Table Of ContentJoachim Merchel
Kooperative Jugendhilfeplanung
Joachim Merchel
Kooperative
Jugendhilfeplanung
Eine praxisbezogene Einführung
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1994
ISBN 978-3-663-10536-7 ISBN 978-3-663-10535-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-10535-0
© 1994 by Springer Fachmedien Wiesbaden
Urspriinglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1994
Das Werk einschlieJ31ich aHer seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung
au6erhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags
unzulăssig und stratbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mi
kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in eIektronischen Systemen.
Inhalt
Vorbemerkung ................................................................................................. 9
1. Jugendhilfeplanung beginnt nicht am Nullpunkt! - Zur
Entwicklung des Planungsgedankens und der Planungspraxis
in der Jugendhilfe ............................................................................. 11
1.1. Politische und fachliche Intentionen in einzelnen
Phasen der Jugendhilfeplanungsdiskussion ....................................... 12
1.2. Empfehlungen und Arbeitshilfen zur Jugendhilfeplanung ................. 18
1.3. Erste konzeptionelle Beiträge und Ansätze zur
Jugendhilfeplanung ............................................................................ 23
1.4. Entwicklungstendenzen in der konzeptionellen Diskussion
zur Jugendhilfeplanung ...................................................................... 28
2. Konzeptionelle Perspektive: Jugendhilfeplanung als
kommunikativer Prozeß .................................................................. 33
2.1. Zur Begründung einer Neuorientierung in der
Jugendhilfeplanung ............................................................................ 33
2.2. Kommunikations-und prozeßorientiertes Leitbild für
Jugendhilfeplanung ............................................................................ 36
2.3. Zur konzeptionellen Einordnung des kommunikations- und
prozeßorientierten Leitbilds ............................................................... 41
2.4. Der Planer als Prozeßmoderator - Zur Rolle der
Planungsfachkräfte ............................................................................. 43
2.5. Akteure im Planungsprozeß ............................................................... 46
3. Jugendhilfeplanung und Organisationsentwicklung ..................... 51
4. Jugendhilfeplanung als Aufgabe des örtlichen Trägers der
öffentlichen Jugendhilfe -Anforderungen des KJHG .................. 61
4.1. Jugendhilfeplanung als Ausdruck der Gesamtverantwortung
des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe ........................................... 62
4.2. Anforderungen und Zielstellungen für Jugendhilfeplanung .............. 64
4.3. Beteiligung als eine bedeutsame gesetzliche und fachliche
Anforderung ....................................................................................... 68
6 Inhalt
4.3 .1. Betroffenenbeteiligung ....................................................................... 68
4.3.2. Trägerbeteiligung ............................................................................... 69
4.4. Bezug zwischen Jugendhilfeplanung und anderen kommunalen
Planungs-und Politikbereichen .......................................................... 71
4.5. Jugendhilfeplanung in den Ausführungsgesetzen der Länder. ........... 72
5. Methodische Planungsorientierungen in der
Jugendhilfeplanung .......................................................................... 75
5.1. Bereichsorientiertes Planungsvorgehen ............................................. 75
5.2. Sozialraumorientierter Zugang zum Planungsfeld ............................. 77
5.3. Zielorientiertes Planungsverfahren .................................................... 78
5.4. Zielgruppenorientierter Planungsansatz ............................................. 80
5.5 Planungspraxis als Kombination verschiedener methodischer
Zugangsweisen ................................................................................... 81
6. Organisationsanforderungen im Hinblick auf
Jugendhilfeplanung .......................................................................... 85
6.1. .. . bei Jugendämtern ........................................................................... 86
6.1.1. Personelle und organisatorische Absicherung des Aufgabenfeldes ... 86
6.1.2. Mitarbeiterbeteiligung und planungsbezogene Kooperation ............. 90
6.1.3. Bedeutung externer Experten und Institute ........................................ 93
6.2 ... bei freien Trägern ........................................................................... 95
7. Beteiligung: Anforderungen und Realisierungsmöglichkeiten ..... 97
7.1. Beteiligung freier Träger .................................................................... 99
7.2. Beteiligung von Adressaten der Jugendhilfe
("Betroffenenbeteiligung") .............................................................. 105
7 .2.1. Unmittelbare Beteiligungsformen .................................................... 107
