Table Of ContentMartin Loiperdinger
Der Parteitagsfilm "Triumph des Willens"
von Leni Riefenstahl
" ... undAbstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heiflt
Wirklichkeit zerstoren." (Hegel)
Forschungstexte
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Band 22
Martin Loiperdinger
Der Parteitagsfilm
"Triumph des Willens"
van Leni Riefenstahl
Rituale der Mobilmachung
Leske + Budrich Opladen 1987
Dr. Martin Loiperdinger (1952), Aufsiitze und TV-Features zum deutschen Fa
schismus und zur Filmgeschichte
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Gesellschaftswissenschaft
der Gesamthochschule Kassel und Lehrbeauftragter am Institut fur Kommu
nikationswissenschaft der Universitat Munchen
Mit freundlicher Unterstiitzung des Deutschen Filmmuseums Frankfurt am
Main
ISBN 978-3-322-99478-3 ISBN 978-3-322-99477-6 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-99477-6
Fotos: Imperial War Museum, London
© 1987 by Leske + Budrich, Opladen
Satz und Umbruch: Leske + Budrich
Vorwort
Ein Ritual und seine Stilisierung: Zeitgeschichtliche Film
analyse am Beispiel von "Triumph des Willens"
Wenn es stimmt, was Harold Lasswe11 1930 notiert (in: Psychopathology
and Politics, Chicago 1930, S. 183f.), daB Politik derjenige ProzeB ist, "by
which the irrational bases of society are brought out into the open" (dazu
Edelman 1960), dann scheint dies geradezu eine Definition der "Regie des of
fentlichen Lebens im Dritten Reich" (Schmeer) zu sein, insbesondere trifft es
fiir die Inszenierung des Massenpotentials der NSDAP im Zusammenhang der
Reichsparteitage zu (SchOps-Potthoff 1984). Von den Produkten her ist dies
aber bislang nur wenig untersucht worden.
Das Bildergediichtnis des Nationalsozialismus wird vom "Reichsparteitag
der Einheit und der Stiirke" (1934) bestimmt, denn diese stilisierte Selbstdar
ste11ung des Nationalsozialismus an der Macht ist in einer weiteren zweiten
Durchgestaltung in Form von Leni Riefenstahls Parteitagsfilm "Triumph des
Willens" konserviert worden. Nahezu jede audiovisue11e Darste11ung des Na
tionalsozialismus zieht Bilder aus "Triumph des Willens" heran, wenn das Ri
tual nationalsozialistischer GroBveranstaltungen und Massenpropaganda ge
zeigt werden sol1.
Rituale stilisieren und tibersteigern in formalisierter Zuspitzung die Bedeu
tungsinhaite, kommunikative Gehalte sol1en auf ihren wesentlichen Kern be
grenzt werden. Diesem Ziel dienen die Asthetik und das Setting des NSDAP
Parteitages selbst, aber dieses Ziel wird nochmals derselben Logik ritue11er
Handlung unterzogen und zu seinem eigenen Idealtypus verdichtet, es wird
zum "Triumph des Willens" verarbeitet. In diesem Sinn ist der Parteitagsfilm
das Kunstprodukt einer Inszenierung, er ist die idealisierte Version eines idea
listisch gedachten Verpflichtungs- und Opferrituals.
Wenn "Triumph des Willens" zur Bebilderung von "Verfiihrung und Ge
waIt" (Thamer 1986), aber auch von Massenhaftigkeit und Mobilisierung,
von Opferbereitschaft, Entindividualisierung und Ausrichtung herangezogen
wird, dann entspricht dies der vom Nationalsozialismus angestrebten offentli
chen Darste11ung seiner politischen Maximen. Das Ritual dient dazu, geord
nete Massen zu formen, ihnen Raum fiir Anspannung, vor a11em aber fiir das
1
Erkennen typisch verk6rperter Leitwerte zu prasentieren. Die Interessen hin
ter dem Ritual der Verpflichtung und Opferbereitschaft sollenjedoch verdeckt
werden und solcherart versteckt bleiben. Ein Produkt der Uberh6hung des
Materiellen ist schon der Parteitag selbst und vielmehr noch Leni Riefenstahls
Parteitagsfilm.
Wenn sich das Bilderwissen zur Visualisierung des Nationalsozialismus auf
"Triumph des Willens" stiitzt, dann ist dies zutreffend, wenn und insoweit der
Film nicht als Dokument und Abbild, sondern als die intentionale Verarbei
tung einer Intention gelesen wird. In diesem Sinn sagen seine Bilder der Auf
marsche etwas iiber das makropolitische und massenkommunikative Offent
lichkeitsbild des Nationalsozialismus (Jaschke 1982), so wie er beliebte zu er
scheinen (wie die Lagerszenen zeigen, mit burlesken Beimischungen am
Rand).
