Table Of ContentDoris Lucke
Akzeptanz
Legitimität in der
"Abstimmungsgesellschaft"
Doris Lucke, Akzeptanz
Doris Lucke
Akzeptanz
Legitimität in der
,,Abstimmungsgesellschaft''
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1995
Die Autorin: PD phil. habil. Dr. rer. pol. Doris Lucke, Diplom-Soziologin.
Seminar für Soziologie der Universität Bonn.
Die Arbeit wurde zur Erlangung der venia legendi im Fach Soziologie an der
Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität eingereicht und
als Habilitationsschrift zum Thema: "Akzeptanz. Zur Analyse einer subjektiv-sozialen
Legitimitätsgrundlage" angenommen.
ISBN 978-3-8100-1496-2 ISBN 978-3-663-09234-6 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-09234-6
© 1995 by Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1995
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schen Systemen.
Satz: 0. G. Schwenk, Mainz
"Kein Mensch ist obligirt,
außer durch seine Zustimmung."
(lmmanuel Kant)
"Es gibt nichts Beruhigenderes,
als daß ein Mensch auf Gründe hören kann."
(Hannah Arendt)
Gliederungsübersicht
Einleitung: Ein Modewort als Grundbegriff soziologischer
Gesellschaftsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Teil 1 Akzeptanzbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
1.1 Verbreitung, Stellenwert und Karriere des Begriffs 33
1.2 Auf der Suche nach begrifflicher Klarheit: Erträge,
Fundstellen und (Teil-)Erfolge einer Spurensuche . 45
1.3 Begriffsbestimmungen und Definitionsversuche . . . . . . . . . 74
Teil2 Akzeptanzphänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
2.1 Akzeptanz als Ergebnis gesellschaftlicher Integration und
erfolgreicher Enkulturation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
2.2 Akzeptanz als gesellschaftlicher Grundtatbestand und als
Voraussetzung sozialen Handeins und sozialer Interaktion 140
2.3 Funktionen und Effekte der gesellschaftlichen Akzeptanz . 155
2.4 Differenzierungskriterien empirischer
Akzeptanzverteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
2.5 Typische Ausdrucksformen der gesellschaftlichen
Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Teil 3 Akzeptanzforschung . . . . . . . . . . . . . . . . 233
3.1 Forschungsdefizite, Theorietraditionen und Fundamente . . 235
3.2 Methoden, Methodenprobleme und Methodenkritik . . . . . . 265
3.3 Wie ist Akzeptanz meßbar?
Operationalisierungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
3.4 Inhalte und mögliche Perspektiven soziologischer
Akzeptanzforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
3.5 Systematisierende Vorarbeiten für eine
Soziologie der Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
Zusammenfassung, Ausblick und Schluß: Konturen eines Strukturwandels
der gesellschaftlichen Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
Literatur ...................................... 421
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
Übersicht über die Schaubilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . 446
Zur Autoein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
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Einleitung: Ein Modewort als Grundbegriff soziologischer
Gesellschaftsanalyse
Akzeptanzfragen eröffnen nicht nur der Soziologie Einsichten und bislang
(zu) wenig beachtete Perspektiven. Als Forschungsfragen (an-)erkannt und
auf die Möglichkeitsbedingungen, symbolischen Erscheinungsweisen, sozia
len Folgen, gesellschaftlichen Funktionen und kulturellen Effekte der Akzep
tanz ausgedehnt, führen sie in ein- mit Fontane gesprochen- "weites Feld".
Die in der Akzeptanzproblematik liegende interdisziplinäre Aufgabenstellung
soll hier als Forschungsaufgabe für die Soziologie angenommen und einige
ihrer spezifisch soziologischen Aspekte bearbeitet werden. Eine systematische
Bearbeitung ergibt in die Zukunft weisende Forschungsfragestellungen. Sie
verweist zugleich auf - z. T. verschüttete - Traditionen.
