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Schriftenreihe Medizinrecht
H. Witter
(Hrsg.)
Der
psychiatrische
Sachverstandige
im Strafrecht
Unter Mitarbeit von
P. H. Bresser W. Grasnick
G. Hengesch G.Jakobs K. Koehler
R. Lange R. Luthe M. RosIer
Springer-Verlag
Berlin Heidelberg New York
London Paris Tokyo
Prof. Dr. med. Hermann Witter
Institut fur gerichtliche Psychologie und Psychiatrie
Universitatskliniken
D-6650 Homburg/Saar
Fortfiihrung der Reihe "RECHT und MEDIZIN"
ISBN-13:978-3-540-17885-9 e-ISBN-13:978-3-642-83117-1
DOl: 10.1007/978-3-642-83117-1
CIp·Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek. Der psychiatrische Sachverstiindige im
Strafrecht / H. Witter (Hrsg.). Unter Mitarb. von P. H. Bresser ... - Berlin; Heidelberg;
New York; London; Paris; Tokyo: Springer, 1987. (Schriftenreihe Medizinrecht)
ISBN-13:978-3-S40-1788S-9
NE: Witter, Hermann [Hrsg.]
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© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1987
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Vorwort
Mein friiherer vieljiihriger Mitarbeiter und jetziger Amtsnachfolger
als Direktor des Instituts fUr gerichtliche Psychologie und Psychia
trie, Rainer Luthe, harte mit der Sammlung von Buchbeittagen
begonnen, urn sie als Festschrift zu meinem 70. Geburtstag zu ver
offentlichen. Festschriften, in der Medizin weniger ublich als in der
Jurisprudenz, erreichen meist nur einen kleinen, besonders interes
sierten Leserkreis und entfalten nur ausnahmsweise eine breite
Wirkung in der Praxis der Anwendung des behandelten Wissens
gebiets. Luthe wuBte, daB mir die Weiterentwicklung der forensi
schen Psychiatrie und ihr sinnvoller Einsatz in der gerichtliehen
Praxis durch ein geschlossenes, wissenschaftlich begriindetes Kon
zept ein wichtigeres Anliegen ist als die personliche Ehrung. Des
halb lieB er den Plan der Festschrift fallen und gab mir im Einver
standnis mit den Autoren der bereits gelieferten Beitrage die
Anregung, diese in den Rahmen einer eigenen Publikation zu stel
len, die dem vorgenannten Ziel besser dienen kann als eine Fest
schrift. So ist dieses Buch zustande gekommen.
Ich habe in einem eigenen Beitrag zunachst die sehr unbefriedi
gende gegenwartige Lage der forensischen Psychiatrie an den Uni
versitaten und in den psychiatrischen Krankenhausem sowie die
vermutlichen Griinde fUr diese Verhiiltnisse erortert. Der Mangel
an Forderungsbereitschaft fUr die forensische Psychiatrie im Hoch
schul- und im Krankenhausbereieh, der geme in den Vordergrund
geriickt wird, erscheint mir danach weniger beachtlich als der wis
senschaftliche Ruckstand und Fehlentwicklungen in der forensi
schen Psychiatrie selbst, die durch den Zeitgeist begiinstigt wurden.
So wichtig die staatliche Forderung durch Haushaltsmittel und
Stellenplane auch sein mag, die entscheidenden Impulse fUr eine
Besserung der Verhaltnisse mussen aus der forensischen Psychia
trie selbst kommen.
Zum Thema des Zeitgeistes hat Richard Lange in einem groBan
gelegten Ubersichtsreferat aus juristischer Sieht deutlich gemacht,
in welch verhangnisvoller Weise bestimmte geistige Stromungen
die freiheitliche Ordnung und den sozialen Zweck unseres Straf
rechts gefahrden konnen.
