Table Of ContentAesthetik
auf
realistischer Grundlage.
Von
J. II. v. Kirchmann.
Erster Band.
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
1868
Das Recht der Uebersetzung wird vorbehalten.
ISBN 978-3-642-51907-9 ISBN 978-3-642-51969-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-51969-7
Vorwort.
Das nachstehende Werk beschränkt sich auf die obern Begriffe
und Gesetze im Gebiete des Schönen. Der Titel würde deshalb rich
tiger: Philosophie des Schönen lauten; das Wort: Aesthetik ist nur
gewählt worden, weil es das bekanntere und geläufigere ist.
Die Eigenthümlichkeit des Werkes ist in den Worten: >>Auf
realistischer Grundlage« angedeutet. Das Prinzip der Beobachtung,
was im Gebiete der Natur seit drei Jahrhunderten mit so glänzenden
Erfolgen angewendet worden, ist hier auch auf das Gebiet des Schönen
ausgedehnt worden. In der bewussten, offenen und umfassenden Weise,
wie hier, ist dies bis jetzt noch nie geschrhen und es darf deshalb
,nicht überraschen, wenn Ergebnisse erlangt worden sind, welche zwar
von den, in den Systemen jetzt herrschenden Ansichten, erheblich ab
weichen, aber vielleicht für das Ve rständniss des das e i enden Schönen
weiter führen, als jene.
I d e a li s m u s und Re a li s m u s sind die beiden grossen Gegen
sätze, in denen die Philosophie seit ihrem Bestehen sich bewegt; alle
andern Systeme sind nur Modifikationen jener.
Das Wesen beider liegt in den Quellen, aus denen sie den Inhalt
schöpfen. Der Idealismus lässt nur das Denken, oder die Vernunft,
als die Quelle der Wahrheit zu; der Realismus dagegen erkennt nur
die Sinnes- und Selbstwahrnehmung als die Quelle an, aus
welcher der Inhalt des Seienden gewonnen werden kann ; das Denken
ist ihm nur ein Mittel , das W abrgenommene zu reinigen und das
Allgemeine daraus auszusondern.
Alle Unterschiede im Inhalte beider Systeme entwickeln sich aus
diesem Unterschiede ihrer Quellen.
Indem der I d e a li s m u s nur das Denken anerkennt und das
Wahrnehmen als die Quelle des Irrtbums von sich weist, ist es na-
IV Vorwort.
türlieh , dass der Unterschied von Sein und Wissen bei ihm all
mählig immer dünner werden und zuletzt ganz verschwinden muss.
Die Beziehungsformen, welche nur dem Wissen angehören, insbeson
dere die Kategorien der Erzeugung und Entwicklung, erhalten in ihm
die Natur seiender Bestimmungen; die Einheit wird über die Mannich
faltigkeit gestellt und eine Gränze des Wissens wird nicht anerkannt.
In dem Bestreben, das Mannichfaltige in die höchste Einheit zurück
zuführen, wird selbst der Widerspruch herbeigeholt und zuletzt zum
Kennzeichen aller Wahrheit erhoben. Das Sein hat sich in diesem
System dem Wissen unterzuordnen und ein Sein, was der dialektischen
Bewegung des Denkens sich nicht fügen will, wird als ein W erthloses
und Unwirkliches bei Seite geschoben.
Der Realismus dagegen, welcher das Sein nur mitte1st der
Wahrnehmung erreichen zu können glaubt, wird an dem Unter
schiede von Sein und Wissen, als einem unüberwindlichen festhalten
und letzteres dem erstern unterordnen. Er sondert die reinen Bezie
hungen des Denkens von den Begriffen des Seienden. Die Erzeugung
des Einen aus dem Andern ist für ihn kein s e i e n der Vorgang; die
Unterschiede sind ihm unvertilgbar und das Ursprüngliche; es giebt
kaine Entwicldung des Einen aus dem Andern, weder im Sein noch
im Wissen. Der Widerspru;::h ist ihm das ausnahmslose Zeichen der
Unwahrheit; die Einheit ist nicht die Aufhebung, sondern nur die
Vc rbindung der Unterschiede. Das Allgemeine kann nur durch In
duktion gefunden werden und das Wissen des Menschen hat seine
Schranken, jenseit deren noch ein mannichfaches, dem Menschen un
erreichbares Sein bestehen kann.