Es ist offensichtlich, daB der Parteitagsfilm bezogen auf die artifizielle Ab
bildung eines Rituals ein Dokument ist. Ein solches Dokument aber spricht
nicht fur sich. Gilt dies schon fur wesentlich einfacher strukturierte "Quel
len", dann gilt diese Kritik falscher Direktheit ganz besonders fur den sehr
komplexen Gegenstand Film, als Ausschnitt und Gestaltung eines Kunstpro
dukts, als idealisierter Versuch zur Bebilderung eines Parteitages an sich.
"Triumph des Willens" ist eine "Quelle" zur Analyse faschistischer Asthe
tik und Offentlichkeit, die vieifliltiger aktenanalytischer und hermeneutisch
dramenanalytischer Durchdringung bedarf. An diesem Punkt setzt die Ana
lyse Martin Loiperdingers ein und schlieBt eine Kenntnisliicke, die bei all er
landlaufigen und alltiiglichen Bekanntschaft mit "Triumph des Willens" be
standen hat. Die bisherige Linie der Interessenzurechnung (Nowotny 1981)
wird konsequent durch die der Produktanalyse ersetzt, womit eine Analyse
von "Triumph des Willens" als Dokumentation nationalsozialistischer Selbst
darstellung vorgelegt wird. Im Bezug auf den Film selbst liegt das wesentliche
der Arbeit (vgl. auch Hoffmann 1986).
Die "Formung der Masse" zur Volksgemeinschaft derjenigen, die fur
Deutschlands Wiederaufstieg nach Versailles und aus der Weltwirtschaftskrise
Opfer und Arbeitsbereitschaft aufbringen, ist die Botschaft des Films und da
mit des NSDAP-Rituals. Kampfbereitschaft ist das Ausdrucksmedium dieser
Opfer- und Arbeitshaltung.
Der Parteitagsfilm bringt somit die nationalsozialistische Kritik des Mas
senbegriffs bzw. der Kritik ungeordneter, chaotisch-fuhrungsloser Massen
zum Ausdruck (M6ding 1983).
Indem Martin Loiperdingers Analyse diese Aussage vom Film selbst her
entfaltet und sie sekundar erst zu Theorien iiber die, ,Asthetisierung der Poli
tik" in Beziehung setzt, indem also Filmanalyse nicht ab-, sondern angeleitet
wird, kann ein wichtiges, im Alltag weit verbreitetes Dokument erschlossen
werden. Es wird jetzt nachvollziehbar (d.h. vom filmischen Material her ge-
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zeigt), wenn gesagt wird, Leni Riefenstahl habe "mit ihrer technisch brillan
ten Beschreibung der scheinbar partei-und klassenlosen Volksgemeinschaft,
die sich willig dem groBen ,Ftihrer' unterworfen hat, das nationalsozialisti
sche Selbstverstiindnis in eindrucksvoller Form dargestellt" (Wippermann
1983, S. 736).
Indem Mobilmachung als zentrale "Botschaft" des Parteitagsfilms heraus
gestellt wird, leistet Martin Loiperdinger auch einen Beitrag zur Diskussion
der Rolle Leni Riefenstahls im Nationalsozialismus. Ihr Produkt, die Stilisie
rung eines Rituals, unterstreicht die militante Logik der Formierung soldati
scher Massen; mit diesem Produkt partizipiert Leni Riefenstahl aktiv am Na
tionalsozialismus. Insofern dieser nicht nur Staatsterrorismus, sondern auch
Integration und (inszenierte) Begeisterung ist, leistet "Triumph des Willens"
seinen Beitrag zum Legitimationsentwurf nationalsozialistischer Kriegsvor
bereitung und zur Einstimmung "des Volkes" auf Opfer und Kampf. Dieser
Befund Hillt sich vom Film her entwickeln und bezeichnet somit die Objektivi
tiit von Leni Riefenstahls Filmarbeit.
Subjektiv (was sie im "Tiefland'~ProzeB 1985 behauptete und auch zuge
sprochen erhielt) kann sich Leni Riefenstahl ganz oder teilweise anders aufge
fiihrt haben. So wie der erste Gestapo-Chef, Rudolf Diels, mitteilt, er habe
seinen miiJ3igenden EinfluB (d.h. seine Bemtihungen zur Legalisierung der
Strafgewalt und zur Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols gegentiber der
SA) tiber Leni Riefenstahl an den Mann gebracht, d. h. Hitler zugetragen
(Diels 1950, S. 22). Auch wenn dies zutreffend ist, so andert sich nichts an der
filmanalytischen Objektivitiit: Leni Riefenstahls Darstellung der NS
Selbstdarstellung betont den Aspekt der kollektiven Opfer-, Arbeits- und
Kampfgemeinschaft, der als Leitwert herausgestellt und unterstrichen wird.
