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Kaiser und Reich
in der jüdischen Lokalgeschichte
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bibliothek
altes Reich
baR
Herausgegeben von
Anette Baumann, Stephan Wendehorst
und Siegrid Westphal
Band 7
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Kaiser und Reich
in der jüdischen Lokalgeschichte
Herausgegeben von
Stefan Ehrenpreis, Andreas Gotzmann
und Stephan Wendehorst
Oldenbourg Verlag München 2013
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FürdieFörderungeinerTagung„DerimperialeFaktorinderjüdischenLokalgeschichte“
am19./20.OktoberimAlois-Alzheimer-GeburtshausMarktbreitsowiederDrucklegung
diesesBandesdankenwirderLillyDeutschlandGmbH,derStadtMarktbreit,derjenacon
foundationgGmbHunddemBezirkMittelfranken.
DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschenNatio-
nalbibliografie;detailliertebibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.d-nb.de
abrufbar.
© 2013OldenbourgWissenschaftsverlagGmbH,München
RosenheimerStraße145,D-81671München
Internet:oldenbourg.de
DasWerkeinschließlichallerAbbildungenisturheberrechtlichgeschützt.JedeVerwertung
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zulässigundstrafbar.DiesgiltinsbesonderefürVervielfältigungen,Übersetzungen,Mikro-
verfilmungenunddieEinspeicherungundBearbeitunginelektronischenSystemen.
Umschlaggestaltung:hauserlacour,www.hauserlacour.de.
Umschlagbild:ThoraschildausKitzingenvon1776.Aus:BilderdesReiches,hg.vonRainer
A.Müller,Sigmaringen1997,S.250.
Gedrucktaufsäurefreiem,alterungsbeständigemPapier(chlorfreigebleicht).
Satz:le-texpublishingservicesGmbH,Leipzig
DruckundBindung:MemmingerMedienCentrum,Memmingen
ISBN978-3-486-70251-4
e-ISBN978-3-486-72067-9
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Inhaltsverzeichnis
ErinnerungenanGerhardRechter(1951–2012) . . . . . . . . . . . .7
StefanEhrenpreis,AndreasGotzmann,StephanWendehorst
KaiserundReichinderjüdischenLokalgeschichte:
EinethematischeEinführung ....... ....... ... ... 9
1. JudenimAltenReich–LokaleKorporation
odertranslokaleMinderheit?
RainerS.Elkar
DieJudenunddasSilber.EineStudiezumSpannungsverhältnis
zwischenReichsrechtundWirtschaftspraxis
im17.und18.Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21
KarlHärter
JüdischeMigrationenimfrühneuzeitlichenAltenReich:
RechtlicheRahmenbedingungen,GeleitundRechtsnutzung . .. 67
VeraKallenberg
DerStreitumden,Judenpurschen‘:InteragierendeHerrschafts-
undHandlungsräumeinderdeutsch-jüdischenGeschichte
Hessen-KasselsundderReichsritterschaftderFreiherrn
vonThüngenum1800.EinFallbeispiel ..... ....... ... 93
2. JudenschaftenimKontextpolitischerRäume
UrsulaReuter
ZwischenReichsstadt,Bischof,KurpfalzundKaiser.
ZurGeschichtederWormserJudenundihrerSchutzherren
im16.und17.Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .119
J.FriedrichBattenberg
DieJudenschaftderGanerbschaftBuseckertal
zwischenReichundTerritorium . ..... ....... ...... 147
GerhardRechter(†)
JudenschutzalsreichsritterschaftlicheStatuspolitik.
DieFamilienCrailsheimundSeckendorffalsFallbeispiele . . . . .179
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6 Inhaltsverzeichnis
3. DieIntegrationskraftderReichsgerichte
alsFaktorjüdischerLokalgeschichte
AndréGriemert
ZwischenKriegundFrieden–
JüdischeProzesseamReichshofratunterFerdinandIII. ...... 197
ThomasLau
DieIntegrationskraftdesStreits–
BuchausJudenvordemReichshofrat ...... ....... ... 239
StefanEhrenpreis
JüdischeAnsiedlungen,lokaleKonflikteundimperialesRechtssystem.
