Table Of ContentEgbert Brieskorn
LINEARE ALGEBRA UND ANALYTISCHE GEOMETRIE
I
Umschlagfotos
Vorderseite: Elektronenmikroskopische Aufnahme des Skeletts der Aige "braarudosphaera bigelowi".
Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dr. S. A. Jafar,
Institut fUr Geologie und PaHiontologie der Universitat TUbingen.
RUckseite: Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Gruppe von Adenoviren.
Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dr. Gelderblom,
Robert-Koch-Institut des Bundesgesundheitsamtes, Berlin.
Egbert Brieskorn
LINEARE ALGEBRA
UND
ANALYTISCHE GEOMETRIE
I
Noten zu einer Vorlesung
mit historischen Anmerkungen von Erhard Scholz
Friedr. Vieweg & Sohn Braunschweig / Wiesbaden
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Brieskom, Egbert:
Lineare Algebra und analytische Geometriel
Egbert Brieskorn. - Braunschweig; Wiesbaden:
Vieweg
1. Noten zu einer Vorlesung/mit histor. Anm.
von Erhard Scholz. - 1983.
1. Auflage 1983
Nachdruck 1985
Aile Rechte vorbehalten
© Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig 1983
Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1983
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Buchbinderische Verarbeitung: Hunke & Schroder, Iserlohn
ISBN-13: 978-3-322-83175-0 e-ISBN-13: 978-3-322-83174-3
001: 10.1007/978-3-322-83174-3
Es ist Demantstaub, der, wenn er auch selbst nicht
mehr glanzt, doch dient, andere damit zu schleifen.
(Lichtenberg, Merkbuch J)
Vorwort
In der Geschichte der Mathematik zeigt sich uns ein groBer Reichtum
in der Entstehung verschiedenartiger Strukturen, die sich entfalten, durch
dringen und vereinen. Die besonders einfachen und grundlegenden Strukturen
treten dabei oft erst zum SchluB hervor. So ist es auch mit der linearen
Algebra. Mit einem Alter von vielleicht hundert Jahren ist sie noch jung,
und ihr Gegenstand ist eine besonders einfache Struktur, die Bestandteil
vieler anderer und sehr viel komplexerer Strukturen in anderen Gebieten ist.
Das Studium dieser Struktur steht daher he ute mit Recht am Anfang des
Studiums der Mathematik uberhaupt. Leider entsteht dabei bisweilen ein
Eindruck von Abstraktheit und Langeweile - dies aber nur dann, wenn man
die lineare Algebra als ein abgemagertes Gerippe prasentiert, als einen
Minimalkanon von Definitionen und Operationen, die man furs Examen lernen
muB. Wer dergleichen sucht, lege dieses Buch beiseite.
In der Vorlesung, aus der dies Buch hervorgegangen ist, habe ich
versucht, etwas von der Fulle der Beziehungen sichtbar werden zu lassen,
durch welche die Grundstrukturen der linearen Algebra mit anderen Strukturen
verbunden sind. Naturlich ist das am Anfang des Studiums nur in begrenztem
MaBe moglich. Selbstverstandlich habe ich mich zunachst einmal darum bemuht,
dem durchschnittlichen Studenten eine gut motivierte, leicht lesbare,
bisweilen sogar breit geschriebene Einfuhrung in das Gebiet der linearen
Algebra zu geben, wobei ich auf die Entwicklung strukturellen Denkens und
operationaler Fahigkeiten gleichermaBen Wert gelegt habe. Daruber hinaus habe
ich aber immer wieder versucht, denjenigen, die mehr als das wollen, Ausblicke
auf all das Schone zu geben, was sie im Studium der Mathematik noch erwartet.
Besonders die Aufgaben sollen etwas vom geometrischen Gehalt der linearen
Algebra sichtbar werden lassen - ich sehe die lineare Algebra auch als die
Form, in der heute die Geometrie Euklids gelehrt wird.
VI
Vielleicht bin ich in meinem Streben nach Vielfalt bisweilen zu weit
oder zu sehr in die Breite gegangen. Dennoch meine ich, daB die beiden
Bande dieser Einfuhrung in die lineare Algebra trotz aller Vielfalt im
Einzelnen im Grunde ein einheitliches Ganzes bilden. Dies auch deswegen,
weil ich mich bemuht habe, die vereinheitlichende Kraft des Gruppenbegriffs
wirken zu lassen, wo immer mir dies moglich war.