In einem weiteren Beitrag habe ieh die Grundlagen fUr die Beur
teilung von Einschrankungen der Schuldfahigkeit im Strafrecht
dargelegt. Dem aus der klinisch-psychiatrischen Erfahrung entwik
kelten forensischen Einsatz einer psychopathologischen Syndrom-
VI Vorwort
lehre hat Rainer Luthe mit seinem strukturalen System der Psycho
pathologie eine in sich geschlossene wissenschaftliche Grundlage
gegeben. Paul H. Bresser hat die Argumente fUr einen nosologi
schen Ansatz in der forensischen Psychiatrie dargelegt, der durch
aus in Beziehung zum strukturalen System der Psychopathologie
steht und als empirische Grundlage die wissenschaftshistorisch
unerHiBliche Voraussetzung einer forensisch verwertbaren Syn
dromlehre ist. In Ubereinstimmung mit mir, Luthe und Bresser
zeigt Michael RosIer, daB bei der Aufrechterhaltung unserer durch
das Schuldstrafrecht gewahrleisteten freiheitIichen Ordnung die
zukiinftige Entwicklung der forensischen Psychiatrie sich nicht auf
eine maBregelrechtIiche Behandlungsideologie beschranken darf.
In die gleiche Richtung weist die systematische Untersuchung von
Georges Hengesch, die die begrenzten Moglichkeiten und die
Unsicherheit der kriminologischen Prognose deutIich macht. So
wird mein Konzept der Schuldfahigkeitsbeurteilung im Strafrecht
durch die ganz eigenstandigen Arbeiten von Luthe, Bresser, RosIer
und Hengesch gestiitzt, erlautert und erganzt.
Von juristischer Seite hat Giinther Jakobs mit scharfsinnigen
rechtstheoretischen Uberlegungen einem grundlegenden Prinzip in
der Systematik meines Konzepts der Schuldfahigkeitsbeurteilung
eine wertvolIe Stiitze gegeben. Durch den Beitrag des in Theorie
und Praxis gleichermaBen erfahrenen Walter Grasnick haben
Luthes und meine Abkehr von den Denkgewohnheiten des Dualis
mus in der Psychiatrie aus sprachanalytischer und strafrechtlicher
Sicht eine ebenso einleuchtende wie eindrucksvolIe Bestatigung
erhaIten.
Mein 3. Beitrag solI mit kasuistischen Beispielen den Einsatz
meiner Konzeption in der Gerichtspraxis zeigen. Auch die an der
wissenschaftlich fundierten Grundlagentheorie weniger interessier
ten Psychiater und Juristen, die gelegentIich oder alltaglich in der
Strafrechtspraxis tatig sind und sich dabei mit den Problemen der
Schuldfahigkeitsbeurteilung befassen, sollen hier klare Gesichts
punkte fUr angemessene Problemlosungen finden konnen. Ich
habe dazu das besonders umstrittene Gebiet der Belastungsreaktio
nen, Neurosen und Pers6nlichkeitsst6rungen ausgewahIt, in dem
die Gerichte sehr unterschiedliche Meinungen von verschiedenen
psychiatrischen Sachverstandigen horen konnen und auf diese
Weise groBe Entscheidungsschwierigkeiten entstehen.
Der mir durch friihere gemeinsame psychiatrische Arbeit ver
bundene Karl Koehler, der die forensische Tatigkeit des Psychia
ters in den USA in gleicher Weise wie in der Bundesrepublik
Deutschland kennengelemt hat, pladiert in seinem Beitrag fUr eine
starkere Annaherung an die amerikanische Praxis des Strafverfah
rens. Dort tritt der Psychiater nicht oder weniger als neutraler
Sachverstandiger, sondem mehr als ein durch die Anklage oder
durch die Verteidigung gebundener Interessensvertreter auf.
Vorwort VII
Koehler tritt mit seinem PHidoyer in eine Gegenposition zu allen
anderen Autoren des Buches, wie ich in einer Anmerkung zu sei
nem Beitrag deutlich gemacht habe. Aber gerade durch den Bei
trag von Koehler solI der Leser angeregt werden, sich eine eigen
standige Meinung iiber die Vorziige und Nachteile der verschiede
nen Verfahrensprinzipien zu bilden.