Traditionen und Perspektiven
Als lmplikationen des Kategorischen Imperativs - so der Ausgangspunkt die
ser Untersuchung- finden Fragen nach faktischen Akzeptiertheiten und prin
zipiellen Akzeptierbarkeiten bei Kant, eingangs zitativ in Erinnerung gerufen,
ihre Fortsetzung in den "beruhigenden Begründbarkeiten" und "aufgeklärten
Hörigkeifen" innerhalb der politischen Philosophie Hannah Arendts.1 In der
Tradition daraus abgeleiteter moralischer Verpflichtetheiten und durch die
Einverständnisvoraussetzung begrenzter "Obligi(e)rtheiten" wurzelnd, er
strecken aktuelle Akzeptanzfragen sich auf die kognitiven, emotiven, interak
tiven und kommunikativen Fundamente okzidentaler Rationalisierung. Indem
sie auf teilweise verdrängte "irrationale" Momente des Rationalisierungspro
zesses zielen und auch dessen zustimmungsabhängige Elemente ans Licht
bringen, schärfen sie gleichzeitig den durch Rationalitätsunterstellungen -
auch mancher Positionen in der Soziologie -vorübergehend verstellten Blick
dafür, daß erst auf der gemeinsamen Grundlage von objektivierbaren Maß
stabskriterien rationaler Akzeptabilität und institutionell abgesicherter Legiti
mität und subjektiver Akzeptanz durch die Akteure der Rationalisierungser
folg auf Dauer zu sichern ist.
Aus heutiger Sicht erneut aufgeworfen, brechen Akzeptanzfragen der Ein
sicht Bahn, daß auch noch unter den Bedingungen von Pluralisierung und In
dividualisierung kollektive Zustimmung, allgemeines Einverständnis und ge
meinschaftliche Empörung möglich sind. Die damit gewonnene subjektzen
trierte Sichtweise verschafft der Tatsache Beachtung, daß bei den Mitgliedern
dieser pluralisierten und individualisierten Gesellschaft von (prinzipiell) allen
Für eine Rekonstruktion des politischen Humanismus Hannah Arendts s. Heuer (1992).
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geteilte Normativitäts- und Normalitätsvorstellungen im Sinne einer Durk
heimschen "conscience collective" nach wie vor existieren und aller verstan
desbetonten Durchrationalisierung zum Trotz Gemeinschaftsgefohle immer
noch vorhanden sind. Zusammen repräsentieren die hierdurch ins Blickfeld
geratenen Aspekte Bestandteile eines auf objektiver Legitimierbarkeit und auf
subjektiver Akzeptierbarkeit basierenden Typus "postmoderner Rationalität",
bei der erweiterte Rationalitätskriterien und subjektbezogene Legitimitäts
grundlagen die Möglichkeit (gegen-)rationaler Rationalisierungskritik impli
zieren und die Chance der Nicht-Akzeptanz überhaupt erst eröffnen.
Inter- und innerdisziplinäre Zugänge
"Akzeptanz" ist nicht nur ein Thema der Soziologie. Fragen nach Akzeptanz
und Akzeptierbarkeit stellen und stellten sich außer einer an menschlichem
Verhalten und zwischenmenschlicher Interaktion interessierten Philosophie
und Psychologie in der Politologie und der Jurisprudenz ebenso wie in den
Wirtschafts- oder in den Religions- und Sprachwissenschaften. Dort haben
ähnlich gelagerte Probleme u.a. Theorien des Geldes, der Rechtsgeltung, der
Überzeugungskunst, der Grammatizität und des Glaubens angeregt und auf
so verschiedenen, wie den eben nur auszugs- und stellvertretenderweise ge
nannten Gebieten eine umfangreiche "ak:zeptanzrelevante" Literatur produ
ziert. Deren Themenspektrum ist weit gespannt und erstreckt sich von den
Rechtfertigungslehren einer "acceptatio divina" über eine "Grammar of As
sent" bis hin zur modernen Werbepsychologie.
