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Gerhart von Graevenitz
Eduard Mörike:
Die Kunst der Sünde
Zur Geschichte des literarischen
Individuums
Max Niemeyer Verlag
Tübingen 1978
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
A. DIE DICHTUNG
I. Kapitel: Das literarische Requisit. 15
1. »Agnes, die Nonne« 16
2. Konfessionelle Sinnlichkeit . . 31
3. Zusammengesetzte Sinnlichkeit 44
11. Kapitel: Der Sündenfall oder die »Katastrophe Phaeton« 53
1. »Erinnerung« 54
2. Waiblingers »Phaeton« 64
3. »Der Feuerreiter« 69
B. DAS ERLEBNIS
IH. Kapitel: Freundschafl 87
1. Zur Phänomenologie der Freundesgruppe 88
a) Die Dreier-Gruppe 89
b) Die »Theegesellschafl:« 94
c) Die Führer-Rolle . . . . . . . . . . . .. 97
d) Gruppenemotion und Gruppenbewußtsein. Zwei Modelle 98
2. Zur Geschichte der literarischen Gruppen 1°9
a) Drei Musterinstitutionen 110
b) Klopsto<x • . . 124
c) Fichte . 13°
d) Das »Athenäum« 137
3. Das Selbstbewußtsein der Orplid-Gruppe
a) Mörikes Gruppenerfahrung
b) Mörike und Orplid
v
C. DIE XSTHETIK
IV. Kapitel: Versteckte Programmatik. »Märchen vom sichern
Mann.: 159
I. Tausend Jahre Orplid . . . . . . . . . . . . . . . 160
2. Die »aura divina« der Komik und die Dichtung vom Leben
Jesu . 175
3. Die mikroskopische Schreibart, oder »An Niemand und an
Zween«
V. Kapitel: Die Blumen der Sünde. »Auf eine Christblume.: 201
I. Das Individuum 202
2. Das Bild . 222
Schluß (Mit drei Abbildungen)
ANHANG
Anmerkungen .
Literaturverzeichnis .
Verzeichnis der zitierten Werke Mörikes
VI
'71'
Einleitung
»Reichst lächelnd mir den Tod im Kelch der Sünden!« (1,746).1 Das
sind düstere Auspizien für ein Liebesgedicht. Tatsächlich handelt der
»Peregrina«-Zyklus, der unter solchem Gesetz steht, mehr vom Sün
den-Gericht als von Sünden-Freuden. Immerhin, nicht die abstrakte
Sünde wider den Heiligen Geist ist gemeint, sondern es können, wo
von Liebe gesprochen wird, nur die Sünden des Fleisches in Anschlag
kommen. Eine Sinnlichkeit demnach, froh oder düster, deren man sich
nicht mehr gewärtigt, wenn in den Gedichten nur mehr ein abstraktes,
literaturwissenschafHich zur reinen Seele verklärtes »lyrisches Ich« er
scheint. Die »Sünde« ist nur ein eingeschränktes Thema Mörikes.2 Es
kann der im Fleisch und Blut seiner Sünden einhergehende Liebende
nicht das ganze »lyrische Subjekt« des ganzen Mörikeschen Werkes
sinnlich anschaubar machen. Doch er kann in diesem Werk die leben
digste, anschaulichste und allgemeinverständlichste Rolle des "literari
schen Individuums« spielen: wer wäre vom Verständnis der Sünden
ausgeschlossen. Die Gelehrsamkeit lüftet die schwarzen Flöre der Sün
den-Gerichte, um den Preis, damit den Sünder zum literarischen In
dividuum zu mumifizieren. Sie kann, bei aller willkommenen Versinn
lichung, nicht umhin, das Fleisch zu erlösen und zu sagen, warum es
nicht wirkliche,sonderndoch nur literarischeSünden sind. Andie sinn
lichste Kunst der Sünde wird man die Frage richten, warum sie eine
Kunst der Sündeist.