Die kurzgefaBte Einfiihrung in den Buchinhalt darf ich mit mei
nem herzlichen Dank an aIle Mitarbeiter beschlieBen und meiner
Freude dariiber Ausdruck geben, daB die Beitrage von Luthe, Ros
Ier und Hengesch in fUr mich eindrucksvoller Weise die Kontinui
tat der Arbeit des von mir 1965 gegriindeten Instituts fUr gerichtli
che Psychologie und Psychiatrie zeigen.
Homburg/Saar, im Juni 1987 H.WITIER
Inhaltsverzeichnis
1 H.WITIER
Zur gegenwamgen Lage
der forensischen Psychiatrie 1
Probleme und Problemlosungen
der forensischen Psychiatrie im Strafrecht
2 H.WITIER
Die Grundlagen fUr die Beurteilung
der Schuldfahigkeit im Strafrecht . . . . . . . . . . . .. 37
3 P. H. BRESSER
Der nosologische Ansatz
in der forensischen Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . .. 80
4 RLUTHE
Der strukturale Ansatz
in der forensischen Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . .. 94
5 M.R6sLER
Wo liegt die Zukunft
der forensischen Psychiatrie? ................. 115
6 G. HENGESCH
Uber die Zusammenhange von Fremd- und
Selbstbeurteilung bei der Stellungnahme zur Prognose
der Riickfalligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
Anwendung der psychopathologischen Problemlosung
in der gutachtlichen Praxis; Veifahrensfragen
7 H.WITTER
Die Beurteilung der Schuldfahigkeit bei
Belastungsreaktionen, Neurosen und
Personlichkeitsstorungen am Beispiel der Affektdelikte .. 175
8 R LUTHE M. R6sLER
Psychiatrische Erfahrungswerte und hOchstrichterliche
Rechtsprechung zur Frage der alkoholtoxischen
BewuBtseinsstorungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
X Inhaltsverzeichnis
9 K.KOEHLER
Der amerikanische Psychiater als Sachverstandiger
vor Gericht: ein Vergleich
mit der Praxis in der Bundesrepublik ............ 215
Juristische Beitrage
10 R.LANGE
Humanwissenschaften und Strafrecht ............ 231
11 G.JAKOBS
Uber die Aufgabe der subjektiven Deliktseite
im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
12 W. GRAS NICK
Wille und Willensbenehmen ... 287
SACHVERZEICHNIS ..................... ... 313
Mitarbeiterverzeichnis
Prof. Dr. med. Dr. phil. Paul H. BRESSER
Ehringhausen 34
D-5630 Remscheid
Oberstaatsanwalt Dr. jur. Walter GRASNICK
Grimmstr. 22
0-4000 DUsseldorf 1
Dipl.-Psych. Dr. phil. Georges HENGESCH
Institut fUr gerichtliche Psychologie und Psychiatrie
Universitatsldiniken
0-6650 Homburg/Saar
Prof. Dr. jur. Gunther JAKOBS
Rechtsphilosophisches Seminar der Universitat
Adenauerallee 24-42
D-5300 Bonn
Prof. Dr. med. Karl KOEHLER
Universitats-N ervenldinik
Sigmund Freud Str. 25
0-5300 Bonn 1
Prof. Dr. jur. Richard LANGE
Kriminalwissenschaftliches Institut der Universitat
Albertus-Magnus-Platz
0-5000 Koln 41
Prof. Dr. med. Rainer LUTHE
Institut fUr gerichtliche Psychologie und Psychiatrie
Universitatsldiniken
0-6650 Homburg/Saar
Oberarzt Dr. med. Michael ROSLER
Institut fUr gerichtliche Psychologie und Psychiatrie
Universitatsldiniken
0-6650 Homburg/Saar
Prof. Dr. med. Hermann WIITER
Institut fUr gerichtliche Psychologie und Psychiatrie
Universitatskliniken
0-6650 Homburg/Saar
