Table Of ContentArbeitsheft zum E1-Kurs
des Ärzteseminars Hamm (FAC) e. V.
der Deutschen Gesellschaft für manuelle Medizin
Untersuchung der
Extremitätengelenke
Zusammengestellt aus:
H. Frisch
Programmierte Untersuchung
des Bewegungsapparates
Dritte, völlig überarbeitete und ergänzte Auflage
1990
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
Hinweis:
Die Abbildungen wurden der Buchausgabe: H. Frisch, Programmierte
Untersuchung des Bewegungsapparates, 3. Auflage (1989) entnommen.
Die Tabellen zeigen den Ablauf der klinischen Untersuchung. Die Reihenfolge der
Gelenke wurde hier aus didaktischen Gründen geändert.
Das Arbeitsheft enthält die Topographie der Palpation, die translatorischen
Gelenktests und die Muskelwiderstandstests, die im E1-Kurs geübt werden.
Außerdem enthält es beim:
Schultergelenk: Aktive und passive Bewegungen,
Kniegelenk: Meniskus- und Bändertests,
Hüftgelenk: Aktive und passive Bewegungen, sowie die wichtigsten
Muskelverkürzungstests.
Bei den Abbildungte=n werden folgende Symbole verwendet:
Bewegungsrichtung
_t • = Fixationspunkt
= Bewegung gegen Widerstand
ISBN 978-3-540-52527-1 ISBN 978-3-642-93462-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-93462-9
Sonderausgabe des Ärzteseminars Hamm (FAC) e. V.
der Deutschen Gesellschaft für manuelle Medizin
Copyright: Dr. H. Frisch
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© by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1984, 1986, 1990
Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York London
Paris Tokyo Hong Kong Barcelona 1990
Softcover reprint ofthe hardcover 3rd edition 1990
Nicht im Handel
Herstellung: Appl, Wemding
2119/3145 - 543210
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Was ist manuelle Medizin?
Manuelle Medizin
Die manuelle Medizin befaßt sich im Rahmen der üblichen diagnostischen und therapeutischen
Verfahren mit reversiblen Funktionsstörungen am Haltungs- und Bewegungsapparat. Sie umfaßt
alle manuellen diagnostischen und therapeutischen Techniken an der Wirbelsäule und an den
Extremitätengelenken, die zur Auffindung und Behandlung dieser Störungen dienen, und ist da
her ein Teil der ärztlichen Heilkunde.
In der Bundesrepublik Deutschland ist der Begriff "Chirotherapie" Synonym der internationa
len Bezeichnung "Manuelle Medizin". Er ist als Zusatzbezeichnung "Chirotherapie" in der Wei
terbildungsordnung und in der Gebührenordnung der Ärzte verankert.
In der DDR wird der Ausdruck: Funktionelle Neuro-Orthopädie als Synonym benutzt.
Die manuelle Medizin besteht aus:
manueller Diagnostik (Chirodiagnostik) (funktionelle Strukturanalyse),
manueller Therapie (Chirotherapie) (Mobilisation, Manipulation, Stabilisation).
Manuelle Therapie (M. T.)
Ein Teil der manuellen Medizin, kann an entsprechend ausgebildete Krankengymnasten dele
giert werden.
Die manuelle Therapie besteht aus:
- Weichteiltechniken
- Mobilisation
- Manipulation
- Neuromuskulären Therapien (NMT):
Muskelbehandlungen und/oder Gelenkmobilisationen mit Hilfe neurophysiologischer Me
chanismen.
- Stabilisierenden neuromuskulären Therapie:
Manuelle Diagnostik (Chirodiagnostik)
Die in der manuellen Medizin behandelte reversible Funktionsstörung im Bewegungsapparat
wird als segmentale oder peripher artikuläre Dysfunktion definiert. Diese kann mechanisch und/
oder reflektorisch verursacht werden und wird durch die funktionelle Strukturanalyse ermittelt.
Funktionelle Strukturanalyse
Die funktionelle Strukturanalyse erfolgt durch den Untersuchungsgang nach dem 5/5-Schema,
in dem ein immer kleinerer Bewegungsabschnitt von der kombinierten Alltagsbewegung bis zur
"Null-Bewegung" der Muskelwiderstandstests untersucht und durch neurologische, angiologi
sche und technische Zusatzuntersuchungen ergänzt wird (Programmierte Untersuchung des Be
wegungsapparates ).
