Table Of ContentRegine Schonenberg (Hrsg.)
Internationaler Drogenhandel
und gesellschaftliche Transformation
Sozialwissenschaft
~
Regine Schonenberg (Hrsg.)
Internationaler
Drogenhandel und
gesellschaftliche
Transformation
Deutscher Universitiits-Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsoufnahme
Internationaler Drogenhandel und gesellschaftliche Transformation /
Regine Schonenberg (Hrsg.). - Wiesbaden : DUV, Dt. Univ.-Verl., 2000
(DUV : SozialwissenschaFt)
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© Deutscher Universitats-Verlag GmbH, Wiesbaden, 2000
lektorat: Ute Wrasmann / Sebastian Hammelsbeck
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ISBN 978-3-8244-4406-9 ISBN 978-3-322-90368-6 (eBook)
DOl 10.1007/978-3-322-90368-6
Vorwort
"Kriminalitat ist die Fortsetzung der freien Marktwirtschaft
ohne staatliche ZwangsmaBnahmen,,1
In Begriffen wie "unternehmerische Mafia" (Arlacchi 1989) oder "illegale Unterneh
men" (Krauthausen/Sarmiento 1991) drOckte sich die wachsende Einsicht sozialwis
senschaftlicher Forschung in Grundlagen und Motive Organisierter Kriminalitat (O.K.)
aus2. Ihr Tun ist unter okonomischen Gesichtspunkten vor allem eines: die Fortset
zung profitorientierten Wirtschaftens mit illegalen Mitteln, in illegalen Tatigkeitsfeldern
und haufig unter Ausnutzung von Extraprofiten, die sich quasi als Risikopramie aus
der IIlegalitat ableiten.
Die Herausgabe des Kompendiums ,.Intemationa/er Orogenhande/ und gesel/schaft
liche Transformation" soli vor allem einen Beitrag leisten
• zur Entmystifizierung von Organisiertem Verbrechen, Drogenhandel und Mafia
durch solide Informationen aus erster Hand, die unter BerOcksichtigung ihres so
zialen, politischen und institutionellen Kontextes diskutiert werden;
• zur Initiierung eines gesellschaftspolitischen und wissenschaftlichen Dialogs un
terschiedlicher Akteure, die auf die eine oder andere Art mit dem Thema ,Organ i
sierte Kriminalitat' beschaftigt sind und unterschiedliche Erfahrungshorizonte ein
bringen konnen.
Ausgehend von diesem Buchprojekt ist ein internationales Symposium in Frankfurt
fUr Ende 2000 geplant, das zusatzliche Teilnehmer in den Dialog einbinden soli. Die
ROckfUhrung eines globalen Diskussionsprozesses auf nationale (Innere Sicher
heitlGewaltmonopol des Staates) und regionale (neue transnationale Kooperationen)
Ebenen ist essentiell fUr die komparative Bearbeitung des Themas auf internationaler
Ebene. Das internationale Drogenforschungsnetzwerk MOST3 der UNESCO/Paris
bildete den Rahmen fUr die Erarbeitung der meisten hier vorliegenden Beitrage und
hat ihre Obersetzung ermoglicht. Auch die Idee, die seit zwei Jahren zwischen den
Forschungsgruppen der beteiligten Lander gefOhrten Diskussionen in die jeweiligen
nationalen Debatten zu Organisierter Kriminalitat und Drogenhandel einzufUhren,
entstammt dem MOST-Zusammenhang.
1 Dieter Nuhr, Kabarettist, in Berlin am 28.7.99.
2 Pino Arlacchi: "Mafiose Ethik und der Geist des Kapitalismus -Die unternehmerische Mafia", Ffm.,
1989; Ciro Krauthausen/Luis Fernando Sarmiento: "Cocafna & Co. Un mercado ilegal par dentro",
Bogota, 1991.
3 MOST-Profil, siehe Anhang.
v
Die Form der Herstellung und Gewahrleistung "Innerer Sicherheit" wird hautig un
sachlich und ideologiebefrachtet verhandelt. Dies gilt ganz besonders fOr die ver
breiteten Polemiken im Zusammenhang mit der Politik zur Bekampfung des Dro
genanbaus, Drogenhandels und Drogenkonsums als wichtigem Teilbereich Organi
sierter Kriminalitat.
Die Autorlnnen hotten, durch diesen Band zu einer diversitizierten Sichtweise der
Problematik anzuregen.
Regine Schonenberg & Robert Lessmann4
4 Politologe u. Joumalist, Studien zur Drogenproblematik in Bolivien, Kolumbien, Peru; Autor des Bu
ches "Drogen6konomie und intemationale Politik", 1996.