1 Zur gegenwartigen Lage der forensischen Psychiatrie
H.WITTER
Die Aufgaben der forensischen Psychiatrie
Die medizinische Diagnostik dient in der Regel der lirztlichen Therapie, sie kann
aber auch ein Hilfsmittel zur Regelung der sozialen und rechtlichen Ordnung
unseres Gemeinschaftslebens sein, und zwar in der Form des medizinischen Gut
achtens. Verwaltung, Versicherungstrliger und Gerichte benotigen das medizini
sche Sachwissen der Gutachter, um fiber krankheitsbedingte Hilfsbedfirftigkeit,
Einschrlinkungen der Erwerbsrahigkeit, Versicherungs- und Entschlidigungsan
spruche des einzelnen entscheiden zu konnen. Der Gutachter muB sich fiber die
durch Krankheit hervorgerufene Leistungsbeeintmchtigung und fiber die Kausali
tlit der Krankheit liuBem. Diese in allen Disziplinen der Medizin fibliche Aufgabe
gibt es auch in der Psychiatrie, sie gehOrt aber zur allgemeinen und nicht zur foren
sischen Psychiatrie.
Unser gesamtes soziales Leben grundet auf der fUr das unreflektierte Denken
ganz selbstverstlindlichen Annahme, daB der Mensch fUr das, was er tut und lliBt,
verantwortlich zu machen ist. Voraussetzung fUr die so unterstellte Verantwor
tungsflihigkeit des Menschen sind eine ausreichende geistige Entwicklung und
Gesundheit. Geistige Mlingel und Storungen, die das Forschungsgebiet der Psych
iatrie sind, konnen im konkreten Einzelfall die ansonsten unterstellte Verantwor
tungsflihigkeit einschrmken oder ausschlieBen. Rechtsgeschichtlich gesehen hat
sich die forensische Psychiatrie mit der Wahmehmung der Aufgabe entwickelt, im
Individualfall des Strafverfahrens zwischen der Verantwortungsfahigkeit des Gei
stesgesunden und der Verantwortungsunflihigkeit des Geistesschwachen oder Gei
steskranken zu unterscheiden. Diese ursprungliche Aufgabe des psychiatrischen
Sachverstmdigen ist bis heute das zentrale Problem der forensischen Psychiatrie
geblieben und steht auch im Mittelpunkt der Thematik dieses Buches. Mit der
Weiterentwicklung des Rechts entstand auch im Zivilrecht und bei Detailfragen in
verschiedenen anderen Rechtsgebieten die Notwendigkeit, mit Hilfe des psychia
trischen Sachverstlindigen fiber Einschrlinkungen oder AusschluB der Verantwor
tungsfahigkeit zu befinden. Damit ist zunlichst der alte, sozusagen traditionelle
Aufgabenbereich der forensischen Psychiatrie umrissen.
Neue, zuslitzliche Aufgaben entstanden dadurch, daB im Strafrecht, welches
nach unserem 1871 in Kraft getretenen StGB ganz auf den Prinzipien der Vergel
tungsstrafe und Generalprlivention aufgebaut war, seit der Jahrhundertwende in
mehreren Teilreformen zuslitzlich das Prinzip der Spezialprlivention verwirklicht
worden ist, zunlichst v. a. im Jugend- und dann auch im Erwachsenenstrafrecht.
Der Ausbau des spezialprliventiven Gedankens hat den MaBregeln, die neben der
Strafe der Erziehung des Tliters und seiner Resozialisierung dienen sollen, immer
groBeren Raum verschafft. Der psychiatrische Sachverstlindige hat damit fiber die
H. Witter (Hrsg.)
Der psychiatrische Sachverstandige im Strafrecht
© Springer· Verlag Berlin Heidelberg 1987