeltem Genitalkanal. 365
3. Lage. und Gestaltsveranderungen des Uterus (0. PANKOW) 366
a) Prolapsus uteri et vaginae. . . . . . . . . . . . . . 367
b) Gestaltsveranderungen des Uterus (Anteflexio, Retroflexio) 390
a) Anteversioflexio uteri. . 390
fJ) Retroflexio uteri mobilis 390
y) Die Retroflexio fixata 406
0) Inversio uteri . . . . . 408
.0) Hernia uteri, Hysterocele. Gebarmutterbruch. 410
4. Erkrankungen del' Cervix und Portio (0. PANKOW) 410
Der Cervicalkatarrh (Endometritis cervicis) . . 410
Erkrankungen del' Portio . . . . . . . . . . 416
5. Die Entzundungen der Gebarmutter (0. PANKOW) 420
a) Metritis-Endometritis . . . . . . . . . . 420
b) Endometritis post abortum (post partum) . 422
6. Die Metropathia (0. PANKOW) ..... 423
7. Die Geschwulste des Uterus (0. PANKOW) 445
a) Das Myom des Uterus (Fibromyome) 445
b) Die Adenomyosis oder Endometriosis 477
c) Das Carcinom des Uterus .... 481
a) Das Carcinom des Collum uteri 481
Die operative Behandlung 500
Strahlenbehandlung . . . . 503
Die palliative Behandlung . 506
fJ) Das Carcinom des Corpus uteri 510
d) Das Sarkom des Uterus. . . . . 515
a) Das Sarkom der Uterusschleimhaut 515
fJ) Das Sarkom del' Uteruswand . . 518
e) Chorionepitheliom. . . . . . . . . . 520
8. Die Atrophie des Uterus (0. PANKOW) 525
9. Pyometra, Hydrometra, Physometra, Hamatometra (0. PANKOW). 526
V. Die Krankheiten der Ovarien (R. TH. v. JASCHKE) 528
1. Entwicklungsfehler. . . . . . 528
2. Lageveranderungen . . . . . 529
3. Die Ernahrungsstiirungen der Ovarien 530
a) Hamorrhagien del' Ovarien 530
b) Die Entzundung del' Ovarien. Oophoritis 532
4. Die Geschwulste der Ovarien . . . . . . . 536
a) Die nicht proliferierenden Geschwulste des Eierstocks 536
b) Die proliferierenden Geschwulste des Eierstocks 538
Inhaltsverzeichnis. VII
Seite
A. Epitheliale Geschwiilste . . . . . 539
I. Gutartig: Die Cystadenome . . . . . 539
II. Bosartig: Das Carcinom des Ovariums 569
B. Die bindegewebigen (desmoiden) Neubildungen_des_Ovariums. 578
C. Die Tridermone . . . . . . . . . . . . . 581
Die Dermoidcysten und die Teratoblastome 581
5. Die Kastration . . . . . . . . . . . . . 584
VI. Die Krankheiten der Tuben (0. PANKOW) 587
1. Entwicklungsfehler. . . . . . . 587
2. Ernahrungsstorungen der Tuben 588
a) Hamorrhagien der Tuben . 588
b) Die extrauterine Graviditat 588
c) Die Ovarialgraviditat . . . 608
d) Abdominalgraviditat 609
e) Die Nebenhornschwangerschaft 609
3. Die Entziindungen der Tuben. 611
a) Salpingitis . . . . . 611
b) Tuboovarialcysten. . . . . 624
4. Geschwiilste der Tuben. . . . 625
VII. Die Krankheiten der Ligamen te des Uterus, des Becken bindegewe bes
und des Beckenbauchfells (R. TH. v. JASOHKE) 627
1. Krankheiten des Ligamentum rotundum (teres) 626
2. Die Cysten des Ligamentum latum . . . . . . 628
3. Geschwiilste im Beckenbindegewebe . . . . . . 630
Hamatom oder Thrombus des Beckenbindegewebes (Haematocele extra-
peritonealis). . . . . . . . _ . _ . . . . . . . . . . . . 632
4. Die Entziindung des Beckenbindegewebes. Parametritis. . . . . . 634
5. Die Entziindung des BeckenbauchfeUs. Pelveoperitonitis (Perimetritis) 647
VIII. Die Infektion der wei blichen Geschlech tsorgane. 655
1. Die gonorrhoische Infektion (R. TH. v. JASOHKE) .. . 656
a) Die Behandlung der offenen Gonorrhoe ..... . 678
b) Die Behandlung der ascendierten und geschlossenen Gonorrhoe 681
Die Vulvovaginitis bei kleinen Madchen . . 683
2. Die tuberkulose Infektion (0. PANKOW) ...... . 684
IX. Sterilitat, Konzeptionsverhiitung und Sterilisierung (0. PANKOW) 698
1. Sterilitat . . . . . . . . . . . _ . . . 698
2. Konzeptionsverhiitung und Sterilisierung . 708
X. Darm und Generationsorgane (0. PANKOW). 713
Sachverzeichnis ............. _ . . . 722
Verzeichnis der Lehr- und Handbiicher.