Am "Peregrina«-Zyklus, der Spitze im Kanon Mörikescher Liebes
dichtung, lassen sich die Probleme zeigen, die die vorzunehmende Un
tersuchung hat. Man kann, und zwar in mehrfacher Hinsicht, von
einer Peregrina-Handlung sprechen. Zunächst meint man damit die
unbestreitbaren, wenn auch nicht ganz aufklärbaren biographischen
Hintergründe, das Peregrina-»Erlebnis,« das Mörike in den Gedich-
ten verarbeitet hat. Sodann kann man als Peregrina-Handlung die in
der abwechslungsreichen Textgeschichte des Zyklus manifeste Bewälti
gungs- und Distanzierungsarbeit bezeichnen. Schließlich gibt es die aus
den Peregrina-Gedichten selbst zusammengesetzte literarische Hand
lung. Sie ist reduzierbar auf ein Handlungsschema, das in zahlreichen,
z.T. vom Zyklus weit entfernt liegenden Texten Mörikes wie der
Hand der fezerte wiederkehrt; im Rahmen der biographischen Hand
lung könnte man von einer Art Wiederholungszwang des literarischen
Handlungsschemassprechen.
Es wäre einerseits eine unnötige Verkrampfung, einer mißverstan
denen Erkenntniskritik der Texte zuliebe im Falle von »Peregrina«
nicht in einem ganz direkten Sinne von »Erlebnis-Dichtung« zu spre
chen, wie denn auch die Mörike-Forschung sich nicht von einem kon
kret aufgefaßten Erlebnisbegriff hat abbringen lassen.3 Andererseits
wäre es töricht, aus einem banalen Erlebnisbegriff falsche Schlüsse zu
ziehen, wie es auch in der Mörike-Forschung geschehen ist: so hat die
unbegründete Gleichsetzung von Erlebnis und Originalität wider bes
seres Wissen die Einsicht behindert, daß »Peregrina« eine literarischen
Vorbildern direkt nachgebildete, hochgradig »literarisierte« und tradi
tionsgebundene Dichtungist.4
In dem noch ganz ungeklärten Erlebnis-Charakter der verschiede
nenPeregrina-HandlungenistdasSünden-Themaangesiedelt,undzwar
zunächst erkennbar nur auf der Ebene der literarischen Handlung im
Text. Ausgangspunkt ist, nach Maßgabe der Textgeschichte, das »Irr
sal« imfrühesten Peregrina-Gedicht:
Ein Irrsal kam in die Mondscheins-Gärten
Einer fast heiligen Liebe.
Schaudernd entdeckt' ich verjährten Betrug.
Und mit weinendem Blick, doch grausam
Hießich das schlanke,
Zauberhafte Mädchen,
Ferne gehen von mir.5
Hier liegt gewissermaßen der prägnante Moment der Handlung, von
hier aus rückblickend werden die Mondscheins-Gärten der Hochzeits ...
nacht vergegenwärtigt, von hier aus wird die Schuldfrage entwickelt.
In dem entdeckten »verjährten Betrug« steckt sowohl die Anklage der
Geliebten als auch ihre geradezu formaljuristische Entlastung. Durch
• 4ifftfrw etf'
die»Verjährung« wird die Last der SdlUld auf den »grausam« Stra
fenden geschoben, und so wird im letzten Gedicht des Zyklus der
selbstanklägerische Vers stehen:
War's möglhh, solche Schönheitzu verlassen? (1,749)
Diese Frage ist freilich längst rhetorisch, denn schon im ersten Gedicht
des Zyklus wurde eine Sündenlehre zitiert, die jedeindividuelle Schuld
mediatisiertzum Produkt der paulinischen Erbsünde:
Unwissend Kind, du selberlädst mich ein
Willst, ich soll keeklich mich und dich entzünden,
Reichst lächelnd mir den Tod imKelch der Sünden! (1,746)
Die Sündenlehre des Zyklus ist von der Art, die dem Judas entgegen
gehalten wird:
Und zwar des Menschen Sohn gehet hin, wie es beschlossen ist; doch weh
demselbigen Menschen, durch welchen er verraten wird.6
Der Verräter der Peregrina spricht das Wehe über sich selbst mit um
so mehr Gelassenheit aus, als die Zwangsläufigkeit der über der
Menschheit beschlossenen Sünde ihm die Verantwortung für die Ereig
nisse abnimmt, um den Preis, daß die »heilige« oder paradiesische
Sinnlichkeit der Mondscheinsgärten sich unter dem Paulinischen Ge
setz verkehrt in die »einst heilige« Sünde der Fleischeslust. An.ders
ausgedrückt: das im Verlauf der Textgeschichte erst später ausgespro
chene Sünden-Argument macht die Sinnlichkeit zum Synonym für
Sünde, entlastet aber gleichzeitig den Sprecher vom Druck der in der
Sinnlichkeit statthabenden »eigentlichen Vorgänge.« Diese Vorgänge
wiederum sind schematisierbar zur abrupten Folge von Vereinigung
und Bruch. Dieser Bruch deutet auf eine tiefer sitzende Problematik:
die Verantwortung für den Bruch wird der Geliebten so zugeschoben,
daß die möglicherweise psychisch bedingte Unfähigkeit des Sprechers
zum Eingeständnis seiner eigenen Verantwortung mehr enthüllt als
kaschiert wird.
