Table Of ContentBERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEIS
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG
Philologisch-historische Klasse
Band 99 • Heft 2
MARTIN LINTZEL
DIE ENTSTEHUNG
DES KURFÜRSTENKOLLEGS
1952
AKADEMIE-VERLAG-BERLIN
BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG
Philologisch-historische Klasse
Band 99 • Heft 2
MARTIN LINTZEL
DIE ENTSTEHUNG
DES KURFÜRSTENKOLLEGS
1952
AKADEMIE-VERLAG-BERLIN
Vorgetragen in der Sitzung vom 17. September 1951
Manuskript eingeliefert am 3. November 1951
Druckfertig erklärt am 4. April 1952
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin NW 7, Sehiffbauerdamm 19
Lizenz-Nr. 202 • 100/115/51
Satz und Druck der Bucbdruckerei F.Mitzlaff, Rudolstadt/Thür. V/14/7 -1340
Bestell- und Verlagsnummer 202G/99/2
Preis: DM 4,25
Printed in Germany
Vorbemerkung
Der Vortrag, den ich hier vorlege, ist für den Druck erheblich
verändert und erweitert worden. Trotzdem ist die kleine Schrift,
die auf diese Weise entstanden ist, von Vollständigkeit weit ent-
fernt. Sie ist viel mehr eine Skizze als eine erschöpfende Unter-
suchung, geschweige denn eine nach allen Richtungen ausgewogene
Darstellung der Entstehung des Kurfürstenkollegs. Mir lag nur
daran, eine Reihe von Gesichtspunkten hervorzuheben, die mir
wichtig zu sein scheinen und die wenigstens teilweise neu sind; auf
die Einzelheiten der Spezialforschung bin ich dabei nicht allzu sehr
eingegangen. Im Zitieren und in der Auseinandersetzung mit der
Literatur habe ich mich auf ein Minimum beschränkt; dagegen
habe ich, damit dem Leser die Möglichkeiten und Grenzen unserer
Erkenntnis deutlich werden, das Wichtigste, was wir aus den Quellen
erfahren, einigermaßen vollständig mitgeteilt.
Der Titel entspricht mehr dem Bedürfnis nach Kürze und Ein-
fachheit als nach absoluter Genauigkeit; ganz korrekt müßte er
eigentlich heißen: Über die Entstehung des Vorstimmrechts und des
ausschließlichen Wahlrechts der Kurfürsten.
Halle a. S., Oktober 1951. M. L.
Inhalt
Seite
Einleitung 7
Erstes Kapitel: Das Quellenmaterial 9
Zweites Kapitel: Das Vorstimmrecht der späteren Kurfürsten . 22
1. Das Wesen des Vorstimmrechts 22
2. Das Alter des Vorwählergremiums 28
3. Die Ursachen des Vorstimmrechts 34
Drittes Kapitel: Die Entstehung des ausschließlichen Wahlrechts
der Kurfürsten - 39
Einleitung
Wenn man die Verfassung des Deutschen Reiches, wie sie von der
zweiten Hälfte des dreizehnten bis zum Beginn des neunzehnten Jahr-
hundertsgewesenist,über alle zeitlichenWandlungen und Unterschiede
hinweg mit einem kurzen Schlagwort charakterisieren will, so gerät
man in einige Verlegenheit. Am ehesten könnte man vielleicht das
sonderbare staatsrechtliche Monstrum, das sich Römisches Reich
und später Heiliges Römisches Reich deutscher Nation nannte, als
Fürstenrepublik bezeichnen, an deren Spitze ein auf Lebenszeit ge-
wählter Präsident, der König oder Kaiser, stand. Man müßte sich
nur darüber klar sein, daß diese Bezeichnung sehr vereinfachend
und sehr vergröbernd ist; nicht bloß, daß sie wesentliche Elemente
des deutschen Reichsgebildes wie die Reichsstädte und die Reichs-
ritterschaften überginge, sie ließe auch eine Gruppe von Fürsten un-
berücksichtigt, die innerhalb oder vielmehr oberhalb des Kreises
der übrigen Fürsten eine besondere und zeitweise ganz entscheidende
verfassungsrechtliche Rolle spielten: die Kurfürsten. Für bestimmte
Zeiten wenigstens könnte man das Römische Reich mit gutem Ge-
wissen als Kurfürstenrepublik bezeichnen.
Doch wenn die Stellung der Kurfürsten auch mitunter, besonders
gegen Ende des dreizehnten und im vierzehnten Jahrhundert, so be-
deutend war,daß sie geradezu das Reich und die Reichsregierung re-
präsentierten, ihre ursprüngliche, eigentliche und vornehmste Funk-
tion (wovon alles andere im Grunde nur eine Folge war) ist es doch stets
gewesen, den König zu wählen. Die sieben Kurfürsten, die Erzbischöfe
von Mainz, Köln und Trier, sowie der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog
von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der König von
8 Mabtin Lintzel
Böhmen, verfügten über den deutschen Thron, und sie taten es
allein; die übrigen Fürsten und Angehörigen des Reiches waren
von einer Mitwirkung dabei ausgeschlossen.
Es ist keineswegs immer so gewesen, daß nur die sieben Kur-
fürsten den König zu wählen hatten. Im frühen und hohen Mittel-
alter war die Königswahl grundsätzlich eine Angelegenheit des
ganzen Volkes. Freilich sind die Beteiligungs- und Wirkungsmög-
lichkeiten des Volkes immer nur sehr problematisch gewesen, und
praktisch blieb die "Wahl stets der Aristokratie, den Fürsten und
Großen, vorbehalten. Das war eine Gruppe, die sich nach unten
schwer abgrenzen läßt; doch zweifellos zählten zu ihr mehrere hun-
dert Personen. Der sogenannte jüngere Reichsfürstenstand, der sich
im letzten Drittel oder Viertel des zwölften Jahrhunderts stabili-
sierte, und von dem die nicht in einem unmittelbaren Lehens-
verhältnis zur Krone stehenden „Magnaten" ausgeschlossen waren,
umfaßte dann nur etwa hundertundzehn bis hundertundzwanzig
Mitglieder. Wieweit durch diese Verringerung der Zahl der Fürsten
auch eine Verringerung der Zahl der an der Königswahl Beteiligten
eintrat, steht nicht ganz fest; aber selbst wenn die Magnaten irgend-
wann (nach der herrschenden und in diesem Punkte wohl richtigen
Meinung nicht vor 1237) aus der Wahl verschwanden, so bleibt
doch sicher, daß in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts
noch mindestens hundertundzehn Fürsten das Recht hatten, an ihr
teilzunehmen.
Das ändert sich dann, und zum ersten Male im Jahre 1257, bei
der Doppelwahl Richards von Gornwallis und Alfons' von Kastilien,
erscheinen die sieben Kurfürsten als die alleinigen Wähler des Königs.
Immerhin haben damals offenbar noch ein paar Fürsten eine be-
scheidene Mitwirkung bei den Vorbereitungen der Wahl ausgeübt,
und einige sind bei der Wahl selbst wenigstens zugegen gewesen.
Aber dieser Rest einer nichtkurfürstlichen Beteiligung ist bei der
nächsten Königswahl, der Rudolfs von Habsburg im Jahre 1273,
völlig verschwunden. Von jetzt an haben ganz zweifellos und un-
bestritten nur noch die Kurfürsten etwas bei dem Wahlvorgang
zu suchen.