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LUX-LESEBOGEN
NATUR- UND KULTURKUNDLICHE HEFTE
H A N NS MARIA LUX
Der letzte Dichter
der Romantik
scanned by Manni Hesse
VERLAG SEBASTIAN LUX
MURNAU -MÜNCHEN-INNSBRUCK.ÖLTEN
„DER KÖNIGLICHE RAT"
EXZELLENZ UND POET
Der Mann, von dem
hier die Rede ist, sitzt
an diesem Morgen in
seinem Dienstzimmer im
Hause der Königlich-
Preußischen Regierung
zu D a n z i g. Er ist dem
Oberpräsidium der Pro
vinz Westpreußen zuge
teilt: ein ansehnlich gra
duierter Beamter, wie
man leicht am goldver
schnürten Kragen der
dunkelblauen Uniform
erkennen kann. Der Se
kretärbenutzt geschwind
eine Atempause seines
Chefs, den Gänse
kiel zu reinigen
und in die
Tinte zu tun
ken, und wie
der eilt die
Feder übers
Papier und
schreibt, was
Danzig
Der Mariendom
der Herr vom Fenster her diktiert. Keiner im großen Haus, in die
sem steinernen Aktenschrank, findet solch vortreffliche Sätze wie
der Herr Regierungsrat, dem sie mühelos über die Lippen gehen: in
ihm hat der Amtsstil seinen Meister gefunden . . .
So, und jetzt noch den letzten Absatz des Schreibens, das morgen
in aller Früh' per Extrapost zum Preußischen Kultusminister nach
Berlin auf den Weg gebracht werden soll. Von neuem setzt die Feder
an; der Chef diktiert den letzten Satz: „Indem ich mich Ew. Exzel
lenz' Gnade empfehle, wage ich zugleich die ehrerbietigste Ver
sicherung beizufügen, mich durch freudigen Eifer für Hochderselben
wohltätiges und großartiges Wirken in diesem wichtigen Teil der
Verwaltung Ew. Exzellenz' Gewogenheit würdig zu machen."
Famos, famos! denkt der Sekretär. Und jetzt schnell die abschlie
ßende Ergebenheitsfloskel: „Ew. Exzellenz gehorsamer . . .", dann
ein genügend breiter Abstand, damit die Unterschrift bequem Platz
finde . . ., und gleich darunter die respektablen Titel: ,Preußischer
Konsistorial- und Schulrat beim Oberpräsidio •— Kgl. Preußischer
Regierungsrat'. So, das wäre fein säuberlich geschrieben, und nun
möge — gehorsamst zu bitten — der Herr Regierungsrat den Namen
in den ausgesparten Raum setzen! Und der Regierungsrat unter
schreibt: Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff. Punktum
und Streusand drüber! —
Sagen wir es gleich: Der papiertrockene Stolpersatz im Brief an
die Exzellenz in Berlin ist mit keiner Silbe erfunden. Dreiunddreißig
Jahre schreibt und diktiert der preußische Beamte Eichendorff solche
und ähnliche Briefe im kürialen und gehorsam-ergebenen Stil; dazu
nüchterne Berichte, langweilige Statistiken, unpersönliche Gutachter
Diese Schriftsätze werden in abgegriffene Aktendeckel gefügt und aut
hohen Regalen abgelegt. Staub und Spinnen wandern darüber . ..
Dreiunddreißig lange Lebensjahre dient der Dichter des Waldes,
nein, der Beamte Eichendorff auf solche Weise getreu dem König
von Preußen: als Regierungsassessor in Breslau, als Katholischer
Konsistorial- und Schulrat in Danzig, als Oberpräsidialrat in Königs
berg und endlich als Ministerialrat im Kultusminsterium zu Berlin.
Er ,obliegt keineswegs nur gehorsam' seinen Pflichten, nein, er erfüllt
sie überzeugt-gewissenhaft; er gründet seinen Arbeitswillen auf ein
Wort des weisen Fichte, das ihm allzeit Wegweiser ist: ,Jeder Mensch
kann, was er soll, und wenn er sagt: ich kann nicht, so will er nicht!'
Die vorgesetzte Behörde schätzt die Leistungen ihres Beamten, sei
nen ,durchausgebildeten Geist, seine Genialität und Klarheit'. König
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Friedrich Wilhelm wird eines Tages geruhen, seinen fleißigen und
klugen Diener mit dem Titel eines Geheimrats in den wohlverdien
ten Ruhestand zu entlassen. —
Aber noch ist es nicht so weit, und wir schreiben erst Sommer 1824.