DerSynagogenbauinBruckbeiNürnberg1706–1717 . . . . . . .251
VerenaKasper-Marienberg
ZwischenMagistratundKaiser−rechtlicheHandlungsspielräume
derFrankfurterJüdischenGemeindeamEndedes18.Jahrhunderts 263
AnetteBaumann
FreiesWohnrechtfürJuden?EinHamburgerFallvordem
ReichskammergerichtimZeitalterderFranzösischenRevolution . 281
StephanWendehorst
DieFeudiImperiali:EineversteckteSeitederGeschichte
derJudenimItalienderFrühenNeuzeit? . . . . . . . . . . . . . . 311
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Erinnerungen an Gerhard Rechter
(1951–2012)
WährendderAbschlussarbeitenandiesemBanderreichteunsdieNachricht,
dassunserAutor,Mitstreiter,KollegeundFreundDr.GerhardRechter,leiten-
derDirektordesStaatsarchivsNürnberg,am22.Juni2012verstarb.
Mit Gerhard Rechter verliert das Projektcluster „Jüdisches Heiliges Rö-
misches Reich“ einen profilierten außeruniversitären Experten, der von der
fränkischen Landesgeschichte her Interesse ander Jüdischen Geschichte
gefunden hatte. Ursprünglich war er eher der mittelalterlichen Geschichte
verpflichtet, die er in Verbindung mit der Landesgeschichte in Erlangen in-
tensivstudierthatte.EinemöglichewissenschaftlicheKarriereschlugeraus,
was wohl auch einer gewissen Distanz zur wissenschaftlichen Theoriearbeit
geschuldetwar.StattdessengingerindenstaatlichenArchivdienst,wasseiner
Lust am Umgang mit den historischen Quellen eher entsprach, und war
dortüberauserfolgreich.NachseinerDissertationzudenmittelfränkischen
Besitzungendes DeutschenOrdens an der Zennist er vor allemdurch sein
umfangreichesWerkzurFamilien-undBesitzgeschichtedervonSeckendorff
bekanntgeworden.
InseinerberuflichenTätigkeitalsArchivarwidmeteersichvorallemin-
tensivderBeständeerschließung,einerwichtigenDienstleistungfürdieFor-
schung. Noch vor kurzem konnte er die Rückführung des fränkischen Teils
desSchwarzenbergischenArchivsnachNürnbergfeiern.Indenletztenzehn
JahrenhatteerdieBeständebereinigungzwischendenfränkischenStaatsar-
chivendurchzuführen,hieltaberauchKontaktmitdenvielengutgeführten
Kommunalarchiven und privaten Adelsarchiven der Region. Es spricht für
seinGespür,dasserdieKolleginnenundKollegendieserfränkischenArchi-
veregelmäßiginzwangloserRundezusammenzubringenvermochte.Viele
Benutzer des Staatsarchivs Nürnberg profitierten von seinen Kontakten, die
ergernefürdiegemeinsameSacheeinsetzte.Legendäristseineunbürokrati-
scheHilfsbereitschaftbeiBenutzungsschwierigkeiten,wieergenerellnichtzu
denArchivarengehörte,diedieArchivbesucheralslästigempfinden.Zuden
geschichtswissenschaftlichen Instituten der regionalen Universitäten hielt er
engeVerbindung,vieleLandeshistorikertraferinderGesellschaftfürfränki-
scheGeschichtsforschung.
AlsseineAufgabesahernichtnurdieÜberlieferungssicherungan.Seine
beeindruckendeProduktivitätführtezueinerungeheurenMengeanPublika-
tionenzurfränkischenGeschichte,zuletzteinHäuserbuchzurnürnbergisch-
reichsstädtischenExklaveLichtenaubeiAnsbach.AlsSchülerAlfredWende-
horsts war er wie kaum ein Zweiter in der Welt der fränkischen Geschichte
zuhauseundengagiertesichinzahlreichenHistorischenVereinenundwissen-
schaftlichenGremien.AlsStaatsarchivar,aberauchalsWissenschaftlerlegte
ergroßenWertaufdiePräsentationhistorischerErkenntnisseinderÖffent-
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8 ErinnerungenanGerhardRechter(1951–2012)
lichkeit.FürdenHistorischenVereinMittelfrankenorganisierteerVorträge
undExkursionen,warsichaberauchselbstnichtzuschade,beikleinenlokal-
geschichtlichenVeranstaltungenaufdemLandealsGastredneraufzutreten.