In allen diesen Werken, die den modernsten Stand unseres Faches reprasentieren
finden sich ausfiihrliche Literaturzusammenstellungen fiir alle Spezial-Kapitel.
DODERLEIN, A.: Operative Gynakologie, 5. Aun. Leipzig: Georg Thieme 1924.
FRANKL, 0.: (a) Pathologische Anatomie und Histologie der weiblichen Genitalorgane.
W. LIEPMANN: Handbuch der gesamten Frauenheilkunde. Leipzig: F. C. W. Vogel 1914.
(b) Tube. HENKE-LuBARSOH: Handbuch der speziellen pathologischen Anatomie des
Menschen, 7, 1. Berlin: Julius Springer 1930.
FRANZ, K.: Gynakologische Operationen. Berlin: Julius Springer 1925.
HALBAN-SEITZ: Biologie und Pathologie des Weibes. Berlin u. Wien: Urban & Schwarzen
berg 1924-1928.
HOFMEIER, M.: Handbuch der Frauenktankheiten, 17. Aun. Leipzig: F. C. W. Vogel 1921.
MEYER, ROB.: Die pathologische Anatomie der Gebarmutter. HENKE-LuBARSOH: Hand
buch der speziellen pathologischen Anatomie des Menschen, Bd. 7, 1. Berlin: Julius
Springer 1930.
OPITZ, E.: Handbuch der Frauenheilkunde, 5. Aufl. Miinchen: J. F. Bergmann 1927.
PEHAM, v. H. u. J. AMREIOH: Gynakologische Operationslehre. Berlin: S. Karger 1930.
SOHRODER, ROB.: (a) Lehrbuch der Gynakologie, 2. Aufl. Leipzig: F. C. W. Vogel 1926.
(b) Weibliche Genitalorgane. v. MOLLENDORF: Handbuch der mikroskopischen Anatomic.
7, 1. Berlin: Julius Springer 1930.
STOECKEL, W.: (a) Lehrbuch der Gynakologie, 3. Aufl. Leipzig: S. Hirzel 1931. -
(b) Handbuch der Gynakologie, 3. Aufl. des VEITschen Handbuches. Miinchen: J. F.
Bergmann, 1926-1932. In 10 Banden. Erschienen sind bisher: Bd I. II, III, IV/l,
V, VI, VII.
Berichtigung.
S. 256, 17. Zeile v. o. statt Pregnon lies Progynon.
S. 349, 20. " u. dichten" dicken.
Einleitung.
Gynakologie ist der J.6yo~ von YV'V~. So lautet die wortliche Ubersetzung
der Bezeichnung unserer Fachwissenschaft. Will man die Gynakologie in diesem
umfassenden Sinne verstehen, so begreift sie in sich die gesamte Biologie und
Pathologie des Weibes. Der weibliche Organismus zeigt schon anatomisch und
physiologisch so viele - im einzelnen noch anthropologisch differenzierbare -
Eigentiimlichkeiten, daB dadurch auch unter krankhaften Verhaltnissen dem
Ablauf des biologischen Geschehens ein besonderer Stempel aufgedriickt wird.
