Table Of ContentEdition Rechtsextremismus
Herausgegeben von
F. Virchow, Düsseldorf, Deutschland
A. Häusler, Düsseldorf, Deutschland
Die „Edition Rechtsextremismus“ versammelt innovative und nachhaltige Beiträge
zu Erscheinungsformen der extremen Rechten als politisches, soziales und kultu-
relles Phänomen. Ziel der Edition ist die Konsolidierung und Weiterentwicklung
sozial- und politikwissenschaft licher Forschungsansätze, die die extreme Rechte
in historischen und aktuellen Erscheinungsformen sowie deren gesellschaft lichen
Kontext zum Gegenstand haben. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei transnatio-
nalen Entwicklungen in Europa.
Herausgegeben von
Fabian Virchow Alexander Häusler
Düsseldorf, Deutschland Düsseldorf, Deutschland
Martin Langebach • Michael Sturm (Hrsg.)
Erinnerungsorte der
extremen Rechten
Herausgeber
Martin Langebach Michael Sturm
Düsseldorf, Deutschland Münster, Deutschland
ISBN 978-3-658-00130-8 ISBN 978-3-658-00131-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-658-00131-5
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Lektorat: Dr. Jan Treibel, Monika Mülhausen
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Inhalt
Erinnerungsorte der extremen Rechten. Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Martin Langebach und Michael Sturm
Schicksal – Heldentum – Opfergang. Der Gebrauch von Geschichte
durch die extreme Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Michael Sturm
Geahnte Ahnen. ›Germanische‹ Erinnerungsorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
Karl Banghard
Die Wewelsburg und die »Schwarze Sonne«. Von der Entlastungslegende
zum vitalen Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Dana Schlegelmilch und Jan Raabe
Die ›Konservative Revolution‹. Geistiger Erinnerungsort der ›Neuen
Rechten‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Volker Weiß
›Tag der nationalen Arbeit‹. Der 1. Mai als Erinnerungsort der
extremen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Harriet Scharnberg
Der Annaberg. ›Ein Symbol des erwachten Deutschtums‹ . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Jörg Kronauer
6 Inhalt
Die Waffen-SS. Deutungsmuster der »Hilfsgemeinschaft auf
Gegenseitigkeit« (HIAG) und andere Apologien ....................... 157
Karsten Wilke
›Heldengedenken‹. Neonazistische Heldenehrung als Abwehrkampf
gegen den Bolschewismus – das Beispiel Halbe ........................ 177
Von Christoph Schulze
Luftkrieg. Akteure und Deutungen des Gedenkens seit 1945.............. 197
Martin Clemens Winter
8. Mai 1945 ........................................................ 213
Martin Langebach
Alliierte Kriegsgefangenen- und Internierungslager.
»Folterlager« in Bad Nenndorf und »Massenvernichtung« in Remagen:
Neonazi-Propaganda gegen alliierte Besatzungspolitik .................. 245
Barbara Manthe
Rudolf Heß. Kristallisationspunkt der extremen Rechten ............... 265
Maica Vierkant
Konzentrationslager. Die Gedenkstätte Sachsenhausen –
Ein Erinnerungsort der extremen Rechten? ............................ 287
Dagmar Lieske
Autorinnen- und Autorenverzeichnis ................................. 301
Erinnerungsorte der extremen Rechten
Zur Einleitung
Martin Langebach und Michael Sturm
Mit Festakten unter Beteiligung vieler Staatsoberhäupter und anderer politischer
Repräsentantinnen und Repräsentanten wurde zu Pfi ngsten 2014 der 70. Jahrestag
der Landung alliierter Verbände in der Normandie am 6. Juni 1944 begangen. Der
D-Day bildete ein Schlüsselereignis auf dem Weg zur Befreiung Europas und seiner
Menschen vom Nationalsozialismus und Faschismus. Doch auch andere historische
Ereignisse fi nden ihren Ausdruck in der gegenwärtigen Geschichtskultur. Überall
in Europa wird in diesem Jahr im Rahmen zahlloser Ausstellungen, Tagungen und
Publikationen an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert.