· Der Idealismus war von jeher das Schoosskind der Philosophie;
es schien so niedrig, so gemein, sich mit jedem Bauer und Bettler
des gleichen Instrumentes, d. h. der Wahrnehmung, zur Erkenntniss
der Dinge zu bedienen; die Philosophie musste etwas vor dem ge
sunden Menschenverstande voraus haben; so erfand man den Gegen
satz von Verstand und Vernunft. Mit K an t gelangte der Idealismus
zum vollen Bewusstsein seiner selbst; in dem Systeme He g el' s hat
er seinen Gipfelpunkt erreicht.
Der Realismus dagegen ist in seiner philosophischen Ausbildung
Vorwort. V
weit hinter dem Idealismus zurückgeblieben; man wagte nicht, sich
der Wahrnehmung voll anzuvertrauen. Selbst Herbart, der den Be
griff des Seins so richtig erkannt hatte, liess die Wahrnehmung als
Quelle des Wissens wieder fallen, weil sie angeblich nur Widerspre
chendes biete; er stand nicht an, ein System von raum- und zeitlosen
Wesen sich auszudenken, was hinter dem Scheine der Erfahrung stehen
und das wahrhaft Seiende enthalten sollte.
Nach<lem jetzt die Ueberzeugung immer allgemeiner wird, dass
mit dem Idealismus nicht weiter zu kommen ist, versucht die neueste
Philosophie eine Verbindung des Idealismus mit dem Realismus. Man
räumt der Erfahrung und Beobachtung gewisse Rechte ein, allein
man mag auch das lang gehegte und gepflegte dialektische Spiel mit
den Begriffen nicht aufgeben. Ein solcher Kompromiss ist indess un
möglich und für das strenge Denken unerträglich. Wenn zwei Wege,
das Wahrnehmen und das Denken, jeder für sich zum Sein führen,
so muss dies bei der gegensätzlichen Natur beider zu einer Verwir
rung führen, in der zuletzt nur die Willkür, wenn auch in der Hülle
philosophischer Phrasen, entscheidet.
Anstatt in einer solchen Verbindung beider Systeme das Heil
der Philosophie zu suchen, erscheint es gerathener, zunächst das System
des Realismus in seiner Reinheit und Folgerichtigkeit auszubilden und
dann an der Hand desselben das Gebiet des Seienden von Neuern zu
durchwandern.
Das Erstere hat der Verfasser früher (Philosophie des Wissens.
Berlin, 1864. Verlag von J. Springer) versucht und das letztere ist
in diesem Werke für. das Gebiet des Schönen geschehen. Die idea
listische Philosophie erkennt zwar allmählig das realistische Prinzip
im Gebiete der Natur an; allein desto entschiedener weist sie es noch
immer in den Gebieten des Sittlichen und Schönen zurück. Es kam
daher darauf an, durch die That zu zeigen, was der Realismus in
diesen Gebieten vermag.
Für alles Weitere verweist der Verfasser auf den Inhalt des
Werkes selbst, dem die wesentlichen Grundsätze des Realismus als
Einleitung vorausgeschickt worden sind.
Die Beispiele oder das Einzelne, aus denen die Begriffe und
VI Vorwort.
Gesetze sich ableiten, haben für die realistische Auffassung eine weit
höhere Bedeutung , als für den Idealismus ; der Verfasser hätte sie
daher gern in grösserer Fülle und Mannichfaltigkeit geboten. Allein
das Werk würde dadurch zu sehr angewachsen sein und die Uebersicht
lichkeit verloren haben; es ist deshalb nur das Bekannteste und An
erkannteste benutzt worden.