Dieses Handlungsschema - Liebe und Vereinigung einerseits; durch
Verschiebung der Verantwortlichkeiten »rätselhafter« plötzlicherBruch
andererseits - unterliegt dem genannten Wiederholungszwang in Mö
rikes Texten und tritt in den verschiedensten Variationen auf. Das
3
Schema wird auch aus der Literarisierung ins ,.Leben« rückprojiziert.
In MörikeserstemBriefanseineBrautLuiseRau heißt es:
Mein Kind! wann werd ich denn aufhören können, mich immer aufs neue
wieder über Dich und mich zu verwundern und zu fragen: wie ist das
alles geschehen?! Aber ich wollte, die Zeit käme nie, wo ich das nimmer
frage! Ich meine, das wäre schon ein Vorbote des Todes unserer Liebe.7
Das Ende kündet sich in der ersten, toposhafl:en Abwehr des Endes an,
vielleicht unter dem selbstauferlegten Druck des Gedankens, die
Zwangsläufigkeit der Peregrina-Handlung werde sich wiederholen. In
den Sonetten, die Mörike zwischen April und Juni 1830 Luise Rau
mitteilt, kommt in die Anschauung eines ruhigen Glücks immer wieder
das »Irrsal« von »Täuschung,«8 »betrügendem Traum«9 und von »Be
lügen.«10
In deinem Arm! 0 seliger Gewinn!
Doch wird auch hier die alte Wehmut rege,
Ich schwindletrunken auf dem Himmelsstege,
DieGegenwart flieht taumelnd vor mir hin. (II,37~)
Eine Beschwörung der Vereinigung, sofort gefolgt von einem leisen
Abbruch, weniger dramatisch, doch unverkennbar in der Entsprechung
zur Folgevon Hochzeitsnacht und »Irrsal.«
Eine typische,vielleicht auch psychologischkategorisierbare»Liebes
handlung« Mörikes. Ihre Beurteilung wird erschwert dadurch, daß sie
auch als »Freundschafl:shandlung« erscheinenkann:
An Hermann
UnterTränen rissest du dich von meinem Halse!
In die Finsternis lang sah ich verworren dir nach.
Wie? auf ewig? sagtestdu so?Dann lässetauf ewig
Meine Jugend von mir, lässet mein Genius mich!
Und warum? bei allem, was heilig, weißt du esselber,
Wenn es der übermut schwärmenderJugend nicht ist?
o verwegenesSpiel! Komm! nimm dein Wort noch zurüd!:e!
- Aber du hörtest nicht, ließest michstaunend allein.
Monde vergingen und Jahre; die heimliche Sehnsuchtim Herzen,
Standenwir fremd, es fand keiner ein mutiges Wort,
Um den kindischen Bann, den luftgewebten, zu brechen,
Und der gemeine Taglöschte baldjeglichenWunsch.
Aber heutige Nacht erschienmir wieder imTraume
DeineKnabengestalt- Wehe! wo rett ich mich hin
j'brf't .
" "er')5 . ,( b
Vor dem lieblichen Bild? Ich sah dich unter den hohen
Maulbeerbäumen im Hof, wowir zusammen gespielt.
