Table Of Contentemmanuel alloa
Das DurchscheinenDe BilD
Konturen einer meDialen Phänomenologie
DiaPhanes
Gedruckt mit Hilfe der GescHwister BoeHrinGer stiftunG für GeisteswissenscHaften (inGelHeim am rHein),
der ludwiG sievers stiftunG zur förderunG der wissenscHaftlicHen forscHunG üBer wesen und BedeutunG
der freien Berufe (Hannover) sowie der JoHanna und fritz BucH GedäcHtnis-stiftunG (HamBurG).
1. auflaGe
isBn 978-3-03734-119-3
© diapHanes, züricH 2011
www.diapHanes.net
alle recHte vorBeHalten
layout und druckvorstufe: 2edit, züricH
druck: pustet, reGensBurG
titelaBBildunG: léon foucault, »spectre solaire« (1844), daGuerreotyp, 12,8 x 9,4 cm
© société française de pHotoGrapHie
inhalt
einleitunG 9
i. zwiscHen dinG und zeicHen: die HyBris des Bildes 15
1. Der atopische Charakter des Bildes 15
2. Mimesis und Methexis: Absteigende und aufsteigende Seinsdependenz 22
3. Zwischen Ein- und Zweistelligkeit 24
4. Motus duplex: Die zwei paradigmatischen Weisen der Bildbetrachtung 29
5. Sich auf Abwesendes beziehen 32
6. Das anthropologische Interesse am Bild als Bild 36
7. Wie es ist und wie es erscheint 37
8. »Sophistes«: Die Perspektivierung der Bildfrage 40
9. Die protagoräische Provokation der Philosophie 49
10. Sozein ta phainomena, oder Wie der Schein zu wahren ist 53
ii. aristoteles’ GrundleGunG einer medientHeorie des erscHeinens 63
1. Erscheinung und Urteil: Aristoteles’ Protophänomenologie 63
2. Reflexion. Spiegelungen des Gleichen 71
3. Antipoden des Sehens 76
4. Ausweg aus der Aporie: Sehen als alloiosis 82
5. Zwischenräumlichkeit: Kritik der Leere 85
6. Mediale Erscheinungstheorie 91
7. Potentialität und Aktualität des Aisthetischen 101
8. Fähigkeit zur Unterlassung 108
9. Phantasia 114
10. Aristoteles als Bildtheoretiker? 119
iii. medienverGessenHeit
spuren des diapHanen von tHemistius Bis Berkeley 123
1. Der Tastsinn als Grenze der Medientheorie 124
2. Axiologische Polarisierung des Diaphanen in Transparenz und Opazität 134
3. Anagogicus mos: Das Transparenz-Szenario 135
4. Blindenstäbe: Das Opazitäts-Szenario 145
5. Die Berechenbarkeit des Bildes: Brunelleschis Experiment 151
6. Alberti: Entschleierungen 156
7. Kepler: Ikonisierung der Vision 159
8. Descartes: Grammatisierungen des Auges 162
9. Berkeley: Das Diaphane als Trennwand 164
10. Was ist eine Transparenz-, was ist eine Opazitätstheorie des Bildes? 166
iv. pHänomenoloGie der BilderscHeinunG 179
1. Husserls Phänomenbegriff zwischen Immanentem und Transeuntischem 179
2. Aristotelische Szenarien: Die Auseinandersetzung mit Franz Brentano 190
3. Am Leitfaden des Bildes: Vom Binären zur Trias 196
4. Sartre: Vom Aderlass der Bilder 199
5. Husserl: Präsentation als Nullpunkt der Selbstverdopplung 203
6. Schwellenkunde: Am Rande der Bilder 210
7. Vom Bildmedium zur genetischen Phänomenologie 216
8. Fink: Die Reluzenz des Mediums 217
9. Derrida: Medialität als Aufschub der Präsenz 223
10. Merleau-Ponty: Sichtbarkeit im Potentialis 227
v. mediale pHänomenoloGie 237
1. Theorie der blinden Flecken, blinde Flecken der Theorie 237
2. Von der lateralen zur medialen Phänomenologie 244
3. Jedes Erscheinen ist ein Durchscheinen:
Eidetische, transzendentale und mediale Gesichtspunkte 250
4. Elementare Visualität 255
5. Transparenz und Störung: Das digitale Apriori der Medientheorie 260
6. Exemplarität des Bildes: Wider die reine Sichtbarkeit 265
7. Minima Visibilia: Für eine Symptomatologie der Bilder 271
8. Anachronismus (Zeit-Bild I) 312
9. Bildpotenz, Bildakt (Zeit-Bild II) 315
10. Das Durch-Scheinen des Bildes 320
vi. BiBlioGrapHie 329
vii. aBBildunGsverzeicHnis 349
Gewisses am Sehen kommt uns rätselhaft vor, weil uns
das ganze Sehen nicht rätselhaft genug vorkommt.