Ich mochte allen danken, die zu diesem Buch beigetragen haben. Den
Studenten danke ich dafur, daB sie so gute Horer waren, und unter ihnen
danke ich besonders Herrn Everling fur eine lange Fehlerliste und Herrn
Mertens fur das Stichwortverzeichnis. Den Sekretarinnen unseres Instituts
danke ich fur das muhevolle Schreiben des Manuskriptes. Herrn Dr. Knorrer
und Herrn Dr. Ehlers danke ich fur viele schone Ubungsaufgaben. Herrn
Dr. Scholz mochte ich ganz besonders fur die wertvollen historischen An
merkungen danken, die er zu jedem einzelnen Paragraphen geschrieben hat,
und die mir fur die Art, wie ich die Ideen in der Vorlesung entwickelt habe,
sehr wichtig gewesen sind. Herrn Dr. Gelderblom, Herrn Dr. Jafar und Herrn
Professor Andre Schaaf danke ich dafur, daB sie uns gestattet haben, den
Einband beider Bande mit ihren schonen elektronenmikroskopischen Aufnahmen
zu schmucken. SchlieBlich gilt mein besonderer Dank Frau Schmickler-Hirzebruch
vom Vieweg-Verlag fur die groBe Muhe, die sie sich mit diesem Buch gemacht hat.
Ich hoffe, daB unser aller Arbeit nicht ganz umsonst war.
Bonn, im Juni 1983 Egbert Brieskorn
Inhaltsverzeichnis
seite
I. Einfuhrung in die linea re Algebra und analytische Geometrie
§ 1 Wovon handelt die Mathematik?
Zur Geschichte der regularen Korper und der Herausbildung
eines mathematischen Symmetriebegriffs 30
Literatur zu § 1 32
Aufgaben zu § 1 34
§ 2 Gruppen 37
Literatur zu § 2 66
Aufgaben zu § 2 68
§ 3 Wovon handelt die lineare Algebra? 74
Zur "Fruhgeschichte" der lineare Algebra 95
Literatur zu § 3 97
Aufgaben zu § 3 98
§ 4 Wovon handelt die analytische Geometrie? 102
Zur Geschichte der analytischen Geometrie 146
Literatur zu § 4 147
Aufgaben zu § 4 148
II. Die Kategorie der Vektorraume
§ 5 Korper 156
Zur Entstehung des Korperbegriffs 192
Literatur zu § 5 194
Aufgaben zu § 5 195
§ 6 Vektorraume
6.1. Axiome 202
6.2. Einfachste Beispiele 206
6.3. Rechenregeln 211
6.4. Unterraume 216
6.5. Beispiele 218
6.6. Quotientenraume 233
6.7. Basen 246
6.8. Rang und Dimension 288
6.9. Direkte Summen 294
6.10. Dualraume 300
6.11. Skalarwechsel 324
Zur Entstehung und Durchsetzung des Vektorraumbegriffs 333
Literatur zu § 6 337
Aufgaben zu § 6 339
Aufgaben zu § 7 355
§ 7 Matrizen
7.1. Matrizenkalkul 356
7.2. Matrizen und Koordinatentransformationen 368
7.3. Matrizen und Homomorphismen 373
7.4. Der GauBsche Algorithmus 419
Zur Geschichte der Matrizen und des GauBschen Algorith 462
mus
Literatur zu § 7 465
Aufgaben zu § 7 466
VIII
III. Affine RAume und lineare Gleichungssysteme
§ 8 Affine Geometrie
8.1. Affine Raume und ihre Unterraume 472
488
8.2. Affine Abbildungen
8.3. Affine Koordinaten 498
Zur Entstehung der affinen Geometrie 502
Literatur zu § 8 504
Aufgaben zu § 8 505
§ 9 Lineare Gleichungssysteme
9.1. Existenz und Anzahl der Losungen 509
9.2. Berechnung der Losungen 518
Literatur 525
Aufgaben zu § 9 526
IV. Determinanten
§ 10 Determinanten
10.1. Ursprung und Definition der Determinanten 530
10.2. Die wichtigsten Satze uber Determinanten 548
10.3. Spezielle Determinanten 590
Zur Entstehung der Determinanten 598
Literatur zu § 10 601
Aufgaben zu § 10 602
Quellenverzeichnis der Abbildungen 623
Stichwortverzeichnis 625
Inhalt des 2. Bandes
Kapitel V. Die Klassifikation der Endomorphismen Endlich dimensionaler vektor-
raume
Nilpotente Endomorphismen, Eigenraume, Eigenwerte, Jordanzerlegung und Jordan
normalform, Elementarteiler, Klassifikation der Endomorphismen bis auf Konjuga
tion, GL(2,:m) und GL(3,:m) als Beispiele.
Kapitel VI. Vektorraume mit einer Sesquilinearform
Sesquilinearform, selbstadjungierte und unitare Endomorphismen, Orthogonali
sierung, Isotropie, Klassifikation hermitescher Formen, euklidische und uni
tare Vektorraume, klassische Gruppen.