Diese und andere Rückblicke auf historische Ereignisse von nicht selten weltpoli-
tischer Bedeutung sind heute stark in der bundesrepublikanischen Öff entlichkeit
präsent. Die Erinnerung ist oft mit dem politischen, pädagogischen oder morali-
schen Imperativ verknüpft , ›aus der Geschichte zu lernen‹. Doch der Blick auf die
Vergangenheit hängt stets ab von der betrachtenden Perspektive – eine Erkenntnis,
die nicht nur Historikerinnen und Historiker teilen. Auch für die extreme Rechte
stellt Geschichte einen ›Steinbruch‹ da, aus dem sie sich selektiv bedient. Werden
an Omaha Beach Kränze den Wellen übergeben, um der gefallenen Soldaten der
Alliierten zu gedenken, erinnern Protagonistinnen und Protagonisten der extre-
men Rechten an die Tage des zum ›Panzerjäger‹ verklärten SS-Hauptsturmführers
Michael Wittmann, der an den Kämpfen in der Normandie beteiligt war. Werden
im Bendlerblock des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin Reden gehalten,
in denen die Courage der Attentäter vom 20. Juli 1944 beschworen wird, heben
sie die Rolle Otto Ernst Remers bei der Zerschlagung des Widerstandskreises um
Claus Schenk Graf von Stauff enberg hervor. Und wenn am 8. Mai 2015 der 70.
Jahrestag des Kriegsendes gefeiert werden wird, ist absehbar, dass Teile der extre-
M. Langebach, M. Sturm (Hrsg.), Erinnerungsorte der extremen Rechten, Edition Rechtsextremismus,
DOI 10.1007/978-3-658-00131-5_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015
8 Martin Langebach und Michael Sturm
men Rechten die Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands lautstark
zum Ende einer kurzen ›Ära der Freiheit‹ stilisieren werden.
1 Hypothek und Ressource – Die Bedeutung von
Geschichte für die extreme Rechte
Geschichte stellt für die extreme Rechte ein zentrales Politikfeld dar. Die Demonstra-
tionen dieses Spektrums, die sich auf einen entsprechenden Hintergrund oder Anlass
beziehen, haben sich in den vergangenen Jahren als besonders mobilisierungsfähig
erwiesen (Virchow 2006, S. 80). Die Veröffentlichungen zu historischen Themen-
stellungen – vor allem zum Zweiten Weltkrieg aus Perspektive der ›Erlebnisgene-
ration‹ – sind kaum zu überblicken. Die damit verbundenen geschichtspolitischen
Positionierungen erzielen heute indes nicht mehr allzu viel Zustimmung, wirken
sie doch auf den ›Mainstream‹ zumeist irritierend, mitunter grotesk. Gleichwohl
wird eine tiefere Auseinandersetzung mit den Mythen und Apologien der extremen
Rechten nicht selten auch gescheut aus der Sorge, deren geschichtsrevisionistische
Parolen möglicherweise unfreiwillig aufzuwerten. Diese vermeintlich naheliegende
Haltung wird der zentralen Bedeutung, die dem Gebrauch von Geschichte in der
extremen Rechten der Bundesrepublik zukommt, jedoch nicht gerecht. Im Hin-
blick auf die nach außen getragene Propaganda kommt den ständig aufgerufenen
historischen Argumentationsmustern und Referenzen die Funktion zu, die eigenen
ideologischen Grundpositionen mit dem Nimbus ›absoluter Wahrheit‹ zu versehen.
Geschichte avanciert hier zur ›Waffe‹ im Rahmen eines Politikverständnisses, das
durchgängig von Kompromisslosigkeit und dichotomen Freund-Feind-Kategori-
sierungen geprägt ist.
Die extreme Rechte inszeniert sich dabei als ›Gegenelite‹, die für sich in An-
spruch nimmt, in der Kontinuität und gleichsam als Reinkarnation der gemeinsam
beschworenen gefallenen ›Helden‹ den Kampf um Deutschland weiterzuführen.