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Die peripheren Gelenke bzw. Wirbelsegmente können sein:
- normmobil = Physiologische Mobilität entsprechend der Konstitution, des Geschlechts und
des Alters.
- hypomobil = durch eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit infolge struktureller und/oder funk
tioneller Veränderungen an den Gelenken oder im Weichteilmantel.
- hypermobil = durch vermehrte Gelenkbeweglichkeit infolge angeborener oder erworbener
struktureller oder funktioneller Abweichungen an den Gelenkflächen oder im
Weichteilmantel.
- instabil = durch pathologisch vermehrte Gelenkbeweglichkeit (Gelenkspiel) infolge Insuf-
fizierung des Bewegungsleitsystems.
Man unterscheidet bei der Untersuchung:
- anguläre Gelenkbewegungen
- translatorische Gelenkbewegungen
Anguläre Gelenkbewegungen (Funktionsbewegungen) :
Normale aktive und passive Gleitbewegungen, die durch Rotationsgleiten (s. d.) der Gelenkpartner
zustande kommen.
Translatorische Gelenkbewegungen :
Sie sind eine Teilkomponente der angulären Gelenkbewegungen. Diese translatorischen Gleitbe
wegungen verlaufen entlang der Gelenkachsen und können nicht aktiv ausgeführt werden. Man
bezeichnet sie als "Gelenkspiei" (Joint play).
Gelenkspiel = Joint-play (translatorische Beweglichkeit eines Gelenks entlang einer der Gelenk
achsen entsteht durch Separation (Traktion) oder geradlinige (parallele) Gleitbewegung eines
Gelenkpartners gegen den fixierten anderen Gelenkpartner mit Beurteilung des Endgefühls
beim Bewegungsstopp.
Artikuläre Dysfunktion
Die artikuläre Dysfunktion ist eine Abweichung von der normalen Gelenkfunktion im Sinne der
Hypo- oder Hypermobilität.
Synonyme der artikulären Dysfunktion und/oder ihrer reflektorischen Auswirkungen sind:
- Somatomotorischer Blockierungseffekt (Brügger),
- Spondylogenes Reflexsyndrom (Sutter),
- "Derangement intervertebrale mineur" (Maigne),
- "Somatic dysfunction"
Fehlinterpretationen sind:
- Chiropraktische Subluxation
- Wirbelverrenkung
- "Herausgesprungener" Wirbel
- Wirbelfehlstellung
Als Blockierung (Hypomobilität) wird die reversible hypomobile artikuläre
Dysfunktion bezeichnet
Damit ist eine reversible Funktionsstörung innerhalb der physiologischen Bewegungsbahn mit
eingeschränktem oder fehlendem Joint-play durch strukturelle und/oder funktionelle Verände
rungen an den Gelenkflächen oder im Weichteilmantel gemeint.
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Gelenkmechanik
Für die Chirodiagnostik ist die Kenntnis der Gelenkmechanik erforderlich.
Normale aktive und passive Bewegungen erfordern im Gelenk ein anguläres Gleiten. Dieses
wird auch als Rotationsgleiten (Rollgleiten) bezeichnet und ist eine Kombination aus Rotation
(Rollen) und Gleiten des bewegten Gelenkpartners mit weitgehender Konstanz der Drehachse
(Abb.1 a).
Eine Rollbewegung ohne gleichzeitiges Gleiten würde eine Luxationstendenz im Gelenk hervor
rufen (Abb. 1 b) und zu einem ungleichen Abstand der Gelenkflächen mit ungleichmäßiger
Druckbelastung im Gelenk führen (Abb. 1 c).
Das Rollgleiten gewährleistet gleichmäßigen Abstand und Haftung der Gelenkflächen und da
mit ein paralleles Gleiten der Gelenkflächen mit geringer Reibung und geringem Energieverlust.
Das parallele Gleiten (translatorische Bewegung) ist daher unabdingbarer Teil jeder intakten Ge
lenkbewegung (Abb. 1 d, e) und wichtigster Test bei der Untersuchung einer Bewegungsstörung
im Gelenk.
