Table Of ContentOtto Jöhlinger
Der britische
Wirtschaftskrieg
und seine
Methoden
Der britischeW irtschaftskrieg
und seine Methoden
von
Otto Jonlinger
Redaktur der , Norddcutscbcn AUgcrncn Zeitung "
Dozent am Orientalischen Seminar der Berliner Universitllt
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
1918
ISBN 978-3-642-52541-4 ISBN 978-3-642-52595-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-52595-7
Aile Rechte, insbesondere das der
Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten.
Copyright by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1918
Ursprünglich erchienen bei Hulius Springer in Berlin 1918
Vorwort.
Ende Dezember 1916 fragte der Assistent von Exzellenz
Professor Dr. Gustav von Schmoller, Herr franz Boese,
bei mir an, ob ich bereit sei, fi.ir ,Schmollers Jahrbuch fiir
Gesetzgebung, Verwaltul)g und Volkswirtschaft im Deutschen
Reiche" cine Abhandlung i.iber die ,Methoden des britischen
Wirtschaftskrieges" zu schreiben. Ich sagte dies zu und be
gann sofort mit der Durcharbeitung des Stoffes, wobei mir die
Tatsache sehr zustatten kam, daB ich in meincn Vorlesungen
am Orientalischen Seminar der Berliner Universitat i.iber ,Krieg
und Volkswirtschaft" eingehend die formen der wirtschaft
lichen Kriegfi.ihrung behandelt hatte. Bei der Ausarbeitung
schwoll aber das Material, das ich z. T. auch von amtlichen
Stellen erhielt, derart an, daB an eine Veroffentlichung der
Arbei't in Schmollers jahrbuch nicht mehr zu denken war.
Schon das, Kapitel 10 hatte allein den Raum, der mir fiir die
ganze Arbeit dort zur Verfi.igung stand, weit i.iberschritten.
lm Einverstandnis mit Exzellenz von Schmoller habe ich das
Ergebnis meiner Untersuchungen daher als ein selbstandiges
Buch herausgebracht. Die Ereignisse sind bis Anfang August
1917 beri.icksichtigt, zu welcher Zeit ich in den Heeresdienst
berufen wurde.
Die Korrekturbogen wurden noch in der Kaserne der
Leibgrenadiere zu frankfurt a. 0. gelesen.
Otto johlinger.
lnhaltsverzeichnis.
Seite
Vorwort.
I. Deutschland und England in der Weltwirtschaft 3~ 72
2. Der Begriff ,Feind" in englischer Auffa~sung 73- 96
3. Handels- und Zahlungsverbote. . 97~125
4. Zwangsverwaltung . . . . . . . 126-135
5. Das Vorgehen gegen .,feindliche" Banken 136-162
6. Die Zwangsliquidation . . . . . 163-189
7. Schwarze Listen . . . . . . . . 190-216
8. Englands Vorgehen gegen die Neutrale11 . 217-300
9. Die Verletzung des Patentrechte~ 301-346
10. Britisches Seerecht im Kriege . . 347-447
a) Die Londoner Deklaration . 347-373
b) Der Begriff Konterbande . 373-399
c) Die englische Blockade . . 399-420
d) Wirtschaftliche Wirkungen der Seckriegftihrung . 420-447
II. Der U-Bootkrieg und der verscharfte Handelskrieg . 448-483
12. SchluBbetrachtungen 484-506
Li teratur . . . 507-516
S:~chverzeichnis . . . . 517-522
,Wiihrend Privateigentum und Nicht
kombattanten irn Landkriege unbehelligt
bleiben, verfolgt man gleichzeitig im See
kriege das Privateigentum nicht nur unter
feindlichcr, sondern sogar unter neutraler
Flagge. Es ist daher anzunehmen, daR
England, wenn es auch fiir den Land
krieg Gesetze vorzuschreiben gPhabt hiitte,
gleiche Grundsiitze aufgestellt haben
wiirde, wie fiir den Seekrieg. Europa
wiirde also in den Zustand der Bar
harei zuriickgefallen sein, und man
hiitte sich feindliches Privateigentum
so gut angeeignet wie feindliches
Staa tse igen tum:'
Der diese Worte schrieb, fi.ihrte vor hundert Jahren einen
genau so schweren Krieg wie wir jetzt. Es war Napoleon I.,
und diesc W orte stehen in dem Werke, das cr geschrieben hat:
,Napoleons Leben von ihm selbst crzahlt." Sehr richtig hat
Napoleon erkannt, wie England Gesetze auszulegen pflegt,
wenn es dazu imstandc ist. Heute freilich wetteifern die Fran
zosen mit den Engliindern in dem Kampf gegen das Privat·
eigentum, der ,Europa in den Zustand der Barbarei zuri.ick
fallen laBt".
