Table Of ContentAndrea D’Atri
Brot und Rosen
Geschlecht und Klasse im Kapitalismus
Deutsch von Lilly Schön
Argument Verlag
Titel der argentinischen Originalausgabe:
Pan y rosas. Pertenencia de género
y antagonismo de clase en el capitalismo
© Armas de la Crítica, 2004
© Ediciones IPS, 2013
Alle Rechte vorbehalten
© Argument Verlag 2019/2022
Glashüttenstraße 28, 20357 Hamburg
Telefon 040/4018000 – Fax 040/40180020
www.argument.de
Lektorat: Iris Konopik
Umschlag: Martin Grundmann, Hamburg
Umschlaggrafik: © Ailín Rojas Bondarczuk
ISBN 978-3-86754-824-3 (E-Book)
ISBN 978-3-86754-514-3 (Buch)
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Vorwort zur argentinischen Neuausgabe von 2013
Einleitung
Klasse und Geschlecht
Unterdrückung und Ausbeutung
Das Geschlecht eint uns, die Klasse trennt uns
Kapitalismus und Patriarchat: eine glückliche Ehe
Frauenkämpfe und Klassenkämpfe
Kapitel I. Getreideaufstände und bürgerliche Rechte
Brot, Kanonen und Revolution
Die Bürgerinnen verlangen Gleichheit
Freiheit, Brüderlichkeit und Ungleichheit der Klasse und des Geschlechts
Kapitel II. Bürgerinnen und Proletarierinnen
Dampfmaschinen, Webstühle und Frauen
Die Arbeiterinnen organisieren sich, um zu kämpfen
Eine Arbeiter*innenregierung in Paris
»Brandstifterinnen« und Damen mit Sonnenschirmen
Kapitel III. Zwischen Philanthropie und Revolution
Wahlrecht oder Wohltätigkeit?
Reform oder Revolution?
Flora Tristán: Eine Frau zwischen den Zeiten
Von der Notwendigkeit, fremden Frauen einen guten Empfang zu bereiten
Petition zur Wiedereinführung der Scheidung
Arbeiterunion
Die Tour de France
Kapitel IV. Imperialismus, Krieg und Geschlecht
Debatten in der Zweiten Internationale
Frauen im Krieg
Frauen und Nationen
Freiheit im Krieg, Unterdrückung im Frieden?
Kapitel V. Die Frauen im ersten Arbeiter*innenstaat der Geschichte
Der Funke, der die Flamme entzündet
Brot, Frieden, Freiheit und Frauenrechte
Erschütternde Widersprüche
Philosophie des Pfaffen, Macht des Polizisten
Genossin Kollontai
Oppositionelle Frauen
Kapitel VI. Zwischen Vietnam und Paris brennen die BHs
Wirtschaftsboom und Babyboom
Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit
Radikale und sozialistische Feministinnen gegen das Patriarchat
Kapitel VII. Differenz der Frauen, Differenz unter Frauen
Die imperialistische Offensive räumt auf
Unabhängige und institutionalisierte Feministinnen in Lateinamerika
Die Aufwertung des Weiblichen
Integriert oder marginalisiert?
Intersektionen der Differenz
Kapitel VIII. Postmodernismus, Postmarxismus, Postfeminismus
Die 1990er Jahre: NGOisierung und Geschlechtertechnokratie
Performativität, Parodie und radikale Demokratie
Konsumismus, Individualismus und Skeptizismus
Ein Schlusswort
Literaturverzeichnis
Danksagung
Nachwort der Übersetzerin
Internationales Manifest von Brot und Rosen
Über die Autorin
Anmerkungen
Für meine Mutter Ana María Layño,
die mir die Freiheit gegeben hat, eine andere Frau zu sein
als sie und auch anders als die Frau, von der sie sich
gewünscht hätte, dass ich sie werde
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Stehen wir vor einer neuen Welle des Feminismus? Je nachdem, welche
Klassifizierung wir anwenden, können wir von einer dritten oder vierten Welle
sprechen.1 Aber unabhängig von dieser akademischen Debatte kann niemand
bestreiten, dass wir einen neuen Aufstieg des Feminismus erleben, der in
verschiedenen Erscheinungsformen die westliche Welt durchzieht. Er reicht von
den Mobilisierungen für #NiUnaMenos (Nicht eine weniger) gegen sexistische
Gewalt in Argentinien bis zur massiven #MeToo-Kampagne in den USA, die die
sozialen Medien eroberte und in der Filmindustrie einschlug; von den Streiks der
Frauen in Island und Frankreich gegen den Gender Pay Gap oder gegen die
Einschränkung des Abtreibungsrechts in Polen bis zu den Millionen Frauen, die
im Spanischen Staat auf die Straße gehen und die patriarchale Justiz verurteilen.