Inhalt des 3. Bandes
Kapitel VII. Geometrie im Euklidischen Raum
Euklidische affine Raume und ihre Isometriegruppen, Lange von Kurven, Winkel,
ebene und spharische Trigonometrie, Spiegelungen und Drehungen, Clifford-Alge
bren und Spin-Gruppen, Klassifikation der Isometrien, einparametrige Gruppen
von Isometrien, Quadriken, regulare Polyeder und endliche Untergruppen der
orthogonalen Gruppe, geometrische Kristallographie, geometrische Kristall
klassen, einfache Kristallformen.
- 1 -
KAPITEL I
EINFUHRUNG IN DIE LINEARE ALGEBRA UND ANALYTISCHE GEOMETRIE
In diesem Kapitel geben wir vorlaufige Antworten auf die folgenden Fragen:
Wovon handelt die Mathematik? Wovon handelt die lineare Algebra? Wovon handelt
die analytisehe Geometrie?
Wir wollen bei unseren vorlaufigen Antworten auf diese Fragen von der bei allen
Mensehen sieh herausbildenden Ansehauung ausgehen und von der Kenntnis der Eu
klidisehen Geometrie und der analytisehen Geometrie, die man bei Studienbeginn
voraussetzen kann. Es kommt uns bei dieser Einflihrung vor allem auf Motivation
an, nieht auf streng logisehe Deduktion. Der axiomatisehe deduktive Aufbau der
Theorie erfolgt in den spateren Kapiteln.
§ 1. Wovon handelt die Mathematik?
"Naturwissensahaft ist der Versuah~ die Natur
durah genaue Begriffe aufzufassen ..•
IJuroah diesen Prozel3 wird unsere Auffassung der
Natur allmahliah immer vollstandiger und riah
tiger~ geht aber zugleiah immer mehr hinter die
OberfUiahe der Ersaheinungen zurilak".
(aus einen Fragment von Bernhard Riemann:
"Versuah einer Lehre von den Grundbegriffen der
Mathematik und Physik als Grundlage j7~r die
NaturerkUirung") .
Die Vorlesung tiber lineare Algebra und analytisehe Geometrie ist eine der beiden
Vorlesungen, die man bei uns am Anfang des Mathematikstudiums hert. Es ist daher
sieher nieht unangemessen, sieh in der ersten Stunde dieser Vorlesung die folgen
den Fragen zu stellen:
- 2 -
• Was ist Mathematik ?
• Was ist ihr Gegenstand ?
• Wovon handelt sie ?
Es ist nicht leicht, diese Fragen richtig zu beantworten, und verschiedene Mathe
matiker haben sehr verschiedene Antworten auf diese Fragen gegeben. Gute Beispiele
dafur findet man in dem von M.Otte herausgegebenen Buch "Mathematiker uber Mathe
matik".
Jede Antwort hangt von den implizit oder explizit eingenommenen philosophischen,
insbesondere erkenntnistheoretischen und wissenschaftstheoretischen Positionen
abo AuBerdem muB in eine adaquate Antwort die Kenntnis der geschichtlichen Ent
wicklung der Mathematik ebenso eingehen wie die Kenntnis ihrer wichtigsten gegen
wartigen Inhalte und Methoden. All dies laBt sich in dieser Vorlesungsstunde zu
Beginn der Vorlesung noch nicht vermitteln. Deshalb mochte ich Ihnen die eben ge
stellten Fragen mit Hilfe eines Beispiels beantworten. Ich habe dieses Beispiel
gewahlt, weil es unmittelbar mit dem Stoff der Vorlesung zusammenhangt, mit der
Euklidischen Geometrie, mittelbar aber auch mit meiner eigenen wissenschaftlichen
Arbeit, und weil es gestattet, die Antworten auf unsere Fragen in besonders an
schaulicher Weise zu illustrieren.
Auf die Frage: "Wovon handelt Mathematik?" gebe ich also zunachst einmal die
vorlaufige Antwort: "Zum Beispiel von Symmetrie". Ich mochte im folgenden aus
fuhrlich erklaren, was damit gemeint ist.
In der Natur sehen wir uberall regelmaBige Muster oder Strukturen oder Objekte
von regelmaBiger Gestalt. Wenn wir zum Beispiel Kochsalz auflosen und die Losung
verdunsten lassen, sehen wir regelmaBig gebildete kleine Kristalle. Wenn wir ge
nau hinschauen, sehen wir, daB diese Kristalle die Gestalt eines Wurfels haben.
Auch eine Reihe von Mineralien bilden Kristalle in Wurfelform. In Bildbanden uber
Kristallographie findet man schone Beispiele dafur. Die Kristalle anderer Minera
lien haben die Gestalt anderer regelmaBiger Korper. Wir wollen versuchen, die re
gelmaBigen Korper mathematisch zu beschreiben, wobei wir zunachst noch sehr an
der Oberflache der Erscheinungen bleiben werden.
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