Soziologen erschließt sich die Akzeptanzproblematik u.a. als Kehrseite der
namentlich von Habermas und Luhmann au~etragenen Legitimationsdebatten
der späten 60er und mittleren 70er Jahre. Einneuerer Zugang ergibt sich
aus der von dem Politologen Ronald Inglehart im anglo-amerikanischen
Raum angestoßenen und seit Ende der 70er Jahre international geführten
Wenewandeldiskussion.3 Deren maßgebliche Vertreter gehen in hoher Über
einstimmung von einem generellen Sinken vonAkzeptanzwenen in westlichen
Industrieländern aus. Rationalisierungs-und Modernisierungstheoretikern in
der Soziologie dürfte die "Akzeptanz" -und ihr wahrscheinlicher gewordenes
Gegenteil -als eine der möglichen Ursachen postmoderner Entwicklungskon
flikte und als subjektseitiges Modernisierungsrisiko seit dem 25. Deutschen
2 Stellvertretend fiir diese zumeist auf hohem Abstraktionsniveau verlaufenen Erörterungen
Habermas (1973a).
3 In Deutschland wurde diese Diskussion vor allem von dem Soziologen Helmut Klages wei
ter vorangetrieben. Als Überblick eignen sich die Standardwerke von Inglehart (1977;
1989) sowie der umfangreiche Sammelband Klages/Kmieciak (1984, 1979).
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Soziologentag 1990 in Frankfurt als Thema zumindest implizit gestellt sein. 4
Dieses betrifft die (Selbst-)Reflexion auf die Modernisierungs- und damit
auch auf die Legitimitätsgrundlagen moderner Gegenwartsgesellschaften. Zu
vor hatte sich die Akzeptanz gegen die Logik einfacher Legitimations- und
Rationalisierungstheorien gesperrt und war möglicherweise genau deswegen
als potentielles "missing link" und "systemfremder" Störfaktor in gesell
schaftlichen Rationalisierungsprozessen lange Zeit unentdeckt geblieben. Spe
ziell die Individualisierungs- und Pluralisierungstheoretiker könnten in Ak
zeptanz- und Akzeptierbarkeitsfragen eine Gelegenheit entdecken, ihre
Thesen selbst einem erfahrungswissenschaftliehen Akzeptanz- und Ak:zepta
bilitätstest zu unterziehen und ihre Theoriediskussionen- wie die Wertewan
deltheoretiker - auf empirischer Ebene und mit entsprechend stärkerem
Praxisbezug fortzusetzen.
Problemgenese und aktueller Problembezug
Akzeptanzfragen sind alt. Mit Traditionen, die sich bis zu den Klassikern der
Soziologie, der Psychologie, Philosophie und der Politologie zurückverfolgen
lassen, reichen sie bis zu den Ursprüngen des Fachs als einer akademischen
Disziplin und begleiten die Entstehungs-und Entwicklungsgeschichte der So
ziologie als latente Dauerfragestellungen. Die ideengeschichtlichen Wurzeln
der Akzeptanzthematik liegen damit weiter zurück, als man angesichts der
modewörtlichen Karriere des Akzeptanzhegrijfs vermuten möchte und expli
zit soziologische Befassung mit dem Phänomen erkennen läßt. Ähnliches gilt
für die damit verbundenen Akzeptanzprobleme. Auch sie treten und traten
nicht nur in Gegenwartsgesellschaften auf. Als Grundprobleme - möglicher
weise von Sozialordnungen überhaupt - sind sie nicht nur zeitgenössischer
Betrachtung und aktualitätsbezogener Forschung in diesem doppelten Wort
sinn "gegenwärtig".
Zum Problem für die Gesellschaftsmitglieder und damit zu einem bevor
zugten Gegenstand - neben der Politologie - für die Soziologie wird die Ak
zeptanz und die (Denk-)Möglichkeiti hrer potentiellen und faktischen Vorent
haltung mit der Entstehung der Demokratie5 und der Ausbildung der öffent
lichen Meinung als "demokratische Macht" und "unsichtbares Parlament".6
4 Für eine Dokumentation der Vemandlungen des unter das Generalthema: "Modemisierung
moderner Gesellschaften" gestellten Soziologentages vgl. Zapf (1991).
