Table Of ContentFrank Welz
Kritik cler Lebenswelt
Frank Welz
Kritik der Lebenswelt
Eine soziologische Auseinandersetzung
mit Edmund Husserl und Alfred Schutz
Westdeutscher Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Welz, Frank:
Kritik der Lebenswe1t: eine soziologische Auseinandersetzung
mit Edmund Husser! und Alfred Schutz / Frank We1z. -
Opladen: Westdt. VerI., 1996
ISBN 978-3-531-12802-3 ISBN 978-3-322-97069-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-97069-5
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© 1996 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Gedruckt auf saurefreiem Papier
ISBN 978-3-531-12802-3
Inhalt
Einleitung .................................................... 9
1. Der Gegenstand: Die >phanomenologische Alternative< im Kanon der
Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 10
2. Die Perspektive einer Soziologie der Erkenntnis ................... 18
3. Ausblick .................................................. 26
Erster Teil:
Der Absolutismus des transzendentalen leh. Struktur und Methode
der Phanomenologie Husserls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 31
I. Der phanomenologisehe Ansatz: Die Suehe naeh einem >absoluten
Anfang< .................................................. 34
Exkurs: Zur geistesgeschichtlichen Konstellation der Theoriegriindung
Husserls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 34
1. Die >Idee der Phdnomenologie< in ihrem paradigmatischen Gehalt ...... 37
2. Philosophische Erkenntnistheorie: Die Stellung der Phanomenologie . .. 41
II. Die phanomenologisehe Methodik: Denken yom Vorrang des Ich ., 49
1. Das Verfahren der Phanomenologie: ............................ 52
a) Transzendental-phanomenologische Epoche und Reduktion . . . . . . .. 52
b) Eidetische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 53
2. Husserls Ziel: Phanomenologie des Bewu6tseins ................... 56
3. Das Problem der Realitat ..................................... 58
a) Die phanomenologische Methode: Paradigma des Kontingenz-
bewu6tseins ............................................. 59
b) Husserls methodologischer Idealismus und die phanomenologische
Welt der Erfahrung ....................................... 60
4. Zwischenbetrachtung ........................................ 65
a) Denken im Obergang. Der historische Ort der Phanomenologie .... 65
b) Der Absolutismus des transzendentalen Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 67
6 Inhalt
III. Die >Wende< zur Lebenswelt - als Fortentwicklung der transzenden-
talen Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 75
1. Das Verlangen nach Sachhaltigkeit: Die Grenzen der >reinen Subjektivitat< 76
2. Der phanomenologische Begriff der Welt und die Lebenswelt . . . . . . . .. 80
3. Die Lebenswelt. Bedingtheit des Erkenntnissubjekts - Ende der
>Absolutheit des Geistes<? ..................................... 82
IV. Kritik. Die Denkform des Absolutismus und die Forschungs
methodologie der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 89
1. Resumee. Die Struktur der Phanomenologie Husserls . . . . . . . . . . . . . . . .. 89
2. Die Denkform des Absolutismus und die Methodologie der Wissenschaft 93
a) Husserls >absolute Begrundung< und der Strukturwandel des
wissenschaftlichen Weltverstehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 93
b) Der Primat der Subjektivitat und die Realitat des sozialwissenschaft-
lichen Forschungsgegenstands ............................... 107
Zweiter Teil:
Die Verabsolutierung der Lebenswelt in Schutz' phanomenologischer
Sozialtheorie ................................................. 115
I. Phanomenologie der sozialen Welt? Grundzuge der Schutzschen
Methodologie .............................................. 118
Exkurs: Schutz' Wien. Der historische Kontext des Schutzschen Denkens .. 118
1. Der phanomenologische Ausgangspunkt: Die egozentrische Perspektive 126
a) Die Grundeinheit der Handlung ............................. 126
b) Sinnkonstitution im >einsamen Ich< ........................... 131
2. Die Folge: >Fremdverstehen< als methodologisches Zentralproblem der
Sozialtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 133
3. Schutz' neukantianische Lasung: Das Verfahren sozialwissenschaftlicher
Theoriekonstruktion ........................................ 136
a) Idealtypische Modellbildung ................................ 137
b) Schutz' methodologische Postulate sozialwissenschaftlicher
Modellkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 138
4. Die Paradoxie eines phanomenologischen Konstruktivismus .......... 140
Inhalt 7
II. Schutz' metatheoretische Basis. Die ursprungliche Aporie einer
phanomenologischen Sozialtheorie ............................ 145
1. Schiitz' wissenschaftstheoretische Position: Zwischen phanomenologi-
scher Orientierung und neukantianischer Epistemologie . . . . . . . . . . . .. 146
2. Das soziologische Interesse an der natiirlichen Einstellung. Phanomeno-
logische Sozialtheorie versus transzendentale Phanomenologie ........ 157
3. Die urspriingliche Aporie einer phanomenologischen Sozialtheorie .... 170
4. Zwischenbetrachtung. Das >absolute Ich, auf weltlichem Boden ......... 177
a) Primat des Ich? ........................................... 180
b) Einwande ............................................... 181
c) Kritik der egozentrischen Konstitutionsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . .. 182
III. Sozialontologie der Lebenswelt statt Bewu6tseinsanalyse ......... 188
1. Schiitz' Analyse der Lebenswelt. Ein Neuansatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 190
a) Die Situiertheit des Subjekts in der Lebenswelt. Raumliche, zeitliche
und soziale Strukturen der alltaglichen Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . .. 190
b) Die subjektiven Strukturen der Organisation lebensweltlichen
Wissens. Wissensvorrat, Relevanz und Typik ................... 193
c) Primat der Welt? Schiitz' mannigfaltige Wirklichkeiten - in der
phanomenologischen Egozentrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 196
2. Die Verabsolutierung lebensweltlicher Strukturen bei Schiitz und
Husserls Lebenswelt ......................................... 199
IV. Kritik der Lebensweltphanomenologie ........................ 204
1. Resiimee. Schutz Phanomenologie der sozialen Welt ................. 204
I
2. Der geheime Absolutismus in Schiitz' Lebenswelttheorie. Konsequenzen
cler sozialphanomenologischen Forschungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . .. 207
a) Lebensweltstrukturen und Empirie ........................... 208
b) Die Vergeistigung cler Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 211
c) Die phanomenologische Einklammerung cler Kritik .............. 212
d) Wissenschaft als Deskription? ............................... 213
Schlu6betrachtung ............................................ 215
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 221
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 249
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 252
Einleitung
Die »Revolution der Denkart« hat nicht nur den Anlauf genommen, welchem sie
ihren Namen verdankt.! Gezahlt werden noch weitere Umstellungen der Theorie
bildung als bloG die kopernikanische Kants. Hier interessieren gleich zwei. Die eine
liefert den Gegenstand, die entsprechende ,Revolution< der phanomenologischen
Theorie,2 die andere begrundet die Perspektive der vorliegenden Arbeit. Dabei ver
wundert es nicht, daG der ambitionierte Titel fur mehr als den in ihm propagierten
Paradigmawechsel beansprucht wird. Denn schon in unmittelbarem AnschluG an
die Kantische Innovation hat es Hegels >Phanomenologie< dem Selbstverstandnis des
Menschen ins Gedachtnis geschrieben, daG der Dynamik, in der sich die Kultur
und Geistesgeschichte bewegt, auch diejenigen kognitiven Formen unterworfen
sind, die das menschliche Tun und Denken durchdringen. Doch anders als vor
zweihundert Jahren ist beim heutigen Stand des Wissens die Arbeit der Erkenntnis
kritik noch nicht getan, wenn die Grundstrukturen des ,Geistes< bestimmt und auf
gewiesen sind. Statt sie in einer logozentrischen Abfolge anzuordnen, die in einem
sich selbst korrigierenden Verlauf allein den "MaGstab« kennt, »den [ .. das BewuGt
sein] selbst aufstellt«,3 werden die elementaren Orientierungsmuster des Denkens
in ihrer geschichtlichen Faktizitat heute nur verstandlich, indem der ProzeG ihrer
Entstehung und dessen Randbedingungen einsichtig gemacht werden. Das leistet
die soziologische Kritik, die daher das Programm der beschreibenden Betrachtung
des Geistes nicht nur ubernehmen, sondern erweitern muG. Gleichwohl ist das
nicht ohne Brisanz. Denn die kognitiven Formen, wie sie sich im naturlichen
Immanuel Kant (1976), Kritik der reinen Vemun/t. Nach der ersten u. zweiten Original-A us
gabe neu hrsg. von R. Schmidt, Hamburg, S. 17 (B XII).