Und duwandtest dich ab, wie beschämt, ich strich dir die Locken
Aus der Stirne: »0 du«, rief ich, »was kannst du dafür!«
Weinend erwacht ich zuletzt, trüb schien der Mond auf mein Lager,
Aufgerichtet im Bettsaß ich und dachte dir nach.
o
wie tobte mein Herz! Du fülltest wieder den Busen
Mir, wie kein Bruder vermag, wie die Geliebte nicht kann! (1,729)
Wie das dritte Peregrina-Gedichtbeginnt »AnHermann« mit der Um
schreibung des »Irrsals,«11 dem Ende einer Freundschaft, einer anderen
Art »einst heiliger Liebe:« »bei allem was heilig, weißt du es selber /
Wenn es der übermutschwärmender Jugend nicht ist?« Nach dem Irr
sal hält ein »luftgewebterBann« dieFreunde auseinander,zuPeregrina
blieb die Verbindung über den »luftgesponnen Zauberfaden.« Der
Freund kehrt im Traum zurück wie Peregrina in der ersten Fassung
des Irrsal-Gedichts. Und die Sehnsucht nach dem fernen Freund äußert
sich in fast denselben Worten, wie die Sehnsucht nach der verstoßenen
Geliebten:
Warum, Geliebte, denk ich dein
Auf einmal nur mit tausend Tränen,
Und kann gar nicht zufrieden sein,
Und will die Brustin alle Weite dehnen? (1,748)
Wie wörtlich soll man die Feststellung nehmen: ,.Du füllest wieder
den Busen / Mir, wie kein Bruder vermag, wie die Geliebte nicht
kann«? Ist die Zeile aufzufassen wie der 26.Vers aus 2.Samuel I:
,.Deine Liebe ist mir sonderlicher gewesen, denn Frauenliebe ist,« in
den Mörike seine Freundschaftserklärung an Wilhe1m Hartlaub klei
det?12 Oder ist, da der Traum vom abwesenden Freund13 zu den
Topoi überschwänglicher empfindsamer Freundschaft gehört, keinerlei
aufgeladene Internats-Atmosphäre hinter den Versen des ehemaligen
Seminar- und Stiftszöglings zu vermuten? Was ist ,.Freundschaft« psy
chologisch, was ist sie literarisch?
Das Schema der Peregrina-Handlung von Vereinigung und Bruch
verblaßt bei so breiter Anwendbarkeit schnell zur allgemeinen noli
me-tangere-Mentalität:
Laß,0 Welt, 0 laß michsein!
Locket nicht mit Liebesgaben,
1
I
Laßt dies Herz alleine haben
Seine Wonne, seine Pein! (1,743)
Man müßte es endlich mit der oft getroffenen und vagen Feststellung
einer solchen Mentalität bewenden lassen, entschließt man sich nicht,
das Gemisch aus »Liebe« und »Freundschaft" in Mörikes Texten, zu
dem gelegentlich die »Sünde« als Aroma kommt, mit den Kategorien
der einschlägigen Hilfswissenschaften so genau als möglich zu beschrei
ben: die »Liebe,« die man traditionellerweise glaubt, doch am ehesten
individualpsychologisch aufschlüsseln zu können, die »Freundschaft,«
die man schon eher als ein »sozial vermitteltes« individualpsycholo
gisches Phänomen erkennt, und von der rückschließend man wiederum
leichter die »sozialpsychologische Dimension« der »Liebe« zu erkennen
glaubt. Natürlich ist das schnell und leicht gesagt. In Wirklichkeit
existiert die Vermittlung von Individuellem und Sozialem in der Psy
chologie fast nur als Postulat. Und das ist nur die erste der notwen
digen Vermittlungen, die in einem literarischen Text stecken: wie ist
das Psychologische historisch, wie ist das historisch Psychologische mit
den literarischen Topoi· vermittelt, schließlich - die Kardinalfrage
überhaupt - wie ist das aufs Quasi-Faktum Reduzierte »ästhetisch
vermittelt?« Ohne Zweifel: die Stufen der »Vermittlung« sind die
Stufen der Menschwerdung des »literarischen InQividuums.« Kann
aber unter den methodologischen Ansprüchen der Vermittlungen noch
vom »Erlebnis« die Rede sein? Löst sich der Begriff, der sich angesichts
des ersten Auftretens des Sünden-Themas im »Peregrina«-Zyklus so
harmlos nahelegte, nicht sogleich in analytische Teile auf, die nur in
die Teil- und Hilfswissenschaften rubrizierbar sind? Unabweisbar ist
zwar die historische Gattungsbezeichnung »Erlebnisgedicht,« die im
Rahmen der subjektbezogenen Dichtung des 18. und 19.Jahrhunderts
ihre uneingeschränkte Angemessenheit hat und die problemlos für
Mörike anwendbar ist. Problematisch ist vielmehr, ob man aus einem
historisch eingeschränktenDichtungsbegriff allgemeine methodologische
Begriffe ableiten kann, wie es die Dreiteilung dieser Arbeit zur »Kunst
der Sünde« in »Dichtung,« »Erlebnis« und »Ästhetik« suggeriert.