Das Gleiten erfolgt entlang der Tangentialebene (Behandlungsebene) des Gelenks. Diese verän
dert sich bei einem bewegten Gelenkpartner mit konkaver Gelenkoberfläche mit der Änderung
des Winkels der bei den Gelenkpartner zueinander, während sie bei konvexer Oberfläche unab
hängig von der WinkelsteIlung zum bewegten Gelenkpartner konstant bleibt (Abb. 1 t). Die
Richtung des translatorischen Gleitens geht bei konkaven Gleitflächen in die gleiche Richtung
wie die anguläre Gleitbewegung, bei konvexer Oberfläche in die entgegengesetzte Richtung.
Konvex-Konkav-Regel (nach KaItenborn). Auch die Richtung der Gelenktraktionen ändert sich
bei Gelenken mit konkaver Gelenkoberfläche mit der Winkel stellung der Gelenkpartner zuein
ander, während sie bei konvexer Gelenkoberfläche unverändert bleibt (Abb. 1 g).
Der Weichteilmantel des Gelenks (Gelenkkapsel, Verstärkungsbänder, gelenkzugehörige Musku
latur) muß bei Gelenkstörungen ebenfalls untersucht werden. Über seinen Zustand gibt v. a. das
Endgejühlbei passiven angulären und translatorischen (Gelenkspiel-) Bewegungen Auskunft.
Das Endgefühl entsteht durch den strukturabhängigen Stopp bei passiven Bewegungen: Der
Stopp kann sein:
weich-elastisch = Muskelstopp,
fest-elastisch = Bänderstopp,
hart-elastisch = Knochenstopp.
Durch den Weichteilmantel hat jedes Gelenk eine Ruhestellung (Abb. 1 i). Das ist die MittelsteI
lung in der physiologischen Bewegungsbahn eines Gelenks bei größtmöglicher Entspannung des
Weichteilmantels ("loose-packed position") während die aktuelle Ruhestellung die MittelsteIlung
in der pathologisch eingeschränkten Bewegungsbahn eines Gelenks mit weitgehender Entspan
nung des Weichteilmantels ist.
I
Manuelle Therapie
Der größte Teil der Untersuchungstechniken an den Gelenken kann auch zur Gelenkmobilisa
tion benutzt werden (Test = Therapie).
Die Nullstellung ist die Ausgangsstellung für die Messung des Bewegungsausmaßes im Gelenk
(nach der Neutral-Null-Methode).
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Die Behandlungsstellung am Ende der aktiven Bewegung, ist die Ausgangsstellung für die Ge
lenkmobilisation.
Die verriegelte Stellung (Abb. 1 h) entsteht durch möglichst großen Kontakt der Gelenkflächen
mit Aufhebung des Joint-play durch möglichst maximale Spannung des Kapselbandapparates
("cIose-packed position"). Sie wird zur Immobilisierung von Gelenken benötigt, die nicht mobi
lisiert werden sollen.
Die Dehnungsstufen der Gelenkkapsel bei translatorischen Gelenkbewegungen zeigt Abb. 1 i. Sie
bestehen aus
Lösen: Minimalbewegung im Gelenk (Palpable Druckminderung im Gelenk).
Straffen: bis zur Grenze des Bewegungsraumes durch volle Entfaltung der Gelenkkapsel.
Dehnen: bis zum Beginn der Gegenspannung.
Dazu muß die Impulsdosierung (Bestimmung der Kraft und des Zeitverlaufs) vom Therapeuten
in Abhängigkeit vom Zustand der Gelenkstrukturen bestimmt werden. Therapeutisch werden für
die Einzeldehnung 7 -1 0 sangewendet.
Die Faktoren, die eine hypomobile Funktionsstörung auslösen können, sind (Abb.1j):
- verspannte oder verkürzte Muskulatur (Abb. 2 a, b) sowie Muskelkontrakturen,
- Kapselschrumpfungen,
- Knorpelschädigungen im Gelenk.
Durch die Strukturänderungen im Weichteilmantel oder an den Gelenkflächen kommt es zu ei
ner Verlagerung der Bewegungsachse zur pathologisch veränderten Struktur und Störung der
Gleitbewegung durch Kompression der Gelenkflächen aufeinander.