VI
Inhalt
Vorwort v
Editorial
Regine SchOnenberg
Zwischen Privatisierung und Internationalisierung - Die Zukunft
des staatlichen Gewaltmonopols
Lothar Brock & Regine SchOnenberg 7
Das Gewaltmonopol in Brasilien
Guaracy Mingardi 33
Reflexionen zu neuen grenzOberschreitenden Kooperationen von
Sicherheitsorganen: Die internationale Drogenbekampfung
Leo Schuster 43
Cultural Impact of Prohibition Policies as Consequence of
International Co-operation
Molly Charles & Gabriel Britto 73
Die BIOten des Verbrechens: Das Beispiel Thailand
Guilhem Fabre 89
Drogenhandel im sOdlichen Afrika:
Die Hinterlassenschaft von Krieg und Apartheid
Laurent Laniel 113
The International Drug Complex
Hans T. van der Veen 143
Anhang 169
I Das MOST-Profil 169
II Websites zu Drogen, Mafia und Organisierter Kriminalitat 171
VII
Editorial
Regine Schbnenberg
Der internationale Drogenhandel bewegt nach konservativen Schatzungen (UNDCP
1998) 400 Milliarden US$ im Jahr. Laut Pino Arlacchi, dem Chef der UN
DrogenkontrolibehOrde UNDCP gehen damit der legalen Weltwirtschaft ein Vielfa
ches an Ressourcen und Entwicklungspotential verloren 1. Dieser Sichtweise, die auf
einer sauberen Trennung von Legalitat und lIIegalitat in Politik und Wirtschaft basiert,
widersprechen samtliche hier vorliegenden Beitrage in ihren jeweiligen Schlussfolge
rungen. Beunruhigend ist weniger der weltweite Anstieg organisierter Kriminalitat als
die Verwischung von Grenzen in allen Lebensbereichen. Raymond Kendall, Gene
ralsekretar von Interpol beantwortet daher die Frage nach der Verflechtung von Dro
gen-und legaler Okonomie wie folgt:
"Globalization and its many manifestations mean that borders of all sorts are be
coming increasingly difficult for govemments to define, let alone maintain. ,<2
Dieser neuen ,Grenzenlosigkeit', z.B. im Schengener Binnenraum sowie im Cyber
space des global en Netzes, soli nun mit konventionellen Mitteln wie der Verscharfung
von EU-Aul!engrenzkontrollen und technischer AufrOstung begegnet werden. Ein
sichten wie diese: "Standorifragen (von O.K.) sind nur im Zusammenhang mit der
Durchsetzbarkeit okonomischer Interessen und des Schutzes vor Strafverfolgung von
Bedeutung. Kein bestimmtes Land ist im Visier, sondern eine den Kriminellen op
portune Schwache der Struktur. ,,3 sind selten; der illegal einwandernde Dunkelmann
beherrscht als Protagonist der internationalen organisierten Kriminalitat weiterhin die
Vorstellungswelt der Mehrzahl seiner Jager.
Ersetzt man die oben zitierten ,Kriminellen' jedoch durch "an optimaler Profitmaximie
rung interessierte Kreise", kommt man den gesellschaftlichen Schnittstellen zwischen
Legalitat und lIIegalitat schon naher. Die im Juni 1998 anlasslich des 10-jahrigen Be
stehens der (Anti-)Drogenkonvention in New York abgehaltene Sondersitzung der
UN-Generalversammlung konzentrierte sich in ihren Debatten u.a. auf die Geld
wasche und beschlol! ein globales Programm zu deren Bekampfung4. Geldwasche,
ein konstitutiver Bestandteil der nationalen wie internationalen Finanzwelt, entspricht
1 Kurt Schelter (1999:17) fOhrt fOr Deutschland 1998 1,8 Mrd. an - auf welcher Grundlage dies errech
net wird, bleibt ungenannt; in: Reinhard C., u.a ..
2 Sources, UNESCO, 4/1999:8, No. 111.
3 Enrico Palumbo (1999:306), in: Reinhard C., Meier-Walser, Gerhard Hirscher, Klaus Lange, Enrico
Palumbo (Hrsg.) Organisierte Kriminalitat - Bestandsaufnahme, Transnationale Dimension, Wege der
Bekampfung, MOnchen.
4 UN-Resolution S-20/4 D - e-mail: [email protected].
als Vorgang weitgehend der 1990 von der gemeinsamen ,AG Justiz und Polizei' be
schlossenen, vagen DefinitionS Organisierter Kriminalitat (OK):
"OK ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmaBige Begehung von
Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind,
wenn mehr als zwei Beteiligte auf langere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig
• Unter Verwendung gewerblicher oder geschaftsahnlicher Strukturen,
• Unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur EinschOchterung geeigneter Mit
teloder
• Unter EinfluBnahme auf Politik, Medien, offentliche Verwaltung, Justiz oder Wirt
schaft zusammenwirken'<6.
Bereits diese Definition ,Organisierter Kriminalitat' (O.K.) ist problematisch und als
eigener Straftatbestand sogar inexistent. Trotzdem wird deutlich, dar.. bei der Be
schaftigung mit diesem Phanomen, mehr noch als bei Kriminalitat im landlaufigen
Sinne, eine Einbeziehung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen unerlar..lich ist.