Dilthey hatte den für Goethe geltend zu machenden Begriff der
Erlebnisdichtung, einer in der »inneren Form« erreichten Läuterung
des Individuellen zur Gattung, zur Norm aller Dichtung und damit
zurallgemeingültigen methodischen Richtschnur erhoben.
6
Der harte, eddge Rohstoff des Geschehnisses wird in dem Bildungsprozeß
der Phantasie gänzlich umgeschmolzen und geläutert. Dieser läßt nichts
zurück als was für den schlichten Ausdruck des Erlebnisses und seiner
Bedeutung erforderlich ist. Er verzehrt alle bloße Tatsächlichkeit in der
Fabel, alle Zufälligkeit in der Zusammensetzung der Charaktere. Und
vor uns steht nun die einfache Verkörperung eines bedeutsam Seelen
haften.14
DieWirkung dieses Erlebnis-Begriffs hat Mißverständnisse erzeugt, die
wichtige Aspekte des ursprünglichen Gedankenzusammenhangs bei
I Dilthey haben wegfallen lassen und die weitgehend für die allgemeine
Aversion gegen die ganze »Erlebnis«-Vorstellung verantwortlich sind.
Zwei dieser Mißverständnisse sind für die Untersuchung Mörikes von
I Interesse:
(r) Die Subjektivierung der Dichtung im Sinne einer ganz und gar
isoliertenBetrachtung des Individuellen;
(2) Die Spontaneität und Unmittelbarkeit des Erlebnis-Ausdrucks,
die als unvereinbar erscheinen mit künstlerischer Handwerklichkeit
und mit der Abhängigkeit von Vorlagen und Traditionen und die eine
besondereErkenntnispsychologie derDichtungbegründen.
(r) Das Gemüt ist der Lebensgrund aller Poesie. Sie ist aber zugleich von
dem Gedanken durchdrungen. Gibt es doch im entwickelten Menschen nur
wenige Vorstellungen, die nicht allgemeine Elemente in sich faßten, und
in der Menschenwelt ist vermöge der Wirkung allgemeiner sozialer Ver
hältnisse und psychologischer Verhaltensweisen kein Individuum, welches
nicht zugleich unter den verschiedenen Gesichtspunkten repräsentativ
wäre, kein Schicksal, welches nicht einzelner Fall eines allgemeineren Ty
pus von Lebenswendungen wäre.15
Aus der hierin implizierten Forderung, das Individuelle u.a. mit dem
Sozialen vermittelt zu sehen und es erst dann im Kunstwerk aufzu
suchen, zieht Dilthey praktische Folgerungen für die Methode: er wen
det sich gegen die positivistische Anlaß-Forschung; denn »das Leben
eines Menschen ist so wundersam verflochten mit den Schicksalen
vieler anderer Menschen ..., daß es uns unmöglich scheint ... aus den
uns gegebenen Daten das Leben eines Dichters in sicheren Zusammen
hang mit den Gebilden seiner Phantasie zu bringen.«16 »Die andere
Aufgabe ist, die Momente der Lebenserfahrung aufzuzeigen, welche
den Vorgang der Gestaltung der Charaktere aus dem gegebenen Stoff
des Lebens bestimmen.«17 Dilthey beschreibt z.B. die psychologische
7
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Description:Vers aus 2. Samuel I: ,.Deine Liebe ist mir im »Peregrina«-Zyklus so harmlos nahelegte, nicht sogleich in analytische Teile auf, die nur in die Teil-