Frauen waren auch die Protagonistinnen der enormen Mobilisierungen gegen
Trump kurz nach seiner Wahl zum US-Präsidenten. Und bei den
Zwischenwahlen in den USA wurden vor kurzem so viele junge Latinas,
indigene Frauen und Musliminnen ins Repräsentantenhaus gewählt wie nie
zuvor. Zu Tausenden demonstrierten Frauen unter der Losung #EleNão (Er
nicht), bevor der rechte Kandidat Jair Bolsonaro in Brasilien die
Präsidentschaftswahlen gewann, und führten in Argentinien den großen Kampf
für das Recht auf Abtreibung an, mit ihren grünen Halstüchern, die zum
universellen Zeichen dieser Forderung geworden sind.
Diese neue Welle des Feminismus senkte die »Toleranzschwelle für den
Machismus«. Dies zeigt sich im vermehrten Publikmachen – auch in sozialen
Netzwerken – von sexueller Belästigung bis hin zu Debatten über
geschlechtergerechte Sprache2. Zeitschriften drucken Artikel über den Eintritt
von Frauen in Arbeitsbereiche, die bisher überwiegend männlich geprägt waren.
Parlamente diskutieren über Gesetze zur Gleichstellung oder zur Ausweitung
von Frauenquoten in einer Zeit, in der zum ersten Mal mehrere Länder
gleichzeitig von Frauen geführt werden, Frauen mächtige Armeen befehligen
und große Unternehmen, Konzerne und internationale Finanzinstitutionen leiten.
Ein Verkaufsboom macht die Bücher von akademischen, antikapitalistischen
Feministinnen ebenso bekannt wie von Postfeministinnen, die ausgehend von
ihren individuellen Erfahrungen die queer theories entwickeln. Das Kino, das
Fernsehen und die neuen Unterhaltungsplattformen sind voller Filme,
Programme und Serien mit starken, mutigen, selbständigen und rebellischen
Protagonistinnen.
Die neue Welle des Feminismus schreitet voran in der Neudefinition der
Realität und untergräbt dabei vorherrschende kulturelle Normen. Sie versucht in
gewisser Weise, eine reformistische politische Agenda der Gleichstellung
durchzusetzen.
Der Aufstieg scheint sozusagen »gegen den Strom« stattzufinden, denn diese
Welle gewinnt zu einem Zeitpunkt an Schwung, da sich die Krise der bürgerlich-
demokratischen Regime – vor allem im Herzen des US-amerikanischen
Imperialismus – als Resultat der Rezession von 2008 und mit dem Ende des
neoliberalen Konsenses verschärft. Während die herrschende Klasse auf diese
Krise mit cäsaristischen3 Regierungen wie der von Trump oder Bolsonaro
antwortet, stehen wieder Handelskriege und Konflikte zwischen den
Großmächten auf der Agenda. Aber wir beobachten nicht nur den Vormarsch
einer in den verschiedenen Ländern durchaus heterogenen Rechten. Sondern wir
sehen das wichtigere Phänomen der Auflösung der politischen Mitte und der
traditionellen Parteien inmitten einer Tendenz zur politischen und sozialen
Polarisierung.
Welche Bedeutung haben in diesem internationalen Rahmen die massiven
Mobilisierungen der Frauen und das Wiedererstarken des Feminismus? Sind es
möglicherweise die Frauen, die einen neuen Zyklus der Radikalisierung der
Massen und des Klassenkampfs einläuten?