7.2.2. Mittelbare Beteiligungsformen ........................................................ 109
8. Elemente infrastrukturbezogener Planungsprozesse in
der Jugendhilfe ............................................................................... 113
8.1. Konzepterörterung ........................................................................... 114
8.2. Bestandsfeststellung ......................................................................... 119
8.2.1. Erfassung der Jugendhilfe-Infrastruktur .......................................... 122
8.2.2. Analyse der Sozialstruktur und der Lebensbedingungen
junger Menschen .............................................................................. 124
8.2.3. Erörterung der Handlungsstrukturen des Jugendamts ...................... 127
8.3. Bedarfsermittlung ............................................................................. 128
8.4. Maßnahmeplanung ........................................................................... 137
8.4.1. Grundtypen der Maßnahmeplanung ................................................. 140
8.4.2. Aushandlung von Prioritäten ........................................................... 142
8.5. FortschreibunglEvaluation ............................................................... 147
Inhalt 7
9. Jugendhllfeplanung in den einzelnen Arbeitsfeldern der
Jugendhilfe ...................................................................................... 149
9.1. JugendarbeitlJugendsozialarbeit ...................................................... 150
9.2. Förderung der Erziehung in der Familie .......................................... 159
9.3. Tageseinrichtungen und Tagespflege für Kinder ............................. 166
9.4. Erziehungshilfen .............................................................................. 175
10. Einige Anmerkungen zur JugendhUfeplanung in den neuen
Bundesländern ................................................................................ 187
10.1. Jugendhilfe als Teil gesellschaftlicher
Transformationsprozesse .................................................................. 187
10.2. Jugendhilfeplanung als Motor des Transformationsprozesses
in der Jugendhilfe ............................................................................. 194
Literaturverzeichnis ..................................................................................... 199
Vorbemerkung
Mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) hat Jugendhilfeplanung als
Gestaltungsinstrument der kommunalen Jugendhilfe einen neuen Impuls erhal
ten. Jugendhilfeplanung ist in das Zentrum der fachlichen und politischen Ent
scheidungen in der kommunalen Jugendhilfe gerückt worden: Hier soll über
Angebote und Maßnahmen der Jugendhilfe an einem Ort, über Träger, Träger
pluralität und Finanzierungsströme entschieden werden.
Mit der ausdrücklichen Verpflichtung für alle Träger der öffentlichen Ju
gendhilfe, Jugendhilfeplanung zu betreiben, erwächst den Jugendämtern eine
neue, in dieser Breite und Komplexität bisher nicht angenommene Aufgabe.
Zwar hat auch das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) die Jugendämter zu einem
plan vollen Zusammenwirken mit allen Trägern der Jugendhilfe aufgefordert,
um dadurch eine bedarfsgerechte Ausgestaltung der Jugendhilfe-Angebote zu
bewirken. Doch obwohl das JWG zwar nicht ausdrücklich, aber doch inhaltlich
eine Planungsaufforderung ausgesprochen hat, haben die Formulierungen des
JWG nicht zu einem breiten Ausbau des Gestaltungsinstruments ,,Jugendhil
feplanung" geführt. Angesichts der Planungsverpflichtung im KJHG, der die
Jugendämter nun nicht mehr ausweichen können, besteht in den allermeisten
Regionen ein großer Nachholbedarf an Jugendhilfeplanung.
Betrachtet man die aktuelle Planungssituation in der Jugendhilfe, so scheint
es angemessen, Jugendhilfeplanung als eine für die Jugendämter neue Aufgabe
zu charakterisieren. Hinzu kommt, daß in den Jugendämtern, die in der Ver
gangenheit praktische Erfahrungen in der Jugendhilfeplanung gemacht haben,
nicht immer positive Eindrücke aus den eingesetzten Planungsansätzen und -
methoden geblieben sind. Es bedarf somit auch der Aufarbeitung bisheriger
Planungserfahrungen und der Verarbeitung dieser Erfahrungen in neuen, der
Jugendhilfe angemesseneren Planungskonzepten. Auf dem Hintergrund dieser
Ausgangssituation zeigt sich Jugendhilfeplanung als eine neue Entwicklungs
aufgabe für die Jugendämter. Diese neue Entwicklungsaufgabe bringt sowohl
für die Jugendämter als auch für die freien Träger der Jugendhilfe eine Fülle
von Anforderungen mit sich.
Mit dem vorliegenden Buch werden zwei Absichten verfolgt. Zum einen
wird der Versuch gemacht, auf dem Hintergrund der Analyse bisheriger Pla
nungserfahrungen in der Jugendhilfe eine Planungsorientierung zu formulieren,
die den Strukturen der Jugendhilfe angemessen ist und mit deren Hilfe Pla-
10 Vorwort
nungsmethoden bewertet und reflektiert angewendet werden können. Zum an
deren sollen praxisbezogene Anregungen im Hinblick auf Planungsorganisati
on, Planungsmethoden, Beteiligung im PlanungsprozeB, arbeitsfeldbezogene
Planungsaspekte präsentiert werden, um so zur Entwicklung einer auf die be
sonderen Strukturmerkmale der Jugendhilfe ausgerichteten Planungspraxis bei
zutragen.