In nachstehenden Ausfi.ihrungen soli versucht werden, cine
Obersicht dari.iber zu gcben, welche ,Grundsiitze iiber Privat
eigentum" England im jetzigen Kriege beobachtet und mit
welchen Mitteln die britische Regierung den W.irtsch'aftskampf
gegen Deutschland und seine Verbiindeten fi.ih'rt. Die Metho
den, die England in diesem Kriege anwendet, sollen - soweit
sic his jetzt bekanntgeworden sind - untersucht werden, wo
bei sich die Darstellung auf das beschriinken wird, was his
her im Verlauf des Krieges auf wirtschaftlichem Oebiete an
Kampfmitteln von britischer Seite gegen die Zentralmiichte an
gewandt wurde. Eine Erorterung der zukiinftigen Plane, des
,Krieges nach dem Kriegc·' und der Heschliisse der ,Pariser
J U III in g c r, Wirtscltaftsl,ricg;.
2
Wirtschaftskonferenz" muBtc ebenso unterbleiben wic eine ein
gehende Darstellung der von Deutschland ergriffenen Re
pressiv- und AbwehrmaBregeln gegeniiber den englischen Ober
griffen auf dem Oebiete des Volkerrechts und des Seerechts•).
Beides muB einer gesonderten Darstellung vorbehalten werqen.
Die vorliegende Untersuchung befaBt sich nur mit den MaB
regeln des am tlichen OroBbritanniens. Es gelangen also nicht
zur Untersuchung die von privater Seite ergriffenen Schritte
gegen den deutschen Handel und das 'deutsche Wirtschaftsleben.
Aus demselben Orunde ist auch das, was sich in den briti
schen Selbstverwaltungs- und Kronkolonien abgespielt
hat, nicht in den Rahmen dieser Arbeit einbezogen worden.
Ausscheiden muBte ferner cine Erorterung der Stellung der bri
tichen Rechtspflege im Dienste des Wirtschaftskrieges, dit·
mehr auf juristischem als auf wirtschaftlichem Oebiet liegt.
*) Eine Ausnahme macht hierbei eine kurze Behandlung des
deutschen Unterseebootkrieges, wei[ dieser von den Engliindern als
Vorwand zum ,verschiirften Handelskriege" benutzt wurde.
1. Deutschland und England in der
Weltwirtschaft.
,1st es billig, wenn England, statt mit
einem Stand der Dinge zufrieden zu sein,
wobei es nicht nur seine Ausfuhren nach
Deutschland in ihrem gegenwiirtigen Be
stand erhiilt, sondern auch noch dieselben
im Laufe von zehn jahren urn 50o/o ver
mehrt, in ihrem Totalbetrag mehr vermehrt,
als die nach jedem anderen Lande, ja mehr
als nach allen Liindern, ist es billig, frage
ich, wenn England unter solchen Umstiinden
den giinzlichen Untergang der gesamten
Manufakturkraft jenes Landes meditiert?"
friedrich List 1846L}.
In den von England im jetzigen Kriege ergriffenen Mit
teln auf wirtsch a ftlichem Gehiete spiegelt sich deutlich die
,Handelseifersucht" wider, die eine der Hauptursachen zu
dcm Weltkriege gewesen ist. Der Neid Londons auf die ge
waltige wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands gaben dem
Kriege das Geprii.ge cines ,Wirtschaftskampfes" mit seinen
zahlreichen an Diebstahl und Seerii.uberei erinnernden Aus
schreitungen, Erscheinungen, die nur in de)l Kriegen zu finden
sind, in denen England aktiv beteiligt ist. Diese Handelseifer
sucht kommt klar zum Ausdruck in der Broschi.ire: ,Social
forces in England and America" von H. G. Wells, wo es
heiBt (Seite 24):
,Wir Englander sind auf Deutschland seh'r eifersi.ichtig.
Wir sind es nicht nur, weil uns dieses Volk an Anzahl i.iber
trifft, nicht nur, wei! es ein Land besitzt, das groBer und reicher
als das unsrige ist, nicht nur, weil es im Mittelpunkt Europas
wohnt, sondern weil, wii.hrend wir uns ein Zeitalter lang in
1) Ober den Wert und die Bedingungen einer Allianz zwischen
GroBbritannien und Deutschland.
1*
4 Deutschland und England in dcr Wcltwirtschaft.
faulheit und Eitelkeit ausruhten, Deutschland die En erg i c
und die Kiihnheit gehabt hat, an einer herrlichen Volks
erziehung zu arbeiten, auf wissenschaftlichem Gebiete die
groB t·en Anstrengungen zu machen, sich in der Kunst und
in der Literatur zu betiitigen, seine soziale Organisation
auszubauen, sich unsere geschiiftlichen und industriellen
Methoden anzueignen und sie noch zu verbessern - mit
einem Worte gesagt - hoher als wir auf den Stufen der
Zivilisation hinaufzusteigen. Dieser Aufstieg hat uns mehr ge
iirgert als er uns Schad en zugefiigt haf2)."