2 Vgl. Eugen Fink (1988), VI. Cartesianische Meditation, Teill. Die Idee einer transzendentalen
Methodenlehre. Texte aus dem Nachlass Eugen Finks (1932) mit Anmerkungen und Beila
gen aus dem Nachlass Edmund Husserls (1933/34), hrsg. von H. Ebeling, J. Holl u. G. van
Kerckhoven (Husserliana Dokumente, Bd. II/I), Dordrecht/Boston/London, S. 159.
3 Georg W. F. Hegel (1952), Phanomenologie des Geistes, hrsg. von J. Hoffmeister, 6. Aufl.,
Hamburg, S. 71.
Anm. zur Zitierweise: Aile Einfiigungen in eckigen Klammern stammen von mir. Eigene
Hervorhebungen werden immer angezeigt, solehe des Originals nicht immer iibernommen
(da jede Zitation den urspriinglichen Bedeutungszusammenhang durchtrennt und eine Dber
nahme der originaren Hervorhebung in manchen Fallen im neuen Kontext eine unangemes
sene Betonung zur Folge hatte). Nur die jeweils erste Nennung eines Titels - in Einleitung,
den beiden Hauptteilen und SchluBbetrachtung - erfolgt in vollstandiger Form.
10 Einleitung
LebensprozeG ausbilden, organisieren nicht nur die aktive Weltorientierung des
Alltagsmenschen. Sie zeichnen auch ihre Spuren in die groGen Entwiirfe an
Deutungssystemen, wie sie jedes nachwachsende Subjekt in der Ausgangslage seiner
Weltinterpretation kulturell spezifisch vorfindet. DaG dies noch selbst bis in die
theoretischen Anstrengungen der Wissenschaft hinein seine Giiltigkeit hat, darauf
basiert die These der vorliegenden Schrift. Denn am Beispiel ihres Gegenstandes,
der phanomenologischen Theorie, wird, blickt man auf die Interpretationsge
schichte derselben, ein erster Versuch unternommen, einen Denktypus zu zeigen,
dessen organisierende Strategie auf einem Muster beruht, das weniger seine selbst
gesetzten Grenzen erreicht als vielmehr im Strukturwandel der Logik giiltigen
Erklarens an Dberzeugungskraft verloren hat. Es sind heute die Einfiihrung der
nichteuklidischen Geometrie, die anders als die euklidische zur Zeit Kants kein
Apriori-Wissen iiber die Struktur des Raumes mehr fixiert,4 sowie die These
Einsteins, daG die materiellen Bedingungen physikalischer Erfahrung nicht langer
als unabhangige Bestandteile des Erkenntnisvorgangs verstanden werden k6nnen,s
die einerseits fundamentalistische, urn apriorische Grundlegung bemiihte Ansatze
der Vergangenheit unterh6hlt und insofern dem konstruktivistischen bis hin zum
postmodernen Denken des zwanzigsten Jahrhunderts vorgearbeitet haben, die
andererseits jedoch in ihrem Zusammenhang mit Entwicklungen nichtnaturwissen
schaftlicher Theoriebildung noch nicht ausgelotet sind. Doch noch vor der Erlaute
rung der eigenen Perspektive einer hier zu beanspruchenden Soziologie der
Erkenntnis (2.) und einem Ausblick auf den mit ihr geschaffenen Blickwinkel der
Interpretation (3.) wird der genannte Gegenstand der nachfolgenden Auseinander
setzung zunachst eingefiihrt und seine Wahl begriindet (1.).
1. Der Gegenstancl: Die >phanomenologische Alternative< im Kanon cler
Theorie
In thematischer Hinsicht geht es der vorliegenden Arbeit urn die Strukturkritik
derjenigen Theorieentwiirfe, welche die Untersuchung der Lebenswelt als der
subjektiven Welt unmittelbarer Erfahrung zur ersten Aufgabe kultur- und sozial
wissenschaftlicher Forschung erhoben haben. Sie konzentriert sich dabei auf die
Ausarbeitungen derer, zu denen jede Lebenswelttheorie bereichsspezifisch jeweils
in Beziehung gesetzt werden muG: Husserl und Schiitz. Denn zweifellos hat das
Lebensweltthema in der von ersterem entwickelten Phanomenologie seine bedeu-
4 Vgl. Alan Musgrave (1993), Common Sense, Science and Scepticism. An historical introduction
to the theory of knowledge, Cambridge, S. 235.