Uber die konkrete Analyse des Parteitagsfilms hinaus ist diese Arbeit in der
Bundesrepublik eines der wenigen Beispiele, Filmanalyse als Zeitgeschichte
zu betreiben oder Zeitgeschichte auf Filmanalyse zu stUtzen. Ein wichtiges
Massenmedium (bedeutend gerade fiir die NS-Propaganda) wird in Verbin
dung mit "klassischer" Archivarbeit analysiert. Filme als Quelle zu erschlie
Ben und als Dokument vorzustellen, das bedeutet, wie man an Martin Loiper
dingers Arbeit beobachten kann, den Film als Massenkommunique und als
Produkt ernst zu nehmen. Die notwendige intensive Zeitungs-und Aktenana
lyse ist sekundar. Wenn dieser Arbeitsschritt dem Film "Fehler" nachweist
(so daB er nicht beanspruchen kann, ein "richtiges" Abbild "der" Realitiit zu
sein) , dann sind dies wichtige Fingerzeige auf Interessen und Intentionen
beim Fotografieren, Schneiden und Komponieren der Bilder zum Film. Mehr
jedoch nicht! Der Film bleibt ein Dokument fiir sich. Seine Wirkung als Mas
senmedium wird nicht dadurch beschrieben und analysiert, daB ihm sachliche
Unterlassungen etc. nachgewiesen werden.
In diesem Sinn weist Martin Loiperdingers Arbeit als Beispiel fiir eine zeit-
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geschichtliche Filmanalyse und als Beitrag zur Diskussion des Aussagewertes
eines Filmes als historische QueUe iiber die Einzelanalyse von "Triumph des
Willens" hinaus. - AIs Sozialwissenschaft mull Geschichte die massenkom
munikativen Medien einbeziehen und bedarf dabei noch vielfaItiger Anstren
gungen, urn eine gleichermaBen zeitgeschichtlich und filmanalytisch fun
dierte Zugriffsweise zu entwickeln. Diese Arbeit kann Anregungen geben und
schliefit gleichzeitig, bezogen auf einen weithin als bekannt vorausgesetzten
und vielfach zitierten Film, wichtige Kenntnisliicken.
Kassel, November 1986
Eike Hennig
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Inhalt
1. Einleitung. . . . ... . ... . . ... . . ... . ... ... . ... . . ... . . ... . . ... . .... . ... . .... . ... . 9
2. Faschistische Selbstdarstellung als Manipulation ... .... ...... ..... 13
Waiter Benjamins "Asthetisierung der Politik" ...................... 15
Siegfried Kracauer iiber faschistische Dokumentarfilmpropaganda 30
3. Vorbemerkungen zur Filmanalyse von "Triumph des Willens.. 43
Produktions- und Auffiihrungsgeschichte .............................. 45
Authentizitiit und publizistischer Status des Parteitagsfilms ......... 51
Zum methodischen Vorgehen der Filmanalyse ........................ 55
4. Leni Riefenstahls Parteitagsfilm "Triumph des Willens" ........ 59
Intention - Die Verfilmung der Fiihrerlegende ...................... 61
Manifestation - Die politische Botschaft des Parteitagsfilms ...... 79
Latenz - Die Nachwirkungen der "Rohm-Afflire" ................. 91
Ideal-Parteitag und Zuschauerperspektive ............................. 110
5. Rituale faschistischer Mobilmachung ................................ 121
Geistige Mobilmachung im Rahmen faschistischer Globalstrategien 125
Das Parteitagsritual als Instrument der politischen Durchsetzung. 128
Der Fiihrer-Mythos und seine realpolitischen Grundlagen ......... 133
Geistige Mobilmachung als Herrschaftsideal und sein Gewaltcha-
rakter ........................................................................ 136
Die sinnliche Rhetorik des Parteitagsrituals ........................... 139
6. Ideologie, Mythos, Ritual - Aktivierungsstufen der Mobilisie-
rung ......................................................................... 143
Anmerkungen .................................................................... 153
Literaturverzeichnis ............................................................. 177
A. Zitierte Literatur ............................................................. 177
B. Forschungsbibliographie "Triumph des Willens" ...................... 186
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Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 1: Chronologischer Vergleich von "Triumph des Willens"
mit dem "Reichsparteitag der Einheit und Stiirke" ....... 63
Tabelle 2: Uberblick iiber die dramaturgische Organisation von "Tri-
umph des Willens" ............................................. 66
Tabelle 3: Fiihrerrede beim Appell von SA und SS. Uberblick iiber
die Einstellungsfolge /799 - 8161 nach Sujet, Bildaus-
schnitt, Aufnahmewinkel ...................................... 86
Tabelle 4: Ansprache von Stabschef Lutze im SA-Lager Langwasser.
Vergleichender Uberblick iiber Ton- und Bildtrakt der
Einstellungsfolge 1484 - 4991 nach Sprecher, A.uBerung,
Sujet, Bildausschnitt ........................................... 107
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