In der wissenschaftlichen ArbeitunseresProjektclusters bildeten sei-
ne Kenntnisse und seine Arbeitskraft einen wesentlichen Eckstein für die
Erforschung derUntersuchungsregion Franken, die mit ihrer reichhalti-
gen frühneuzeitlichen jüdischen Geschichte und Kultur fasziniert. Gerhard
Rechter hat auf Tagungen in Marktbreit und Wien eigene Forschungsbei-
träge geleistet, die er zukünftig mittels Erschließungsarbeiten an den Akten
des Fränkischen Kreises ergänzen wollte. Ein früherer Aufsatz beschäftig-
te sich mit der bayerischen Judenmatrikel im 19.Jahrhundert. Sein Text
im vorliegenden Band ist eine Frucht jahrelanger Beschäftigung mit der
QuellenüberlieferungfränkischerreichsritterschaftlicherFamilien.
Bei den Sommerschulen 2009 und 2011 unseres Projektclusters am Jüdi-
schenMuseumFrankeninFürthunterrichteteergutbesuchteQuellenkurse.
SeineschwereErkrankungzwangihnindiesemFrühjahrzurAbsageseiner
MitarbeitanderimJuli2012gemeinsammitderHebrewUniversityveran-
staltetenSommerschuleinJerusalem.Diestatihmbesondersleid,weilersich
aufeinenBesuchinIsraelsehrgefreuthatte.NochwenigeWochenvorseinem
TodkonntemanihnbeieinerTagunginAnsbachvollerHoffnungerleben,ei-
neschwereOperationüberstandenzuhabenundseinenDienstbaldwieder
invollemUmfangaufnehmenzukönnen.„Kommdochmalwiederaufeinen
KaffeeimDienstzimmervorbei“,sagteerzumAbschied.Niemandahnte,dass
diesnichtmehrmöglichseinwürde.
GerhardRechterwareinFrankemitEckenundKanten,großemHumor,
lebhafter Geselligkeit und wachem Geist. So werden wir ihn in Erinnerung
behalten.SeineBeiträgeundseinePersönlichkeitwerdenunsfehlen.
DieHerausgeber
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StefanEhrenpreis,AndreasGotzmann,StephanWendehorst:
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Stefan Ehrenpreis, Andreas Gotzmann,
Stephan Wendehorst
Kaiser und Reich in der jüdischen
Lokalgeschichte:
Eine thematische Einführung
DieJudenimfrühneuzeitlichenAltenReichlebteninStädtenundDörfern,
derenpolitischeundsozialeStrukturenregionaldurchterritorialeObrigkei-
ten und lokal durch die Gemeinden der christlichen Mehrheitsgesellschaft
bestimmt waren. Den politisch-rechtlichen Rahmen ihrer Herrschaftsord-
nungkonntendiejeweiligenObrigkeitenallerdingsnichtfreiwählen,sondern
er war ihnen durch Reichsrecht vorgegeben sowie durch zahlreiche Detail-
beschlüssevonReichsinstitutionen(vorallemReichstagundReichsgerichte)
ausgefüllt. Dies hatte unmittelbar Folgen für die Lebensbedingungen von
Juden in lokalen Kontexten: die für sie geltenden Rechte und Ordnungen
wurden in der politischen Kommunikation zwischen Kaiser und Reichs-
ständen in den politischen Aushandlungsprozess einbezogenund durch
rechtsetzendeEntscheidungenderReichsgerichtebeeinflusst.
In der aktuellen Forschungssituation stellen sich aber nach wie vor zwei
großeProbleme:
– dieSituationderJudenimHeiligenRömischenReichdeutscherNationim
europäischenVergleichzubeurteilen
– GefahrenundChancenfürJudeninderpolitischenUmweltprotonationa-
lerReicheimdiachronenVergleichmitdeneninmodernenNationalstaa-
tenherauszuarbeiten
UmbeideFragenbeantwortenzukönnen,mussderbesondereCharakterder
Herrschafts-,Rechts-undKommunikationsbeziehungenimReichindieAna-
lyseeinbezogenwerden.