Mit der Erarbeitung des Buches verbindet sich daher die Hoffnung, daß es
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Jugendämtern und freien Trägem ermu
tigt, sich der Planungsaufgabe in der Jugendhilfe offensiv anzunehmen und
dabei Planung nicht nur vermeintlichen Spezialisten zu überlassen, sondern
Planung als eine fachliche Herausforderung innerhalb der Alltagsarbeit in der
Jugendhilfe zu begreifen und sich dementsprechend mit den eigenen Praxiser
fahrungen in den PlanungsprozeB einzubringen.
Solche Bücher wie das vorliegende entstehen natürlich nicht nur am
Schreibtisch. Eingegangen sind viele Anregungen und Erkenntnisse, die ich bei
Fortbildungen und Tagungen mit Jugendhilfe-Fachkräften, bei der planungsbe
zogenen Kooperation mit Jugendämtern und in mehreren Diskussionen mit
Mitgliedern kommunaler Jugendhilfeausschüsse vermittelt bekommen habe.
Sehr hilfreich und anregend war und ist auch die Zusammenarbeit mit den
Fachleuten des Instituts für soziale Arbeit (ISA), Münster.
In einigen Teilen des Buches habe ich Vorarbeiten einbezogen, die ich in
anderen Zusammenhängen geschrieben habe. Besonders zu nennen sind ein in
der Zeitschrift ,,Neue Praxis" 2/1992 veröffentlichter konzeptioneller Beitrag,
die mit einer Gruppe ehemaliger Kolleginnen und Kollegen beim DPWV-Lan
desverband NRW erstellte Arbeitshilfe ,,Jugendhilfeplanung - ein kommunika
tiver ProzeB" sowie ein im Auftrag des Landesjugendamtes Westfalen-Lippe
für das Landesjugendamt Mecklenburg-Vorpommern erstelltes Gutachten mit
dem Titel ,,Jugendhilfeplanung als neue fachliche Entwicklungsaufgabe: An
forderungen an Jugendämter und Landesjugendämter" (Juli 1992). Teile aus
diesen Vorarbeiten sind in überarbeiteter und erweiterter Form in den Kontext
der Argumentationen dieses Buches eingefügt worden.
Dortmund/Münster, im März 1994 Joachim Merchet
1. Jugendhilfeplanung beginnt nicht am Nullpunkt!
- Zur Entwicklung des Planungsgedankens und der
Planungspraxis in der Jugendhilfe -
Die Verpflichtung zur Jugendhilfeplanung ist zwar erst im Kinder- und Ju
gendhilfegesetz (KJHG) - also seit 1991 - gesetzlich festgeschrieben, und
dementsprechend ist Jugendhilfeplanung auch seit kurzem verstärkt zum Ge
genstand fachlicher Überlegungen und erneuter Bemühungen geworden. Die
aktuelle Beschäftigung mit Jugendhilfeplanung erfolgt jedoch nicht voraus
setzungslos. Der Planungsgedanke in der Jugendhilfe hat eine eigene, wenn
auch kurze Geschichte, und der aktuelle Umgang mit dem Thema ist beein
flußt durch bereits diskutierte Konzepte, durch Erfahrungen mit vergangenen
Planungsvorgängen, durch in anderen gesellschaftlichen Zeiten und Zusam
menhängen entstandene Urteile und Vorurteile gegenüber Planung.
Der Impuls, mit dem das KJHG die neue Debatte zur Jugendhilfeplanung
angestoßen hat, bedarf zu seiner Umsetzung in die Praxis zunächst einer
Aufarbeitung und Bewertung bisheriger Erfahrungen und Konzepte. Vielfach
begegnet man bei Politikern und in Jugendämtern außerordentlich skepti
schen Einstellungen gegenüber Jugendhilfeplanung, und vor diesem Hinter
grund wird Planung häufig als eine lästige Pflicht verstanden, derer man sich
mit möglichst geringem Aufwand entledigen sollte. Solche Einstellungen ha
ben einen spezifischen Erfahrungshintergrund, und um ein planungsfreundli
ches kommunalpolitisches Klima herzustellen, ist eine Kenntnis dieses Erfah
rungshintergrunds als Basis für ein Verstehen angebracht. Das Aufarbeiten
des politisch-sozialen Kontextes, in dem Sozial- und Jugendhilfeplanung als
sozialpolitisches Handlungskonzept entstanden ist und als dessen Ausdruck
es entwickelt wurde, trägt zu einer angemessenen Reflexion der aktuellen po
litisch-administrativen Bedingungen bei, innerhalb derer Jugendhilfeplanung
nun stattfinden soll.