Ludwig Wittgenstein
Ineluctable modality of the visible […] Limits of the diaphane. But he adds:
in bodies. Then he was aware of them bodies before of them coloured. How?
By knocking his sconce against them, sure. Go easy. Bald he was and a millionaire,
maestro di color che sanno. Limit of the diaphane in. Why in? Diaphane,
adiaphane. If you can put your five fingers through it, it is a gate, if not a door.
Shut your eyes and see.
James Joyce
einleitung
In seinem 1623 erstmals veröffentlichten utopischen Entwurf »Der Sonnenstaat«
beschreibt Tommaso Campanella eine Stadt, in der sämtliche Innen- und Außen-
mauern, Hauswände und Flächen mit Bildern überzogen sind.1 Diese ideale Stadt
brauchen die Bürger nicht mehr zu verlassen, werden sie doch auf diesem Weg
mit allem Wissensnotwendigen beliefert. Von Campanellas Orbis pictus sind wir
heute nicht allzu weit entfernt, bedenkt man, dass Bilder mittlerweile in sämtli-
che lebensweltlichen Reviere Einzug gehalten haben und eine Epoche des visuellen
Imperativs angebrochen ist.
Allein dass wir uns auf Bilder verstehen, bedeutet noch nicht, dass wir auch
ihre Wirksamkeit schon verstehen. Es verhält sich hier ähnlich wie im Falle des
Autofahrers, der, um sein Fahrzeug benutzen zu können, nicht zu wissen braucht,
wie es funktioniert. Und tatsächlich wären wir, obwohl wir Bilder täglich produzie-
ren, rezipieren und reproduzieren, kaum imstande, ihre Funktionsweise genau zu
beschreiben. Zwar verfügen wir über ein intuitives Verständnis dessen, was uns als
Bild gilt, kämen aber in Erklärungsnot, wenn wir benennen müssten, was das Bild-
hafte an Bildern ist. Die schier uferlose Durchbilderung lebensweltlicher Zusam-
menhänge, die uns zu regelrechten Bildspezialisten machen müsste, scheint sich
geradezu umgekehrt proportional zu unserem Verständnis zu verhalten, was Bil-
der im speziellen Sinne ausmacht. Für das Bild gilt mutatis mutandis, was Augus-
tinus über das Wesen der Zeit sagte: »Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich
es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht«.2
In vielen Disziplinen lässt sich gegenwärtig ein erstarktes Interesse für die
Funktionsweise und Eigenlogik von Bildern beobachten und auch die Philoso-
phie blieb vom sogenannten iconic turn nicht unberührt. Das Bild – diese Einsicht
bricht sich heute immer breiter Bahn – kann nicht länger als subsidiärer Stellver-
treter des Wortes oder als der Veranschaulichung des Begriffs dienend angesehen
werden, vielmehr gibt es ein sich in Bildern organisierendes Sinngeschehen, das
sich in Propositionalität nicht erschöpft. Die neuerdings geforderte Inklusion
der Bilder in den Gegenstandsbereich der Philosophie zeugt allerdings geradezu
symptomatisch von einem nach wie vor ungebrochenen Privileg des Logos, wurde
diese Inklusion doch in den vergangenen Jahrzehnten vornehmlich in Form einer
Analyse metaphorischer Bildlichkeit praktiziert. Die Bedeutung von Bildern auf die