DiejüdischenLebensbedingungenwarendurchfamiliäre,wirtschaftliche
undreligiösetranslokaleBindungenundBeziehungencharakterisiert,diein
SpannungzuörtlichenTraditionenundHerrschaftsverhältnissenstanden.Bei
KonfliktenwandtensichjüdischeGemeindenundEinzelpersonendaheran
dieübergeordnetenInstanzendesReichesodersuchtendenSchutzvonterri-
torialenGewalten,dieihneninInteressenkoalitionenverbundenwaren.Der
BandversammeltBeispiele,dieRahmenbedingungen,politischeKommuni-
kationundsozialePraktikensowieindividuelleHandlungsspielräumesolcher
BeziehungsgeflechteinderFrühenNeuzeitverdeutlichen.
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StefanEhrenpreis,AndreasGotzmann,StephanWendehorst:
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10 StefanEhrenpreis,AndreasGotzmann,StephanWendehorst
I. Das Bild des Alten Reiches zwischen
Nationalismus-, Kultur- und Imperienforschung
Seit der Wende zum 21.Jahrhundert machen sich Tendenzen bemerkbar,
die Sicht des Alten Reiches einer gewandelten Perspektive auf die Deut-
sche und Europäische Geschichte anzupassen. Wesentliche Veränderungen
gingen von der Infragestellung älterer Interpretationsschemata aus, die seit
den 1970er Jahren die Forschung beherrscht hatten: die Interpretation des
ReichesalsAntithesezumfranzösischenAbsolutismusverloranWert,alsder
AbsolutismusbegriffinFragegestelltwurde.DiebesondereBetonungderSo-
zialdisziplinierung als Grundcharakteristikum frühmoderner Gesellschaften
machtedemBlickaufanderesozialeundkulturellePraktikenPlatz.DieIdee,
frühneuzeitliche Herrschaft als Aushandlungsmechanismus zu begreifen,
zerstörtegängigeSichtweisenaufEntwicklungsstufenstaatlicherGewalt.
VoneinerjüngerenGruppevonReichshistorikernwieGeorgSchmidt,Bar-
bara Stollberg-Rilinger, Horst Carl u.a. wurden zwei neue Interpretationen
angeboten:einmaldievonder„JenarerSchule“vertreteneThesevomReich
alskomplementären„Reichs-Staat“,derdiefrühneuzeitlichepolitischeStaats-
form der Deutschen gewesen und dessen Staatlichkeit zwischen Reichsebe-
neundTerritorienverteiltgewesensei.Der„Reichs-Staat“repräsentiertedie
föderalverfassteNationderDeutschen,derenNationsbewusstseindurchaus
demanderereuropäischerNationenähnelte.InderDiskussiondieserThese
griffen Kritiker wieder auf den älteren, aus der Reichsforschung der 1970er
JahrestammendenBegriffdes„Reichssystems“zurückundbezeichnetenden
CharakterdesReichesalslediglichhalbstaatlich,teilmodernisiertundvorna-
tional.1
Einezweite,indenletztensechsJahrenentstandeneRichtungvonBarbara
Stollberg-Rilinger und einer Forschungsgruppe an der Universität Münster
verfolgt eine kulturalistische Interpretation politischer Herrschaft im Alten
Reich,indersymbolischeHandlungenundRitualepolitischeGemeinschaft
stiftetenundhierarchischeOrdnungherstellten.Das„Reich“warimwesent-
lichen ein politischer Verband mit immer wieder aktuell herzustellenden,
auf Konsens abzielenden Aushandlungsmechanismen. Zielte die These vom
„komplementärenReichs-Staat“aufeineAnnäherungderReichgeschichtean
dennationalstaatlichbegriffeneneuropäischen„Normalfall“,betontdiezweite
1 GeorgSchmidt,GeschichtedesAltenReiches.StaatundNationinderFrühenNeuzeit,
München1999,sowieders.,DasfrühneuzeitlicheReich–komplementärerStaatundfö-
derativeNation,in:HistorischeZeitschrift273(2001),S.371–399.Vgl.zurKritikHeinz
Schilling,Reichs-StaatundfrühneuzeitlicheNationderDeutschenoderteilmodernisier-
tesReichssystem,in:HistorischeZeitschrift272(2001),S.377–395;WolfgangReinhard,
FrühmodernerStaatunddeutschesMonstrum.DieEntstehungdesmodernenStaatesund
dasAlteReich,in:ZHF29(2002),S.339–357.Vgl.zurbritischenSichtaufdiedeutsche
historiographischeDiskussionPeterH.Wilson,StillaMonstrosity?SomeReflectionson
EarlyModernGermanStatehood,in:HistoricalJournal49(2006),S.565–576.
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