Draußen vor den Mauern von Danzig besitzt der Baron von Eichen-
dorff ein helles Landhaus, Silberhammer geheißen. Dort wartet nach
Dienstschluß die andere Welt auf ihn: Sie ist nicht preußisch-nüch
tern und unverrückbar fest gegründet, sie ist aus Ahnung und Traum
gewoben, aus seelischer Heiterkeit und kindlicher Frömmigkeit und
aus dem unverlierbaren Heimweh nach dem schlesischen Waldschloß
Lubowitz. Drinnen in Danzig hockt der Beamte Eichendorff nüchtern,
unverträumt auf dem „großen Karussell, das sie Staatswirtschaft
nennen, wo jeder stattlich auf seinem hölzernen Pferdchen oder
Schlitten sitzt", bis die Stunde kommt, in der man den ruhegehalts
reifen Staatsdiener abhalftern wird. Hier draußen jedoch, auf dem
einsamen Herrensitz Silberhammer, wandert das träumende Herz
des Dichters Eichendorff mit einem Gesellen, der dem Märchen-Hans
im Glück wie ein Zwillingsbruder gleicht. Dem Manne, dessen
würdigernster Beamtenrock in dieser Stunde unbeachtet am Kleider
haken hängt, ist es, derweilen die Feder hurtig dahineilt, akkurat
wie dem fahrenden Gesellen seiner schönsten Novelle, dem „Tauge
nichts", zumut: „wie wenn der Frühling anfangen sollte, so unruhig
und fröhlich, ohne daß ich wußte, warum, als stünde mir ein großes
Glück oder sonst etwas Außerordentliches bevor . . ."
Drinnen im Dienstzimmer der lauten Stadt kopiert der Sekretär
noch schnell den Brief des Chefs an den Minister. Jetzt, nach Ab
schluß des Dienstes, ist er allein, jetzt darf er laut schnalzen: Welch
ein Meister des Stils ist doch der Regierungsrat! Wie klangvoll ist
solch ein Satz: „. . . für Hochderselben Wirken Ew. Exzellenz' Ge
wogenheit würdig zu machen . . .!"
Auf Silberhammer hebt gerade eben der Dichter den Kopf. Drun
ten am Fuß der Hügelbucht rauscht die Ostsee. Aber der Hall des
Wellenschlages verzaubert sich dem Sinnenden sogleich in das Rau
schen der Wälder; südlich von hier, viele wolkenblaue Wandertage
weit, liegen die Wälder der Heimat im schlesischen Land. Wo er
auch weilt, sie rufen ihn; wohin die Menschen seiner Novellen, die
Gestalten seiner Gedichte den Reiseschritt auch lenken mögen:
überall empfängt sie der eine und gleiche Wald, der Wald seiner
Kindheit auf Schloß Lubowitz . . .
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Jugendbildais Eichendortfs aus dem Jahre 1799
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DAS GRÜNE VATERLAND
„Es ist ein wunderbares Lied in dem Waldesrauschen unserer hei
matlichen Berge. Wo du auch seist, es findet dich doch: keinenDichter
noch ließ seine Heimat los." — Dieses Eichendorffsche Wort ist der
Schlüssel zu allen Werken des Dichters. Er legt es zwar auf die
Zunge eines anderen Poeten, des Fortunat in seinem Buch „Dichter
und ihre Gesellen", und doch bleibt es ein Selbstbekenntnis. Ist es
wirklich nur ein wortspielerischer Zufall, daß selbst aus dem Fami
liennamen Eichendorff der Ruf des Waldes tönt? Und trägt nicht
auch das Wappen des tausendjährigen Geschlechts ein bezeichnendes
Symbol: einen goldenen Baumast mit Eicheln auf rotem Schildgrund!
*
Schloß Lubowitzim Waldesrauschen der heimatlichen Wälder:
da* ist der verzaubernde Klang, der Eichendorffs Dichtung wie ein
Grundton erfüllt. Das „stille hohe Haus", der Garten, der Schloß
park, die Allee, die Pfade: das ist nicht nur die Welt seiner Kinder-
und Jünglingsjahre: es ist die Welt, durch die er bis zum letzten
Atemzug gehen wird. Sie bleibt ihm. Selbst dann, als wirtschaftliche
Not die Familie zwingt, Schloß und Wald aufzugeben, weiß er:
„Wenn fremde Leute gehen im Garten vor dem Haus, doch überm
Garten sehen nach uns die Wipfel aus".