5 Peter Mittelstaedt (1994), "The constitution of objects in Kant's philosophy and in modern
physics«, in: Parrini (Hg.), S. 115-129, hier S. 115f.
Einleitung 11
tendste theoretische Quelle. Schiitz hingegen, dessen Denken als »tief in der Phano
menologie Husserls verwurzelt" gilt,6 ist der Spiritus rector der Lebensweltanalyse
auf dem Gebiet der Soziologie. Daher kann es nur an Fachgrenzen liegen, daB eine
Arbeit, welche die systematische Behandlung beider Konzeptionen versucht, bislang
- soweit die Literatur zu iibersehen ist - nicht verfaBt worden ist.7 Dennoch ist es
nicht die Uberpriifung der historischen Identitat der heutigen ,phanomenologi
schen Sozialtheorie<, die der hier innerhalb des Interessenspektrums der Soziologie
unternommenen Studie den Antrieb gibt. Theoriegeschichtliche Reminiszenzen
sind nur Beiprodukt, die ungebrochene Lebendigkeit phanomenologischer For
schung ist nicht ihr Anla6.8 Auch nicht allein, weil »Lebenswelttheorien in der
gegenwartigen Diskussion an Relevanz gewinnen« und sich der »Lebensweltbegriff«
anschickt, ein weiterer »Grundbegriff der Soziologie« zu werden/ wird hier aus
dem Theorienkanon der Sozialwissenschaften die vielfach so klassifizierte »phano
menologische Alternative« untersucht.10 SchlieGlich kennt das Interesse, das diese
Forschungsrichtung evoziert, durchaus einen system at is chen Grund. So indizieren
die Theorieprobleme der Soziologie eine Situation, in der der Riickgriff auf phano
menologische Denkfiguren Attraktivitat gewinnt. Dabei braucht man nicht erst das
von Luhmann diagnostizierte »Theoriedesaster« herbeizuzitieren, »das die Sozio
logie als Folge der Einfiihrung der sogenannten empirischen Methoden erlebt«
habe.ll Es geniigt bereits ein Seitenblick auf Luhmanns eigene Systemtheorie sowie
deren Widerpart im Ansatz Habermas', urn sich eben so vor die Problematik der
Sachadaquanz soziologischer Theoriebildung gestellt zu sehen, daB verstandlich
6 Peter L. Berger/Thomas Luckmann (1986), Die gesellscha/tliche Konstruktion der Wirklichkeit.
Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a.M. [New York 1966], S. 22.
7 Dber den Husserlschen Bezugsrahmen des Schutzschen Ansatzes informieren indes: Mary
F. Rogers (1983), Sociology, Ethnomethodology, and Experience. A phenomenological critique,
Cambridge usw.; Helmut R. Wagner (1983a), Alfred Schutz. An intellectual biography,
Chicago/London, darin insbes. S. 287-327; Ilja Srubar (1983), »Abkehr von der transzenden
talen Phanomenologie. Zur philosophischen Position des spaten Schutz«, in: Grathoff/Wal
denfels (Hg.), S. 68-84. Eine phanomenologisch belehrte Kritik ubt Ronald R. Cox (1978),
Schutz's Theory ofR elevance. A phenomenological critique, The Hague/Boston/London.
8 Aktualitat der Phanomenologie bezeugen Reihen wie Phaenomenologica oder die Phdnome
nologischen Forschungen und Zeitschriften wie die Husserl Studies u.a.m. Zum EinfluG
Schutz': vgl. z. B. Lester Embree (Hg.)(1988), Worldly Phenomenology. The continuing
influence of Alfred Schutz on North American human science, Washington. Auch die
Edition der Schriften Husserls wie derjenigen Schutz' ist noch im Gange und noch lange
nicht abgeschlossen. Vgl. z. B. Husserl (1993, Bd. XXIX) sowie Schutz (im Erscheinen).
9 Ilja Srubar (1988a), Kosmion. Die Genese der pragmatischen Lebenswelttheorie von Alfred
Schutz und ihr anthropologischer Hintergrund, Frankfurt a.M., S. 9 und Richard Grathoff
(1989a), Milieu und Lebenswelt. Einfuhrung in die phanomenologische Soziologie und die
sozialphanomenologische Forschung, Frankfurt a.M., S. 433.