5 Als ein Klassiker der Demokratietheorie Tocqueville (1833-35, dt. 1990) sowie speziell ffir
eine Soziologie der Demokratie Lipset (1960, dt. 1962).
6 Hierzu Löffler (1981) unter Bezugnahme auf Formulierungen von Elisabeth Noelle-Neu
mann.
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Sie wiederum haben das mit politischem Stimmrecht, "vote" und "voice"1,
und mit gesellschaftlicher Urteilskraf1.-& ausgestattete, bürgerliche Subjekt
und aufgeklärte Individuum der Neuzeit zur Voraussetzung: Indem Akzep
tanzfragen sich sinnvollerweise erst dann stellen, wenn es erstens etwas zu
akzeptieren gibt, (das nicht auch ohne Akzeptanz durch andere seine Exi
stenzberechtigung hätte und seine Legitimitätsgrundlagen ausschließlich in
sich selbst trüge), und sich erst dann erheben, wenn dem zweitens jemand
gegenübersteht, der auch nicht akzeptieren kann (und dabei die Legitimität
auf seiner Seite hat), erweisen sich die Akzeptanz und ihre Erhaltung als ein
Kardinalproblem demokratischer Institutionen in einem sehr weit gefaßten
Sinne. Erst dann wird Akzeptanz zum legitimen Thema soziologischer Aus
einandersetzung mit den Möglichkeitsbedingungen gesellschaftlichen Zusam
menlebens und den Legitimitätsgrundlagen sozialer Ordnung.
Unmittelbar praktische Relevanz und gesellschaftspolitische Brisanz gewin
nen Akzeptanzfragen innerhalb einer Gegenwartsgesellschaft, in der Prinzi
pien des informierten Infragesteliens und kompetenten Dagegenseins nicht
nur als Attitude kultiviert und zur zeit(geist-)gemäßen Mentalität stilisiert
sind, sondern tatsächlich praktiziert werden und sich auf dem Wege zum an
erkannten Sozialisationsziel bzw. zur Bürgerpflicht befinden. Der "Akzep
tanzvorbehalt" ist-davon wird man ausgehen können -mittlerweile zum Be
standteil der politischen Kultur und gesamtgesellschaftlich zunehmend wichti
gen Abstimmungsmodus geworden. Der Zweifel wurde vielerorts institutio
nalisiert und auch außerhalb wissenschaftlicher und bürokratischer Subsyste
me zum Programm erhoben, während die "qualifizierte Nicht-Akzeptanz" den
Status eines auf vielen Gebieten ihrerseits akzeptierten Wertpostulats bereits
erlangt hat. All dies verweist zusammen mit der drohenden Aufkündigung
von Systemvertrauen und weiterem Loyalitäts- und Legitimitätsentzug auf
Dimensionen der behandelten Thematik, welche mit den Problemlösungs
potentialen einzelwissenschaftlicher Zuständigkeiten auch die der rein aka
demischen Auseinandersetzung sprengen und die Grenzen intellektuell-dis
kursiven Raissonierens übersteigen dürften.
In einer solchen Situation sind die soziologischen Nachbardisziplinen und
deren Anwendungsgebiete ebenso gefordert wie die Soziologie. Als nach ih
rem disziplinären Selbstverständnis-Wissenschaft nicht nur "von", sondern
auch und vor allem "für die Gesellschaft" gilt dies für sie in besonderer Wei-
7 Beide Begriffe spielen in der Demokratiebewegung bekanntlich eine zentrale Rolle: der
eine als Bestandteil der im Kampf um das Stimmrecht geprägten Formel "one man, one vo
te", der andere als Teil der Strategien neuer sozialer Bewegungen (Hirschman 1970; Tou
raine 1981).
8 Eine Geschichte der gesellschaftlichen Urteilskraft und ihrer Kritik ließe sich im Kontext
der fiir diese Untersuchung angestellten Literaturstudien etwa von Kant (1797a, 1991) über
Hannah Arendt bis Bourdieu (1982) rekonstruieren.
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