Das ist in vielen Fallen so offensichtlich, daB selbst der Laie davon beeindruckt
wird; in anderen Fallen freilich erfordert die Erkenntnis und Deutung solcher
Besonderheiten ein tiefer schiirfendes arztliches Denken. Es entspricht dem
historischen Geschehen, daB erst aus solcher Erkenntnis auch eine diesen
Eigentiimlichkeiten des weiblichen Organismus Rechnung tragende Hygiene
und Diatetik des Weibes abgeleitet wurde. Spater erst brachte man von arztlicher
Seite auch der besonderen Psychologie des Weibes geniigende Aufmerksamkeit
entgegen, aus der sich bald ergab, wie auBerordentlich haufig auch rein somatische
Reaktionen aus psychologischen Wurzeln heraus cine Abanderung erfahren, was
beim Manne vergleichsweise viel seltener und vielfach ganz andersartig zur
Beobachtung gelangt. Erst die neuere Zeit hat uns gelehrt, wie sehr auch
die Tatigkeit der modernen Frau im Rahmen der Gesellschaft auf den weib
lichen Organismus besondere Riickwirkungen hat, korperliche und seelische
Konflikte hervorruft, die ohne soziologisches Verstandnis nicht richtig zu deuten
sind.
So muBte der urspriinglich eng gespannte, nur die Erkrankungen der weib
lichen Geschlechtsorgane einschlieBende Rahmen immer weiter gespannt werden,
um zu einer wahren Gynakologie (= Frauenkunde) zu werden.
Je besser der Frauenarzt es versteht, seinem Fachgebiet in diesem weiten
Rahmen gerecht zu werden, um so besser wird er den zahlreichen und ver
schiedenartigen Anforderungen, die heute oft an ihn herantreten, gewachsen
sein. Aber auch der praktische Arzt wird sich immer bewuBt sein miissen,
daB gerade fiir ihn die Gynakologie in dies em erweiterten Sinne einer Frauen
kunde eine viel groBere Rolle spielt als friiher. Die Schwierigkeiten gyna
kologischer Untersuchungstechnik und Diagnostik diirfen keinen Arzt ab
schrecken, auch diesem Zweig der praktischen Medizin sein voIles Augenmerk
zuzuwenden. Er vermag mit den einfachen, ihm jederzeit zur Verfiigung
stehenden Hilfsmitteln auch auf diesem Gebiete viel Niitzliches zu wirken, ja
es gibt eine ganze Reihe von arztlichen Aufgaben im gynakologischen Fach
gebiet, die nur unter tatigster Mitwirkung aller praktischen Arzte einer end
giiltigen Losung zum W ohle der Frauenwelt zugefiihrt werden konnen.
Es ist rein aus der historischen Entwicklung zu erklaren, wenn im modernen
Lehrplan der Begriff der Gynakologie nicht in dem einleitend umrissenen Sinne
gefaBt, sondern auf die Biologie und Pathologie der dem Weibe eigenartigen
Organe, also der Sexualorgane, beschrankt wird. Dabei hat von jeher die
v. Jaschke-Pankow, Gynl1kologie. 5. Auf!. 1
2 Einleitung.
Biologie und Pathologie der Fortpflanzungsvorgange besondere Aufmerksamkeit
und Pflege gefunden, ehe aus den ubrigen Zweigen der Medizin auch die Biologie
und Pathologie der weiblichen Sexualorgane im auBerpuerperalen Zustand als
Gynakologie im engeren Sinne sich aussonderte. Der Aufschwung der modernen
Gynakologie datiert erst aus den letzten 40-50 Jahren, als chirurgisch wohl
geschulte Manner sich daran gaben, eine operative Gynakologie zu entwickeln.