Bei der Fülle des Inhaltes musste überhaupt die Darstellung
sehr gedrängt gehalten werden, und es ist deshalb zu wünschen, dass
das Lesen des Werkes in etwas langsamerem Tempo, als gewöhnlich,
geschehe.
Der Verfasser benutzt schliesslich diese Gelegenheit, um sich
bei den Besitzern seiner Philosophie des Wissens zu entschuldigen,
dass der zweite Theil derselben trotz seines Versprechens bis jetzt nicht.
erschienen ist. Die Erprobung des realistischen Prinzips in den Ge
bieten des Seins schien dem Verfasser dringender, als die volle Ent
wicklung des Prinzips für sieb. Indess soll dieser zweite Theil und
zwar nicht zum Schaden der Sache, in einiger Zeit nachfolgen. Vor
läufig ist ein kurzer Auszug in der ersten Abtheilung dieses Werkes
geboten.
Berlin im Januar 1868.
Der Verfasser.
Inhalts-U e hersieht.
(Die lateinischen ZUI'ern bedeuten den Band, die arabischen die Seitenzahl.)
I. Die Erkenntniss des Schönen.
A. Das System des Realismus
1. Das Wahrnehmen I. 1
2. Das Denken . . I. 5
3, Das Erkennen . I. 11
B. Die übrigen Systeme . I. 26
C. Die Wissenschaft des Schönen I. 33
II. Die Welt des Schönen.
A. Das Naturschöne . . L 39
B. Das Kunstschöne • . . . • . I. 41
C. Das verzierende Schöne . • • I • 44
111. Der Begriff des Schönen.
A. Die Auffindung des Begriffes . I. 47
B. Die Begründung des Begriffes . . I. 53
C. Die Besonderung des Begriffes. . I. 72
IV. Das Seelenvolle des Schönen.
..
A. Das Reale . • . I. 75
B. Das Seelische.
1. Ueberhaupt I. 86
2. Die Lustgefühle . I. 93
3. Die Achtungsgefühle I. 111
4. Die Freiheit des Willens I. 121
5. Der Widerstreit zwischen Lust- und Achtungsgefühlen I. 129
6. Der Widerstreit zwischen Lustgefühlen . I. 136
7. Der Widerstreit zwischen Achtungsgeilihlen I. 142
C. Der Mensch als seelenvolles Reale • . I. 148
D. Die Natur als seelenvolles Reale • . . • . . I. 165
E. Die überirdische Welt als seelenvolles Reale . I. 181
V. Die Bildlichkeit des Schönen.
.
A. Der Begriff der Bildlichkeit I. 187
B. Die Besonderung der Bildlichkeit.
1. Im Naturschönen . . . . I. 191
2; Die Bildlichkeit der bildenden Künste I. 194
3. Die Bildlichkeit in der Musik • • I. 208
4. Die Bildlichkeit in der Dichtkunst I. 220
C. Die Begründung der Bildlichkeit . • • I. 241
VIII lnhalts-Uebersicht.