Eine Beschäftigung mit der "Geschichte" der Jugendhilfeplanung kann
darüber hinaus nützlich sein im Hinblick auf die Weiterentwicklung von
Konzepten und Methoden. Der "Weg zu einer neuen Jugendhilfeplanung"
(Lehmann 1991) führt über das Aufarbeiten bisheriger Planungsmethodik,
um der Gefahr zu entgehen, daß die Jugendämter ,,Ansätze wiederholen, de
ren Fragwürdigkeit nur deshalb verborgen bleibt, weil keine Lehren aus der
Geschichte der politischen Planung in den 60er und 70er Jahren gezogen
worden sind" (Ronge 1991, S. 517). Damit Jugendhilfeplanungen künftig nicht
zu "folgenlosen Etüden für H~lzwege" degenerieren (Ronge 1991, S. 518),
12 Jugendhilfeplanung beginnt nicht am Nullpunkt!
sollten Planer und andere am Prozeß Beteiligte durch eine kritische Reflexion
von in der Vergangenheit entworfenen Konzepten ihre eigene Erwartungshal
tung gegenüber Planung klären und zu einer darauf bezogenen Neudefinition
von Jugendhilfeplanung gelangen, die wiederum als Leitlinie für die Aus
wahl und den Umgang mit Planungsansätzen und -methoden dienen kann.
1.1. Politische undfachliche Intentionen in einzelnen Phasen
der Jugendhiljeplanungsdiskussion
Jeder Versuch, zeitliche Abläufe in Phasen zu gliedern, ist sicherlich angreif
bar. Zum einen werden Entwicklungsprozesse voneinander abgetrennt, und
es besteht die Gefahr, daß reale Widersprüchlichkeiten in den Entwicklungen
zugunsten von Typisierungen aus dem Blick geraten. Zum anderen entbehrt
die Entscheidung, Einschnitte zu definieren, nicht einer gewissen Willkür.
Dennoch soll hier der Versuch gemacht werden, die Sozial- und Jugendhil
feplanungsdiskussion in vier zeitliche Phasen aufzugliedern. Es soll gezeigt
werden, daß jeder dieser Zeiträume durch spezifische Erwartungen und poli
tische Intentionen gekennzeichnet werden kann.
Obersicht: Phasen der Diskussion zur Sozial-und Jugendhilfeplanung
(I) bis ca. Mitte der 60er Jahre:
Planungsabstinenz
(2) ab Mitte der 60er Jahre bis zweite Hälfte der 70er Jahre:
Reformoptimismus, zunehmend überlagert durch "Sozialtechnokratie"
(3) Anfang bis Ende der 80er Jahre:
Planungs skepsis, Planungsstillstand
(4) seit Anfang der 90er Jahre:
Neubelebung durch Impuls des KJHG
Bis in die erste Hälfte der 60er Jahre war Sozialplanung kein Thema inner
halb der Diskussion um die Gestaltung sozialer Politik und sozialer Arbeit. In
der Nachkriegszeit vollzog sich erst allmählich ein Ausbau sozialstaatlicher
Strukturen, so daß zunächst die gesellschaftliche und politische Basis fehlte,
die dem Thema "Sozialplanung" Bedeutung hätte verleihen können. Hinzu
kam die politische Belastung des Planungs gedankens durch die Konkurrenz
der politischen Blöcke von Ost und West ("Kalter Krieg"). Die Systemkon
kurrenz bewirkte eine Diskriminierung des Planungsbegriffs. Obwohl wie bei
jedem politischen Handeln mit Steuerungsabsicht "geplant" wurde, wurden
staatliche Planungen als Eigenschaft eines anderen, mißliebigen politischen
Systems herausgestellt ("Planwirtschaft"), das mit den Mitteln der Planung
den Freiheitsraum der Individuen einengt, während für die pluralistische
Demokratie die individuelle Entfaltung als zentrales und der Planung entge
genstehendes Element propagiert wurde. Planung wurde zum Symbolbegriff
für das den eigenen Werten entgegenstehende politische System und mit ent-