Damit tauchten so zahlreiche neue Probleme auf, daB gerade von der operativen
Gynakologie aus die fruchtbarsten Anregungen fur die gesamte biologische Er
forschung des weiblichen Genitalapparates im auBerpuerperalen Zustand aus
gingen. Selbstverstandlich ist aber die Beruhrung der Geburtshilfe und der
Gynakologie im engeren Sinn eine so innige, daB lediglich aus didaktischen
Gesichtspunkten diese beiden Zweige unseres Fachgebietes in getrennten Lehr
buchern dargestellt zu werden pflegen. Versuche, beide Gebiete in lehrbuch
maBiger Darstellung zusammenzufassen, haben sich als nicht zweckmaBig
erwiesen und sind alsbald wieder aufgegeben worden.
Auch wir lassen uns von solchen Erwagungen leiten, wenn wir fur die
Studierenden und Arzte die Geburtshilfe in einem besonderen Lehrbuch ab
handeln und uns hier auf die Darstellung der auBerhalb der Fortpflanzungs
tatigkeit zur Beobachtung kommenden Erkrankungen der weiblichen Geschlechts
organe beschranken. Raum- und Stoffokonomie zwingen zu solcher Einengung
des Begriffes Gynakologie in unserer Darstellung. Naturlich hat solche Be
schrankung auch ihre Vorzuge. Die Konzentration auf ein beschranktes Gebiet
bringt gerade den Anfanger schneller voran, als eine allzuweit ausholende
Darstellung, fur die wir auf die angefuhrten Handbucher verweisen. Auch
die Geschichte der Gynakologie lehrt, daB gerade solche Konzentration fruchtbar
sich erwies. Die wichtigsten Erkenntnisse auf dem Gebiete der Anatomie und
Physiologie der Sexualorgane verdanken wir mindestens ebenso sehr Frauen
arzten wie den Fachvertretern der Anatomie und Physiologie. Ebenso ist es
nur auf der soliden Grundlage spezialistischer Kenntnisse moglich geworden,
in enger Zusammenarbeit und Beruhrung mit den Vertretern der ubrigen
medizinischen Disziplinen die Gynakologie allmahlich zur Frauenkunde in
dem eingangs erwahnten umfassenden Sinne zu entwickeln.
Anatomie und Physiologie bleiben die Grundlage alles arztlichen Erkenntnis
strebens. Ihnen widmen wir daher besondere Kapitel. Dasselbe gilt von der
Entwicklungsgeschichte, ohne deren Kenntnis die mannigfachen Fehlbildungen
und Funktionsstorungen gar nicht verstandlich zu machen sind.
Daruber hinaus geht unser Streben dahin, trotz bewuBter Beschrankung
auf eine Gynakologie im engeren Sinne wenigstens uberall auf die Zusammen
hange mit dem Gesamtgebiet der Medizin hinzuweisen und vor allem den
Studierenden und Arzten klar zu zeigen, wie auBerordentlich haufig physio
logische und pathologische Vorgange ill Genitalapparat der Frau auch die
Funktion entfernter Organe beeinflussen oder von diesen beeinfluBt werden.
Da die sexuellen Vorgange im Leben des Weibes eine ungleich groBere und
bedeutendere Rolle spielen als beim Manne, ist nie zu vergessen, daB auch
die seelischen Fernwirkungen lokaler Prozesse ungleich groBer sind, wie anderer
seits psychische Erlebnisse nicht selten anatomische und funktionelle Storungen
im Bereich des weiblichen Genitalapparates hervorrufen. Seit wir angefangen
haben, das System der endokrinen, auf dem Blutwege uberall hin wirkenden
Drusen naher kennen zu lernen, seitdem man die enge Verknupfung dieser
Apparate mit dem vegetativen Nervensystem, durch dieses mit dem nervosen
Zentralapparat kennt, bietet die Tatsache solcher engen Wechselbeziehungen
zwischen weiblichem Genitalapparat und Gesamtorganismus dem Verstandnis
keine Schwierigkeiten mehr, wenn auch noch unendlich viel muhevolle Einzel·