"OK ist nichts auBerhalb der Gesellschaft Stehendes, das isoliert betrachtet und be
kampft werden konnte7", sondern es handelt sich um allgegenwartige Aktivitaten in
den standiger Veranderung unterliegenden gesellschaftlichen Freiraumen. Ausmar..
und Verlauf der border-line zwischen Legaiitat-informaiitat-lilegalitat werden perma
nent verhandelt und besonders in Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs und damit ein
hergehender, zunehmender UnObersichtlichkeit staatlicher Zustandigkeiten von sich
verandernden Gesetzmar..igkeiten bestimmt. Um das Verstandnis dieser Gesetzma
r..igkeiten im Schatten der Globalisierung geht es uns bei der interkulturellen und in
terinstitutionellen Beleuchtung des Themas "Internationaler Drogenhandel und ge
sellschaftliche Transformation".
Welche Rolle spielen nicht regulierte, gesellschaftliche Raume bei Transformations
prozessen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene? Welche Faktoren lassen
diese regulationsfreien Raume wie und warum wachsen oder schrumpfen? Welche
Potentia Ie fOr Innovation bergen sie? Diesen Fragen soli anhand eines Themenfel
des nachgegangen werden, welches viele Phantasien weckt, in zahlreichen Argu
mentationsmustern wiederzufinden ist, bislang aber kaum in koharenter Form von
den Sozialwissenschaften aufgegriffen wurde.
5 Diese Definition ersetzte u. detailiierte die Definition von 1981. AG II der Innenministerkonferenz.
6 Zitiert nach: Hans Neusel (1993): Organisierte Kriminalitat - Gefahren fOr Staat und Gesellschaft, in:
Politische Studien. Organisierte Kriminalitiit. Sonderheft 3. 4/1993:7f.
7 .. Es durfen sich nicht die Metastasen der OK in unserem Land so ausbreiten. daB ein Gesundungs
prozeB nur noch mij schwerwiegenden Eingriffen und bleibenden Schiiden eingeleijet werden kann ....
Neusel (1993:20) reprasentiert die landlaufige Vorstellung von OK.
2
Auf dem Hintergrund der Globalisierungsdebatte soli an hand der Analyse des Funk
tionswandels nationaler und internationaler Sicherheitsorgane der Einflul1 organi
sierter, transnationaler Kriminalitat, insbesondere des Drogenhandels8 und dessen
Bekampfung, auf die Restrukturierung regionaler, nationaler und internationaler poli
tischer Beziehungen aufgezeigt werden. Besonders in der Debatte um innere und
aul1ere Sicherheit spielen Drogenkonsum, -handel und -kontrolle eine prominente
Rolle: Der Handel mit Drogen ist von Natur aus grenzubergreifend und den Aktivita
ten der organisierten Kriminalitat zuzurechnen. Auch wird das Gewaltmonopol des
Staates durch parallele Gewaltapparate, ausgestattet mit illegalen Waffen, Kommu
nikationsstrukturen, Finanztransaktionen und ,Vollzugsinstanzen' tendentiell in Frage
gestellt.
Drogenkontrollpolitik auf nationaler wie internationaler Ebene wird von Institutionen
durchgefOhrt, die neben der Reprasentation gesellschaftlicher Interessen, institutio
nelle Eigeninteressen verfolgen. Besonders in Zeiten der Redefinition originarer Auf
gabenfelder staatlicher Sicherheitsorgane kann es hier leicht zu Verzerrungen bei
der Gewichtung gesellschaftlicher Problemlagen kornrnen.
Ein mehrmaliger Wechsel der thernatischen und geographischen Perspektive soli es
dem Leser ermoglichen, einen Eindruck von der Vielgestaltigkeit der Problematik des
internationalen Drogenhandels zu gewinnen.
Die Staatenwelt befindet sich im Obergang von der Interdependenz zur weltgesell
schaftlichen Strukturierung sozialer Handlungszusammenhange. 1m Beitrag von Lo
thar Brock und Regine SchOnenberg geht es urn die zunehmende Verwischung der
Grenzen zwischen zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Konflikten sowie privater
und offentlicher Gewalt, die solche Prozesse mit sich bringen. Welche Alternativen
sind bei der Neustrukturierung dieses sensiblen Bereichs gesellschaftlicher Organi
sation vorstellbar? Wie konnte Rechtstaatlichkeit jenseits nationaler Grenzen garan
tiert werden?
Bei der Begleitung globaler Transformationsprozesse haben die Staaten unter
schiedliche Startbedingungen: Was geschieht, wenn das Gewaltmonopol des Staa
tes aufgrund vielfaltiger Partikularinteressen nie oder nur unzureichend durchgesetzt
wurde, beschreibt Guaracy Mingardi am Beispiel hochst bedenklicher, privater Alter
nativen zum staatlichen Gewaltmonopol in Sao Paulo und Rio de Janeiro.
8 Lt. Neusels (1993) Interpretation der Kriminalstatistik, die der o.a. Definition von OK, entspricht,
entfallen ca. 50% dieser Delikte auf Rauschgiftkriminalitat, und 50% aller OK-Delikte sind internatio
naler Natur.
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