1 Campanella 1623, Kap. 3a, 120–122.
2 Augustinus: Bekenntnisse XI, 14,17 (1987, 629).
9
einleitunG
Metaphernpflichtigkeit philosophischer Sprache zu reduzieren wiederholt die klas-
sische Geste der Internalisierung, bei der die pictures auf die images und die äuße-
ren Bilder auf die (sogenannten) inneren zurückgeführt werden. Einmal mehr wird
die Provokation jener paradoxen Erscheinungen nivelliert, die das philosophische
Denken – wie zu zeigen ist – seit jeher heimsuchen und die es durch Strategien
inkludierender Exklusion immer wieder neu zu neutralisieren versuchte.
Das Buch setzt sich zum Ziel, den rhizomatischen Verwurzelungen des philo-
sophischen Bilddiskurses in der Vielfalt geschichteter Denkformen nachzugehen
und das muss heißen auch dort, wo das Bilderdenken den Namen Philosophie
noch nicht erhält, etwa in theologischen Lehrbüchern, Künstlertraktaten oder
experimentellen Versuchsbeschreibungen. In diesen archäologischen Bergungen
kommen wiederkehrende Muster zum Vorschein, an denen sich die Denkversuche
orientiert haben und nach wie vor – wenn auch zumeist unbemerkt – orientie-
ren. Jenseits einer Art unveränderlichem Infrastrukturalismus, aber auch jenseits
eines unbeirrbaren teleologischen Fortschrittsnarrativs, zeigt eine Überkreuzung
von Archäologie (die Wissens- und Aussageordnungen in ihren epochalen Schich-
tungen analysiert) und einer damit gepaarten Genealogie (die diachrone Entwick-
lungslinien und historische Formierungsprozesse sowie die damit verbundenen
Deutungskämpfe verfolgt) eine andere Strukturierung der Ideengeschichte, die
weniger der Temporalität geisteswissenschaftlicher turns nahekommt als eher der
Langsamkeit der geologischen longue durée.
Die Geschichte, die vorliegendes Buch ansatzweise zu schreiben versucht, wäre
dann die Geschichte jenes Doppelparadigmas, das sich im Querschnitt des abend-
ländischen Blicks auf Bilder als bestimmend erweist: Sofern sie nicht schlichtweg
aus dem Regime des Wissens ausgewiesen werden, werden Bilder epistemisch in
Dienst genommen und zwischen den zwei Ordnungen verteilt, die jene Taxonomie
vorsieht: die Ordnung der Dinge oder die Ordnung der Zeichen. Ihre Legitimierung
erfahren sie dann mithin dort, wo sie entweder die Sicht auf ihren dahinterliegen-
den Sinn eröffnen (=Transparenz-Paradigma) oder als opake, glatte Objekte den
Blick auf den Schauenden zurückwerfen (=Opazitäts-Paradigma). Jenes Doppel-
paradigma entsteht indes nicht erst – wie es Arthur Dantos berühmt gewordene
Formel der transparency und opacity theory nahelegen könnte – in der Moderne,
es stellt vielmehr die doppelte Richtschnur dar, an der sich die Bildspekulationen
bereits seit zwei Jahrtausenden orientieren.
Das Buch verfolgt dabei ein dreifaches Ziel:
1. Die Autonomisierung des Bildes in seiner eigenen Wertigkeit, die die Moderne
für sich beansprucht, verläuft nicht selten – so der zu erbringende Nachweis – in
exakt jenen Bahnen, auf denen einst die Desavouierung des Ikonischen propagiert
wurde: solche Autonomisierungsversuche beschwören entweder den immateriel-
len Sinn, zu dem die Bilder Zugang verschaffen, oder aber die irreduzible Imma-
nenz des Bilddings. Vorliegendes Buch rekonstruiert dabei die historischen Ver-
10