Da ist das Schloß, das in den Erzählungen und Strophen dem
Leser so oft vor Augen steht: „Weiß und schlank strebt es aus den
Wipfeln und Blüten", es hebt „seine lichten Formen gegen den
dunklen Hintergrund der nahen Karpathen und Sudetenberge ab".
Efeu rankt um die Fenster, du spähst in gepflegte Räume.
Da ist der Garten: „Er stand auf einer Reihe von Hügeln wie eine
frische Blumenkrone über der grünen Gegend", die Rabatten leuch
ten, Linden, Eichen und Lärchen ragen empor, Nußbäume und Kie
fern, oft uralte. Gesellen mit weitarmigem Geäst. Eine Terrasse er
hebt sich hoch über dem Tal der Oder, Buchenheckenwege oder
Buchsbaumpfade führen zu lauschigen Lauben . . . Weit dehnt sich
der Park aus; Rehe und Damhirsche weiden dort, die „scheu im tie
feren Dunkel verschwinden": das ist die Welt des ersten Waldes,
den der Knabe erlebt und dessen raunende Stimmen sein Herz ver
lockend berühren.
Und Schloß, Garten und Park liegen in einer Landschaft, die von
der lauten Stadt, vom schlesischen Ratibor, entrückt und deshalb
einsam und sehr still ist. Der Fluß windet sich, „umrauscht von
Buchenwäldern, von tausend Lerchen übersungen", durch Wiesen
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und Felder, von Hügeln und Berg schimmern weiße, waldumsäumte
Herrensitze und Schlösser; verschwiegene Täler öffnen nur zögernd
ihre lichtgrünen Gründe; Bäche, in ihrer Reinheit noch unversehrt,
hüpfen über Fels und Kiesel, „der Schlag der Eisenhämmer kommt
nur schwach und verworren"; Mühlräder schleifen"und knarren und
wissen viel von heimlicher Liebe und schmerzlicher Untreue zu er
zählen.
Diese Welt hat Eichendorff zum Dichter erhöht. Und heißt die
Landschaft auch Lubowitz und Schlesien: sie ist über jede geogra
phische Begrenzung hinaus die deutsche Landschaft der Romantik,
ja, das Waldland der Deutschen insgemein. Er nennt sie „mein grü
nes Vaterland", er kennt ihre geheimsten Regungen und ihren leise
sten Atem, und wie kein zweiter Dichter vor und nach ihm hatte er
das Recht zu sagen: „Ich verstehe die Waldessprache, und was ich
auch hinzugelernt habe, sie ist und bleibt doch meine rechte Mutter
sprache!"
URMÜTTERLICHER WALD
Der Vater des Dichters ist ein Grandseigneur. Freiherr Adolf
von Eichendorff ist reich und aus edlem Geblüt, er hat ritterliche und
grundherrliche Vorfahren, er ist Burgherr von Tost, das an der Han
delsstraße zwischen Krakau und Breslau liegt. Der erste Eichendorff,
von dem die Überlieferung weiß, der aus den Wäldern um Passau
an der Donau stammt, erhielt um 928 von Kaiser Heinrich I. den
Ritterschlag; ein anderer, Herr Hartwig Erdmann von Eichendorff,
verpflanzte nach 1650 den mitteldeutschen Zweig der Familie ins
schlesische Land; hier erwarb er einen Grundbesitz, der weit ins
Mährische reichte. Des Dichters Vater, Adolf von Eichendorff, hat
unter dem Alten Fritz gedient, dann aber die Waffenuniform mit
dem Zivilrock des Gutsherrn und der grünen Tracht des Jägers ver
tauscht. Er ist ein Mann von gediegener Bildung; aber er ragt keines
wegs über die Mehrzahl seiner Standesgenossen hinaus. Ja, er mag
dem „Herrn A." im Roman seines Sohnes „Ahnung und Gegenwart"
gleichen, der „durch einseitige Erziehung und eine Reihe schmerz
licher Erfahrungen ermüdet, den lebendigen Glauben an Poesie und
alles Große und Ungewöhnliche im Leben aufgegeben hatte". Er hei
ratet das schöne Freifräulein Karoline von Kloch, eine reiche Erbin,
und führt mit ihr eine glückliche Ehe. Die Gattin ist klug und
energisch; aber durch ihre Hausbackenheit schimmert nirgendwo
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auch nur das kleinste Fädchen poetischer Fabulierkunst, die ihrem
Sohne einmal Unsterblichkeit verleihen wird und die ihn zum volks
tümlichsten Dichter neben Schiller und Uhland machen soll.