Freilich: Ihre historischen Deutungsmuster können, zumal wenn sie im Rahmen
von Demonstrationen in zumeist aggressiver Diktion vorgetragen werden, gesell-
schaftlich und politisch in der offiziellen Erinnerungskultur der Berliner Republik
als nahezu vollständig marginalisiert gelten. Doch genau darin scheint offenkundig
ihre gemeinschaftsstiftende Bedeutung für das extrem rechte Spektrum zu liegen.
Sie sind Ausdruck einer spezifischen Form von ›Geschichtspolitik‹, die ›Identität‹
und ›Kollektivität‹ nicht zuletzt durch ›historisch-fiktionale Gegenerzählungen‹
herzustellen versucht, die an überprüfbaren historischen Erkenntnissen allenfalls
instrumentelles Interesse zeigt und diese, »wie in einer Collage, mit Spekulatio-
Erinnerungsorte der extremen Rechten 9
nen, Mutmaßungen, widerlegten Thesen und teilweise auch mit reinen Fantasien
montiert« (Botsch 2014, S. 48). In ähnlicher Weise hat der Politikwissenschaftler
Samuel Salzborn auch von »Phantasiegeschichte« gesprochen, die genutzt werde,
»um eine Wirklichkeit zu interpretieren, die in den Augen ihrer Protagonisten so
hätte gewesen sein sollen beziehungsweise müssen, um die eigenen Zukunftsvisionen
und das Agieren in der Gegenwart legitimieren zu können« (Salzborn 2011, S. 21).
Für die unterschiedlichen Strömungen der extremen Rechten in der Bundesre-
publik war und ist Geschichte demnach gleichermaßen Ressource wie Hypothek.
Ressource – da es vor allem geschichtspolitische Themen waren, die sich über die
Jahrzehnte hinweg als besonders mobilisierungsfähig erwiesen und dazu beitrugen,
das notorisch zersplitterte und in Grabenkämpfe verstrickte Spektrum durch den
Rekurs auf gemeinsam geteilte Mythen und »Phantasiegeschichten« zumindest
anlassbezogen immer wieder zu einen.
Die Hypothek wiederum bilden bis heute die präzedenzlosen Verbrechen des
Nationalsozialismus, zu denen die extreme Rechte sich gezwungenermaßen in
irgendeiner Form verhalten muss. Der Umgang reichte und reicht von offener
Verherrlichung des Regimes, seiner Protagonisten und Wegbereiter, über die os-
tentative Leugnung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen bis
hin zum trotzigen Hinweis, dass »Adolf Hitler […] tot und die NSDAP aufgelöst«
sei, man »nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart« lebe und darüber
hinaus, »die Menschen […] ganz andere Probleme [haben], als sich ständig mit
einer Zeit zu beschäftigen, die schon eine Ewigkeit zurückliegt« (NPD 2012, S. 54).
Doch Stimmen wie jene aus der NPD, die anmahnen, dass die Partei »mittlerweile
rund sechs von zwölf Monaten mit Trauer-, Gedenk und Erinnerungskundge-
bungen aus Anlass zeithistorischer Ereignisse beschäftigt« und dass das vor dem
Hintergrund »einer Vielzahl ungleich wichtigerer Gegenwartsthemen und einer
ungleich breiteren politischen Themenpalette […] für unseren politischen Kampf
ausgesprochen kontraproduktiv« sei (Richter 2011), werden politisch abgestraft. Das
»Vergangenheitsghetto« (Karl Richter) scheint für die extreme Rechte existenziell.
Gleichwohl verweisen Apologien, Banalisierungsversuche und demonstratives
Beschweigen trotz ihrer unterschiedlichen Argumentationsmuster im Detail auf
ein in der extremen Rechten breit verankertes Geschichtsverständnis, das der His-
toriker Martin Broszat pointiert als »Amok-Lauf gegen die Wirklichkeit« (zitiert
in: Arndt 1976, S. 196) bezeichnet hat. Geschichtsrevisionismus, also der Versuch,
der angeblich von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und ihren deutschen
Erfüllungsgehilfen in Politik, Medien und Wissenschaft dekretierten ›offiziellen
Geschichtsschreibung‹ eine eigene ›Wahrheit‹ entgegenzustellen, bildet daher eine
zentrale Komponente in den gängigen sozialwissenschaftlichen, aber auch behörd-