D. Die Entwicklung der Bildlichkeit.
1. Die Freiheit • . '!:. 252
2. Die Reinheit • . . I. 254
3. Die Bestimmtheit I. 261
VI. Die ldealisirnng des Schönen.
A. Der Begriff der Idealisirung I. 266
B. Die Besonderung der Idealisirung.
1. In den bildenden Künsten I. 273
2. In der Musik • • . . . • I. 282
3. In der Dichtkunst . • • . I. 2S5
4. Die ldealisirung des Naturschönen I. 2SS
C. Die Gränzen der Idealisirung.
1. Im Natürlichen • . • . I. 292
2. Im Sittlichen . . . . . I. 302
VII. Das Sinnlich-Angenehme des Schönen.
A. Der Begriff des Sinnlich-Angenehmen . • I. 320
B. Die Besonderung des Sinnlich-Angenehmen I. 324
C. Der Werth des Sinnlich-Angenehmen • I. 334
VIII. Die Besonderung des Schönen.
A. Die Besonderung nach dem Seelischen.
1. Das Erhabene.
a) Der Begriff des Erhabenen . 11. 1
b) Das Natur-Erhabene. . . 11. 11
c) Das Geistig-Erhabene II. 14
d) Das Edle und das Gemeine 11. 25
e) Das Tragische . . . • . IL 29
2. Das Einfach-Schöne.
a) Das Einfach-Schöne im engern Sinne 11. 36
b) Das Komisch-Schöne.
aa) Der Begriff des Komischen II. 42
bb) Das Einfach-Komische ll. 41
cc) Das Witzig-Komische 11. 57
dd) Der Humor . , . • 11. 63
B. Die Besonderung nach der Bildlichkeit.
1. Das Naturschöne • • . . . • 11. 12
2. Das Kunstschöne . . . • . . li. 77
C. Die Besonderung nach der ldealisirung.
] . Das Ideal- und das Naturalistisch-Schöne . II. so
2. Das Form- und das Geistig-Schöne . . . II. 90
3. Das Symbolisch- und das Klassisch-Schöne ll. 9S
IX. Die Vollendung des Schönen oder das Kunstwerk.
A. Der Begriff des Kunstwerkes.
1. Die Auffindung des Begriffes . 11. 105
2. Die Komposition . . . • • II. lOS
3. Die Begründung des Begriffes . II. 115
Inhalts-Uebersicht. IX
B. Die Mannichfaltigkeit des Kunstwerkes.
1. Das dichterische Handlungsbild.
a) Die Weltlage . • . • II. 117
b) Die Handlung II. 132
c) Anfang, Mitte und Ende Il. 144
2. Das Handlungsbild in den bil<lenden Künsten II. 150
3. Das Stimmungsbild . • • • • . . II. 153
4. Die Mannichfaltigkeit der Gegensätze II. 162
5. Die Eintheilung der Kunstwerke II. 174
C. Die Einheit des Kunstwerkes.
1. Die Einheit im Realen II. 184
2 Die Einheit im Schönen.
a) Die innern Einheitsformen. li. 194
b) Die äussern Einheitsformen 11. 205
D. Die Lösung im Kunstwerke.
1. Der Begriff der Lösung . . . II. 208
2. Die Lösung im Handlungsbilde II. 210
3. Die Lösung im Stimmungsbilde li. 220
E. Die Idealisirung des Kunstwerkes li. 226
F. Die Verbindung der Künste.
1. Die Verbindung der bildenden Künste Il. 235
2. Die Verbindung der zeitlichen Künste II. 238
3. Die Verbindung von bildenden mit zeitlichen Künsten ll. 252
X. Der Genuss des Schönen.
A. Die Bedingungen des Genusses II. 253
B. Die Arten des Genusses. . • . II. 259
C. Das Urtheil über das Schöne . • II. 27
XI. Die Erzeugung des Schönen.
A. Die Bestandtheile der Erzeugung. . II. 276
B. Der Styl in der Kunst . . • . . II. 286
C. Die Vorbedingungen der Erzeugung . II. 292
XII. Die Geschichte des Schönen.
A. Die Geschichte überhaupt und ihre Gesetze II. 302
B. Die Geschicl1tc des Schönen und ihre Gesetze.
1. Die erste Periode der Kunst . II. !H7
2. Die zweite Periode der Kunst . II. 328
XIII. Das verzierende Schöne.
A. Der Begriff und die Gesetze des verzierenden Schönen II. 338
B. Die Besonderung des verzierenden Schönen • II. 343
C. Die Wirkung des verzierenden Schönen . . . . • II. 357