Nein, Vater und Mutter haben Josef von Eichendorff nicht die
Mitgift der ungewöhnlich tiefen Empfänglichkeit und poetischen
Aussagekraft vermacht. So dürfen wir wohl der Ansicht Hans Bran
denburgs, des ersten bedeutenden Biographen Eichendorffs, folgen:
,Das Blut, das schon Jahrhunderte in den schlesischen Wäldern
rauschte, bekam in Eichendorffs Dichtertum Bewußtsein und Stimme,
es trat in Worten ans Licht, in denen sich der Geist der Landschaft
zu Bild und Klang erlöste und die abenteuerliche, edle Vergangen
heit sich zu einem feinen, sinnlichen Element verflüchtigte.'
ES WAR AM 10. MÄRZ 1788 . . .
Noch lag der bitterböse Winter über Schlesien, die Kälte war so
streng, „daß die Schindnägel auf den Dächern krachten, die armen.
Vögel im Schlaf von den Bäumen fielen, und Rehe, Hasen und Wölfe
verwirrt in die Dörfer flüchteten. Auf dem einsamen Landschloß zu
Lubowitz gewahrte man ein wunderbares, geheimnisvolles Treiben,
treppauf, treppab; Lichter irrten und verschwanden an den Fenstern
still und lautlos, als schweiften Geister durch das alte Haus . . . Der
Vater ging in dem großen, von einer Wachskerze ungewiß beleuch
teten Tafelzimmer auf und nieder, er horchte bald in die Neben
stube, bald in den verschneiten Hof hinaus ... er hauchte die präch
tigen Eisblumen von den Scheiben und betrachtete den gestirnten
Himmel . . . Da schlug ein Hund tief unten im Dorf an, eine Peitsche
knallte, und Pferdegetrappel ließ sich im Hofe vernehmen. ,Endlich!'
rief der Vater. Eine auf Kufen gesetzte, altmodische Karosse dun
kelte aus dem dicken Dampf der Pferde wie aus einem Zauberrauch,
in welchem der Kutscher seine erstarrten Arme gleich Windmühlen
flügeln bewegte. ,Bitte, Herr Doktor!' sagte der Vater. Der Fremde
nahm schnell eine Handvoll Schnee und rieb sich die halberfrorene
Nase . . . Der Schnee knirschte unter den Tritten, der Hofhund bellte
— da wurde ich in der Stube hinter dem Tafelzimmer geboren . . .''
So schildert der Dichter die Stunde seines Eintritts in die Welt.
Und damit ja ein romantisches Element, die Ironie, nicht fehle, läßt
er uns noch wissen, daß es gar nicht der Doktor, der sehnlich er
wartete Geburtshelfer, war, der da aus der Kutsche kletterte, son
dern „ein langer, schmaler Kerl, den niemand kannte." —
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DIE GOLDENEN SCHLÜSSEL
Der kreuzbrave Hauslehrer, der Hofmeister Heinke, der sich des
heranwachsenden Knaben annimmt, hat den kleinen Baron gern: er
schätzt den hellen Kopf und den nie ermüdenden Fleiß. Aber, mon
dieu, die Phantasie, diese bedrohlich reiche Phantasie des Bübleins!
Dagegen muß man alles erzieherische Geschick einsetzen, damit das
Kind einmal ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft
werde. Des Hofmeisters pädagogische Absichten haben sich nämlich
dem Zeitgeist, der Aufklärung, verschrieben, und die fordert, daß
man das Leben der Kinder nach vernünftig-natürlichen Grundsätzen
gestaltet. Er wird also nicht mehr zulassen dürfen, daß der Bube in
die Wipfel der Bäume klettert, um die kostbare Zeit mit Träumen
und Schwärmen zu verplempern, statt vernünftigerweise die Muskeln
zu stählen! Was den .aufgeklärten' Erzieher aber am meisten er
zürnen mag, ist die gefährliche Lektüre des Knaben, Fabulierstoffe,
aus denen man keinerlei Nutzen ziehen kann; zum Beispiel diese
törichten Volksbücher vom gehürnten Siegfried, von der schönen
Magelone, von der unglücklichen Genoveva und den vier Haimons-
Sdüoß Lubowitz, Heimat und Wohnsitz der Eidiendorff
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