10 Richard]. Bernstein (1979), Restrukturierungder Gesellscha/tstheorie, Frankfurt a.M., S. 20sff.
11 Niklas Luhmann (1990), Die Wissenschajt der Gesellscha/t, Frankfurt a.M., S. 410.
12 Einleitung
wird, wie die phanomenologischen Argumente fur die »Notwendigkeit einer Um
wendung der [. .. J Denkungsart«12 aufgenommen und als eine dritte Offerte im Kreis
der genannten Theorieangebote begriffen werden konnen.13 Dabei genugt sogar ein
kurzer Blick auf das jeweilige Spiegelbild der beiden Positionen, wie es in ihrer
wechselseitigen Kritik erscheint. Auf der einen Seite namlich kann man - mit
Luhmann - fragen, ob die Anlage von Habermas' Kommunikationstheorie, die
»sich des vernunftigen Gehalts anthropologisch tiefsitzender Strukturen in einer
transzendental, im ersten Schritt unhistorisch ansetzenden Analyse« vergewissern
will,14 nicht zu einer Theoriekonstruktion fuhren muG, die, so Luhmann, »eine
kaum noch uberbruckbare Distanz zu den realen gesellschaftlichen Operationen«
erreicht.15 GleichermaGen kann jedoch andererseits und nicht weniger begrundet
auch der Systemtheorie Luhmanns vorgehalten werden, daG mit dem von ihr
geforderten »operative[nJ Konstruktivismus«, der »Erkenntnis als Konstruktion«16
versteht und in der Ausarbeitung dieser Idee auf dem Gebiet der Soziologie - im
Kantischen Duktus - eine radikale Reform der Denkart verlangt,17 nicht uber
solche »objektivistische Beschreibungen« hinauszugelangen ist, die - so Habermas -
eher »Weltbildfunktionen erfullen«, als daG sie »moderne Phanomene wie die
wachsenden Bewegungsspielraume [ ... J der Individuen« richtig unterbringen konn
ten.18 GleichermaGen fraglich ist demnach die Sachhaltigkeit einer Konzeption, die
im Rekurs auf ein aus den universalen Strukturen der Sprache extrahiertes Fun
dament »die normativen Grundlagen einer kritischen Gesellschaftstheorie« auf
klaren will (Habermas),19 wie die einer radikal konstruktivistischen Begriffs
kombinatorik, fur welche es sogar sein muG, daG die von ihr »konstruierte Realitat
12 Edmund Husser! (1956), Erste Philosophie (1923/24), Erster Teil: Kritische Ideengeschichte,
hrsg. von R. Boehm, Haag (Husserliana. Edmund Husserl, Gesammelte Werke, Bd. VID
(zit.: Hua VII, Erste Phil. I), S. 249.
13 So muG man Grathoffs Pladoyer fur die »lebensweltliche Position der >Sozialphanomeno
logie<(( verstehen, wenn er im Zusammenhang der Diskussion der Ansatze von Luhmann
und Habermas vom »Wettstreit urn den Theorie-Cup der Profession« spricht. Grathoff
(1989a), S. 425 u. S. 420.
14 Jurgen Habermas (1984), Vorstudien und Ergdnzungen zur 7heorie des kommunikativen
Handelns, Frankfurt a.M., S. 526.
15 Niklas Luhmann (1988), Okologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich
auf iikologische Gefahrdungen einstellen?, 2. Aufl., Opladen, S. 60.
16 Niklas Luhmann (1991), »Wie lassen sich latente Strukturen beobachten?«, in: Watzlawickl
Krieg (Hg.), S. 61-74, hier S. 73 sowie ders. (1988), Erkenntnis als Konstruktion, Bern.
17 Vg!. Frank Welz (1992), »Reformation der Denkungsart. Niklas Luhmanns >Wissenschaft
der Gesellschaft<" [Rez.J, in: Berliner Journal fur Soziologie, H. 2, S. 238-24l.
18 Jurgen Habermas (1986), Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwiilf Vor!esungen,
3. Auf!., Frankfurt a.M., S. 443f. u. S. 434.
19 Jurgen Habermas (1981), 7heorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, Zur Kritik der
funktionalistischen Vernunft, Frankfurt a.M., S. 583.
Description:Frank Welz ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für Soziologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.