Muskelbefunde
1. Vermehrte Ruhespannung (Muskelverspannung, Hypertonus)
- lokalisiert-umschrieben:
• Triggerpunkt
• muskulärer Maximalpunkt
• segmentaler Irritationspunkt
• Myose
- Spannungserhöhung eines ganzen Muskels oder einer Muskelgruppe
- generalisierte Muskelverspannung (z. B Fibromyalgie)
2. Muskelverkürzung
- reflektorische Verkürzung
- reversible strukturelle Verkürzung
- irreversible strukturelle Verkürzung (Kontraktur)
3. Verminderte Ruhespannung (Hypotonus)
- reflektorische Hypotonus (Hemmung)
- Periphere Parese
4. Gestörte Muskelaktivierung
- gestörter Stereotyp (Bewegungsmuster)
- Parese
5. Kraftminderung
- reflektorisch (Hemmung)
- dehnungsbedingt (?)
- strukturell neurogen myogen
- gestörter Stereotyp
Die muskuläre Dysbalance ist eine Relationsstörung verschieden wirkender Muskeln bezügl.
Spannung, Aktivierung und Kraft.
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Checkliste Gelenk für den Therapeuten
1) PatientensteIlung
Entspannte, möglichst schmerzfreie, Haltung oder Lagerung der zu untersuchenden oder
zu behandelnden Gelenke.
2) TherapeutensteIlung
Stabile patientennahe ergonomisch günstige Ausgangsstellung für die Durchführung der
Untersuchung oder Behandlung.
3) Fixationshand
Sie faßt den zu fixierenden Gelenkpartner flächig und schmerzfrei (Hautvorschub gegen
die Mobilisationsrichtung, empfindliche Weichteile beiseite schieben) unmittelbar neben
dem Gelenkspalt.
4) Mobilisationshand
Sie faßt den zu bewegenden Gelenkpartner in gleicher Weise.
5) AusjUhrung
Bestimmung der Ruhestellung (aktuellen Ruhestellung bzw. Behandlungsstellung),
Bestimmung der Gleitebene und translatorischen Bewegungsrichtung (Traktion, Kompres
sion, Gleiten),
Bestimmung des Bewegungsimpulses (Kraft und Dauer).
Checkliste Muskulatur
Geprüft werden muß die Muskelsynergie und ggf. der Einzelmuskel auf:
Muskel(faser)länge
Muskelspannung
Koordination
Kraft
Schmerz
Die Ausdauer kann im Rahmen der normalen Untersuchung der arthromuskulären Funk
tionseinheit nicht getestet werden.
Die Testung der Muskulatur im Untersuchungsblock:
Aktive Bewegungen: Koordination / Kraft
Passive Bewegungen: Muskellänge (Endgefühl)
Schmerz (in Dehnstellung)
Palpation: Spannung / Schmerz bei Palpation des Muskels
(Ursprung, Ansatz, Muskelbauch) (vor allem in Dehnstellung)
Widerstandstests : Kraft (in Mittelstellung)
Schmerz (vor allem in Dehnstellung)
Die klinische Untersuchung erfolgt durch den Untersuchungsblock und die evtl. notwendi
gen Zusatzuntersuchungen (Abb.3) einschließlich einer Probebehandlung.
Grundbegriffe der Gelenkmechanik 7
Achse verlagert
Gelenkmechanik
(Wegge,w inn)
/ "
"
/
/
/
/
/
/
+-4+
I I
I I
Ind
DD
Gleiten Rollen
Knochenbewegung
Achse konstant
/ \ bei Traktion
r
/ \
-+-'I"'o-+ \ -+-.... Knochen
\ bewegung
I
im Raum
Traktion
entlang
Gleiten der Gelenk-
achsen
Kompression
ROllgleiten Gelenkspiel
(Rotationsgleiten) (Joi nt -play)
Abb. 1 a. Grundformen der Bewegung
8 Grundbegriffe der Gelenkmechanik
Abb.1 b. Luxationstendenz bei (angulärer) Rollbewegung ohne Gleiten am
Beispiel des Knie- und Schultergelenks
(
Abb.1 c. Ungleichmäßiger Abstand (und Haftung) im Gelenk bei angulärem
Rollen ohne Gleiten