Seit Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Konzentration und Zentralisation des
Kapitals zu und die Herrschaft der Monopole wuchs. Die alten Mächte hatten die
Welt unter sich aufgeteilt, doch es strebten neue empor, die eine Neuordnung der
kolonialen Herrschaft erzwangen. Die Verschärfung der Widersprüche zwischen
den Mächten führte oft zu Krieg; aber die imperialistische Schlächterei war auch
Geburtshelferin wichtiger revolutionärer Prozesse.
Die deutsche Sozialistin Clara Zetkin wies darauf hin, dass die Frauen in den
Kämpfen, die sich durch den Weltkrieg ankündigten, einen herausragenden Platz
einnehmen würden: Die Kundgebungen, Fabriksabotagen, Plünderungen von
Lebensmittelläden wurden angeführt von Frauen, deren Söhne, Väter und
Ehemänner an der Kriegsfront kämpften und starben. In diesem Kontext gab es
einen scharfen Gegensatz zwischen der Einbeziehung der Frauen in die
produktive Arbeit – selbst in Bereichen, die bis dahin ausschließlich Männern
vorbehalten waren – und ihren fehlenden politischen Rechten.
Die relative Gleichstellung mit den Männern auf dem Arbeitsmarkt stand in
krassem Widerspruch zu der Ungleichheit vor dem Gesetz, der sie unterlagen.
So entstand die Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen. Die Situation war
einerseits von der sozialistischen Revolution in Russland beeinflusst, für die die
Arbeiterinnen der zündende Funke waren. Andererseits ließen sich die
bekanntesten Sektoren der Bewegung für das Frauenwahlrecht in Großbritannien
in die Verteidigung der Nation einspannen und die internationalen Verbindungen
der Bewegung zerbrachen.4
Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre entstand die Zweite Welle des
Feminismus und stellte den Mythos des patriarchalen Kapitalismus infrage, dem
zufolge das Öffentliche und das Private getrennte Sphären seien. Sie ging mit
einem langen Jahrzehnt der Radikalisierung der Massen einher, mit dem
Entstehen der sogenannten »Neuen Sozialen Bewegungen« wie der
Studierenden- und Jugendbewegung, der sexuellen Revolution und der Black
Power-Bewegung. Mit dem Vietnamkrieg, dem weitverbreiteten
antiimperialistischen Empfinden und der Anti-Kriegs-Stimmung, die eine ganze
Generation erfasste, sah der US-amerikanische Imperialismus seine hegemoniale
Stellung gefährdet. Seine Offensive geriet ins Stocken, und seine Niederlage in
Südostasien ermutigte die Befreiungskämpfe der kolonialisierten Völker wie
auch die Kämpfe der Arbeiter*innenklasse und der Studierendenbewegung in
der westlichen Hemisphäre. Gleichzeitig trugen die Massenaufstände in
Osteuropa gegen politische und militärische Interventionen seitens der
damaligen Sowjetunion zur Hinterfragung der Weltordnung bei.
Der Kapitalismus erlebte daraufhin eine neuerliche wirtschaftliche, soziale
und politische Krise. Aber die herrschenden Klassen antworteten auf diesen
revolutionären Aufschwung nicht mehr mit einem Weltkrieg, sondern mit der
Ausweitung und Verstärkung der demokratischen kapitalistischen Regime. Dies
erforderte die Zusammenarbeit mit den politischen und gewerkschaftlichen
Führungen, die sich mit Pauken und Trompeten an die Wiederherstellung der
bürgerlichen Ordnung machten und damit ihre Basis verrieten. Während die
Mittelschicht und ein kleiner Sektor der lohnabhängigen Massen in das
Konsumfest integriert wurden, versank die große Mehrheit in Armut, die nie
dagewesene Ausmaße erreichte.
Die Preisgabe jeglicher revolutionärer Perspektive führte zu der Vorstellung,
dass der Neoliberalismus alternativlos sei. Die sozialen Bewegungen wie der
Feminismus wurden zu großen Teilen ebenfalls in die kapitalistischen
Demokratien integriert. Einige Jahrzehnte lang eroberten die Frauen neue
Rechte, während sie gleichzeitig die große Mehrheit der Prekarisierten,