Hiermit vergleiche man die Berichte der belgisch'en
Gesandten an ihre Regierung. (Belgische Aktenstiicke
1905-1914.) So schreibt z. B. Baron Greindl, der belgische
Gesandte in Berlin, am 18. Februar 1905: ,,Die wahre Ursache
des Hasses der Englander gegen Deutschland ist die Eifer
sucht, hervorgerufen durch die auBergewohnlich rasche
Entwicklung der deutschen Handelsflotte, des deutschen
Handels und der deutschen Industrie." Am 30. Mai 1907
schreibt Greindl: ,England sieht mit scheelen Blicken auf
die wunderbaren fortschritte Deutschlands auf dem Ge
biete der Industrie, des Handels und der Handelsmarine. Ge
wohnt, ohne Nebenbuhler dazustehen, erblickt es in jeder Kon
kurrenz einen Eingrif f in seine Rechte."
Kein anderer als gerade der englische Historiker See I e y3)
hat es ausgesprochen, daB Nationen das Ziel hatten, ihr Ge
schiift zu vermehren, nicht dadurch, daB man auf die Bediirfnisse
der Menschen wartete, sondern dadurch, daB man sich in aus
schlieBiichen Besitz irgendeines reich en Gebietes der Welt
setzte - und dieser feststellung fiigte Seeley die charakte
ristischen Worte hinzu: ,Handel, der nach dieser Methode
betrieben wird, ist fast identisch mit Krieg und muB beinahe
notwendig Krieg im Gefolge haben." Im Anschlufl daran
heiBt es weiter, daB ,Handel zu Krieg fiihrte und Krieg
den Handel forderte".
Auf jenem Niveau steht auch der beriichtigte, bei uns viel
zitierte, aber trotzdem nicht geniigend beachtete Artikel, den
die ,Saturday Review" im Herbst 1907, wenige Wochen
nach der Obernahme des deutschen Auswiirtigen Amts durch
BUlow, den spiiteren Reichskanzler, brachte:
2) Zitiert ,Koloniale Rundschau" 1916, Seite 389.
3) Expansion of England.
Weltwirtschaftliche Kriegsursachen. 5
,Wenn Deutschland morgen aus der Welt vertilgt wird,
so gibt es keinen Englander in der Welt, der nicht entsprechend
reicher wiirde." Unter Hinweis auf die friiheren Kriege urn
Erbfolge oder urn eine Stadt oder urn einen Handel von we
nigen tausend Pfund Sterling fragt das Blatt alsdann, ob nicht
England seines MHlionenhandels wegen Krieg fiihren salle und
kommt dabei zu dem Ausruf: ,Germaniam esse delendam')."
Deutlicher ist wahl noch nie der cnge Zusammenhang
zwischen Handel und Krieg - der der englischen Auf
fassung so gelaufig ist - ausgesprochen worden. Das, was
Seeley fiir friihere jahrhunderte als Norm ansieht, was die
,Saturday Review" als erstrebenswert bezeichnet, das gilt auch
heute noch, auch jetzt hat die Englander wieder der Hand e I
zum Kriege getrieben.
In meiner Broschiire ,Weltwirtschaftliche Ursachen des
Krieges"5) habe ich kurz die Faktoren angefiihrt, die diesmal
den Neid Englands hervorgerufen und damit die Kriegslust
der Londoner Handelskreise bewirkt haben: es war vor allem
das schnelle Anwachsen der deutschen Ausfuhr, der Auf
schwung der deutschen Industrie und Seeschiffahrt, und das
FuBfassen des deutschen Kaufmanns in allen Teilen der Erde.
Gerade diese Ausbreitung des deutschen Erwerbslebens lin
der Welt war es, was die Englander mit dem jetzigen Wirt
schaftskrieg zu vernichten hofften - ebenso wie sie die Welt
machtstellung Spaniens, Hollands und Frankreichs in friihe
ren Ja hrhunderten vernichtet hatten.
4) Vgl. Schmollcr: Oas PreuBischc Handels- und Zollgesetz,
Berlin 1898.
5) Berlin 1916, Verlag von Dietrich Reimer (Ernst Vohsen). An
diese Veroffentlichung schloB sich cine umfangreiche Polemik an,
die durch Veroffentlichungen des Direktors del Deutsch-Australischen
Dampfschiffahrtsgesellschaft, Otto Harms in Hamburg, die z. T.
in englischer Sprache erschicnen sind, veranlaBt wurde. (Vgl. hierzu
die Aufsatzseric in der ,Kolonialen Rundschau", Jahrgang 1916,
Heft I, VI/VII und XI/XII.) Aus AnlaB dieser Polemik 1hat sich auch
der Herausgeber des ,Export", Professor Dr. J annasch, mit den
Einwendungen von Harms beschiiftigt (,Export" Nr. 39-42) und
sich dabei im wesentlichen auf meinen Standpunkt gestellt. Spiiter
hat Gustav von Schmoller in Nr. 44 der ,Deutschen Kriegsnach
richten" (Jahrgang 1917) ebenfalls Deutschlands wirtschaftlichen Auf
schwung als Kriegsgrund bezeichnet, was zur folge hatte, daB Harms
nun anch in cinem Anfsatzc gcg-cn Exzcllcnz von Schmollcr polemi
sicrcn zu miisscn glauhte!